Aktuelle Forschung und noch unveröffentlichte Studiendaten des Progressiven Zentrums legen die Antwort nahe: Statt der Übernahme rechter Narrative sollten Parteien links der Mitte zum Kern linker Programmatik zurückkehren. Konkret bedeutet das, den Arbeitsplatz als Ort sozialer Sicherheit und Mitbestimmung sowie die Interessenkonflikte zwischen Lohnabhängigen und Kapitaleigentümern wieder stärker ins Zentrum ihrer Politik zu rücken.
Dass die politische Linke den Anschluss an die Arbeiterschaft verloren hat, ist keine neue Entwicklung. Mit der Verabschiedung des Godesberger Programms 1959 stellte sich die SPD als einstige Partei der Arbeiterklasse neu für breite Bevölkerungsschichten auf. Der Anteil der Akademiker:innen und Angestellten in der Wählerschaft wurde kontinuierlich größer, der Arbeiteranteil kleiner. Begleitet wurde dies vom Strukturwandel der 70er und 80er Jahre, dem Rückbau ganzer Industriezweige und einem wachsenden Dienstleistungssektor. Angesichts dieser Entwicklungen verlor die sozialdemokratische Partei also nicht nur die natürliche Bindung an ihre einstige Kernwählerschaft, sondern verpasste es auch, die diverser werdende Arbeiterschaft in neuen Dienstleistungsberufen für sich zu gewinnen – nicht zuletzt aufgrund des abnehmenden betrieblichen Organisationsgrades. Doch nicht nur die Verankerung der SPD in der Arbeiterklasse hat nachgelassen. Auch bei der Linkspartei sank der Stimmenanteil von Produktions- und Dienstleistungsarbeiter:innen sowie einkommensschwachen Wähler:innen seit 2010 deutlich. Insgesamt scheinen sich Arbeiter:innen von Parteien links der Mitte nicht mehr vertreten zu fühlen.
Wie die Ergebnisse der Bundestagswahl unlängst zeigten, tritt die AfD zunehmend in diese Repräsentationslücke. Sie gibt sich als Sprachrohr der »hart arbeitenden Bevölkerung«, inszeniert sich als Fundamentalopposition zum politischen Establishment. Mit ihrer populistischen Ansprache scheint die vom Verfassungsschutz in Teilen als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei auf bestem Wege, das neue politische Zuhause der Arbeiterschaft zu werden.
Die Forderungen der AfD sind alles andere als sozial gerecht.
Dabei sind ihre Forderungen alles andere als sozial gerecht, die neoliberalen Ursprünge prägen die Partei bis heute. Sie lehnt eine Erhöhung des Mindestlohns und die Ausweitung des Streikrechts ab, stellt sich gegen eine Tarifwende und möchte steuerpolitisch vor allem oben entlasten. Trotzdem gelingt es der AfD wie keiner anderen Partei, sich als Vertreterin der »einfachen Leute« zu positionieren. Sie greift soziale Missstände und Ungleichheiten auf und mobilisiert über eine Spaltung zwischen Gruppen von Lohnabhängigen, indem sie an Gefühle wie Stolz und Konkurrenz appelliert und danach unterscheidet, wer nach ihrer Sichtweise etwas verdient hat und wer nicht. Die Arbeiterschaft wird aufgewertet, indem Migrant:innen und Bürgergeldempfänger:innen als faul und parasitär dargestellt werden. Verteilungsfragen erscheinen als Konkurrenzkampf zwischen Gruppen von Lohnabhängigen.
Dass die AfD damit überzeugt, liegt nicht zuletzt an einem Glaubwürdigkeitsproblem der Mitte-links-Parteien. Nach Jahrzehnten der sozialdemokratischen Regierungsbeteiligung hat sich die materielle Situation von Arbeiter:innen durch Globalisierung, Deregulierung und wachsende Ungleichheit insgesamt verschlechtert. Empirische Forschung der Politökonomin Lea Elsässer zeigt, dass die Anliegen der unteren sozialen Klassen faktisch kaum Eingang in die sozial- und arbeitsmarktpolitischen Reformen seit 1980 gefunden haben.
Zusätzlich hat die unter SPD-Altkanzler Gerhard Schröder verabschiedete Agenda 2010 die Angst vor ökonomischer Deklassierung und das Ungerechtigkeitsgefühl gegenüber angeblich in die Sozialsysteme eingewanderten Migrant:innen weiter befeuert. Mit der Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengelds sowie der Kürzung der Arbeitslosenhilfe auf den Sozialhilfesatz und einer Verschärfung der Sanktionen kam die Reform einer »Abwicklung des alten Modells sozialstaatlicher Statussicherung« gleich, wie der Politikwissenschaftler Philipp Manow in seinem Buch Die Politische Ökonomie des Populismus schreibt. Angesichts wachsender Abstiegsängste gelang es der AfD infolge des krisenhaft erlebten Anstiegs der Zuwanderung seit 2015 zunehmend, Oben-unten-Konflikte in Innen-außen-Konflikte umzudeuten. In einem politischen System, das ohnehin weniger responsiv gegenüber den Interessen von Menschen mit niedrigen Einkommen, Transferempfänger:innen und Arbeiter:innen oder einfachen Angestellten ist, wiegt der Vertrauensverlust gegenüber den eigentlichen politischen Vertreter:innen der Arbeiterschaft umso schwerer. Vor diesem Hintergrund stehen die Parteien der linken Mitte vor der herausfordernden Aufgabe, die Arbeiterschaft zurückzugewinnen.
Arbeitsplatz als Ort demokratischer Mitbestimmung
Eine Politik, die das verlorene Vertrauen in die Responsivität des politischen Systems gegenüber Arbeiterinteressen zurückgewinnen will, muss das Erleben von demokratischer Handlungsfähigkeit durch die Stärkung von Mit- und Selbstbestimmung am Arbeitsplatz ins Zentrum rücken.
Fehlende Selbstbestimmung auf der Arbeit erhöht die Empfänglichkeit für antidemokratische Einstellungen.
Der Arbeitsplatz stellt gerade in Zeiten schrumpfender Räume sozialer Begegnungen einen Ort der sozialen Sicherheit dar. Hier können Probleme kollektiv bearbeitet, Erfahrungen von Solidarität und demokratischer Mitbestimmung gemacht werden. Dies wird von aktuellen empirischen Studien, unter anderem der Otto-Brenner-Stiftung, sowie noch unveröffentlichten Umfragedaten des Progressiven Zentrums unterstrichen. Diese belegen einen positiven Zusammenhang zwischen einer sogenannten »Industriebürgerschaft«, also subjektiven Erfahrungen von Solidarität und erlebter Handlungsfähigkeit durch Selbst- und Mitbestimmung am Arbeitsplatz, und demokratischen Einstellungen. Andersherum gilt: Können Beschäftigte ihre Arbeit nicht selbstbestimmt einteilen und planen, fühlen sie sich nicht handlungsfähig im Betrieb und als passive Akteure wirtschaftlichen Entwicklungen ausgesetzt, erhöht das ihre Empfänglichkeit für antidemokratische Einstellungen.
Daraus folgt: Will die politische Linke die Arbeiterschaft für das demokratische Parteienspektrum zurückgewinnen, muss sie den Arbeitsplatz wieder verstärkt als Ort der demokratischen Selbstwirksamkeit und Partizipation verstehen und als politisches Handlungsfeld adressieren. Dafür braucht es Maßnahmen, die gegen die Erosion von Tarifbindung und betrieblicher Mitbestimmung ankämpfen, die seit Jahrzehnten zu beobachten ist. Dies gilt insbesondere auch angesichts einer Vielzahl an Krisen und Transformationsprozessen. Diese werden von Arbeiter:innen vor allem als Verstärker der Sorgen im Hier und Jetzt wahrgenommen. Das treibt den Vertrauensverlust in das politische System durch die Angst vor weiteren materiellen Verschlechterungen und gesellschaftlichem Statusverlust zusätzlich voran. Denn wenn Arbeiter:innen mit der ökologischen Transformation die Ansiedlung von E-Auto-Werken verbinden, in denen gegen geltende Arbeitsrecht- und Arbeitsschutzgesetze verstoßen und die Arbeit von demokratisch gewählten Betriebsräten verhindert wird, ist das Wasser auf die Mühlen der transformationsskeptischen AfD.
Die grüne Transformation darf nicht darin resultieren, dass gewerkschaftlich organisierte und tarifgebundene Jobs durch prekäre Jobs in grünen Industrien oder neuen Dienstleistungsbranchen ersetzt werden. Vielmehr müssen Transformationsanstrengungen mit der Sicherung bestehender und der Schaffung neuer, sicherer und demokratischer Arbeitsplätze verbunden werden (beispielsweise über eine soziale Konditionierung grüner industriepolitischer Subventionen oder eine Ausweitung des Mitbestimmungsrechts von Betriebsräten auf transformationsbezogene Fragen). So wird sichergestellt, dass der notwendige Wandel nicht auf dem Rücken der Arbeiter:innen erfolgt, sondern sie aktiv einbindet und dadurch ihr Vertrauen in das politische System stärkt.
Repolitisierung der Oben-unten-Konfliktlinie
Will die linke Mitte Arbeiter:innen zurückgewinnen, muss sie sich in ihrem politischen Angebot und in ihrer Ansprache von Rechten unterscheiden. Die Entfremdung der Arbeiterschaft von der politischen Linken und die Hinwendung zur neuen Rechten sind Symptome eines Phänomens, das der Arbeitssoziologe Klaus Dörre als »demobilisierte Klassengesellschaft« bezeichnet. Trotz eines verstärkten Ungleichheitsempfindens lässt sich eine Entpolitisierung der Klassenfrage beobachten. Statt der Kampfansage nach oben folgt der Tritt nach unten – in Form von verstärkter horizontaler Konkurrenz und Distinktion unter Gruppen von Lohnabhängigen (Beschäftigte gegen Transferempfänger:innen; Produktionsarbeiter:innen gegen prekäre Dienstleistungsbeschäftigte; deutsche Arbeiter:innen gegen Migrant:innen).
Die Soziologen Thomas Lux und Linus Westheuser sehen in der Repolitisierung der Oben-unten-Konfliktlinie das Potenzial einer linken Antwort auf die Spaltung der Lohnabhängigen von Rechtsaußen. Dabei gilt es, sich auf die Stärke linker Programmatik, nämlich die Priorisierung der Anliegen einer weniger privilegierten Mehrheit zu besinnen. Das beinhaltet eine Mobilisierung der gemeinsamen Interessen von Lohnabhängigen gegenüber Unternehmen und Reichen. Bürgergeldempfänger:innen, Migrant:innen, Dienstleistungsbeschäftigte, Produktionsarbeiter:innen, Fachkräfte und Angestellte sind gleichermaßen auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft und die Beschäftigung an einem sicheren Arbeitsplatz angewiesen. In der Ansprache über Arbeitnehmerinteressen sehen die Soziologen ein verbindendes Moment für eine klassenübergreifende soziale Konstellation aus Arbeiterschaft und kultureller Mittelklasse, welche Parteien links der Mitte auszeichnet. Ein Narrativ mit einer klaren Gegnerbestimmung in Form sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichernder Superreicher, Aktionär:innen und Großkonzerne sollte dabei mit konkreten Politikmaßnahmen zur Umverteilung (etwa eine stärkere Besteuerung von Vermögen und Unternehmensgewinnen) verbunden werden. Denn die Rückgewinnung der Glaubwürdigkeit und des verlorenen Vertrauens kann der politischen Linken nur über eine materielle Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Arbeiterschaft gelingen.
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