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Die AfD im Parlament Bewegung oder Partei?

Die rasante Erfolgsgeschichte der AfD, die mit dem Einzug in den Bundestag im letzten Jahr ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte, erfordert eine Neubewertung des populistischen Potenzials in der Bundesrepublik. Es stellt sich zudem die Frage, was ihre Präsenz für die Arbeit in den Parlamenten, für den politischen Wettbewerb und für die politische Mobilisierung der Wähler bedeutet. Wie wird die AfD auf Bundesebene agieren und wie werden die politischen Wettbewerber auf die neue Oppositionspartei reagieren? Im Forschungsprojekt »Die AfD in den Landtagen« des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) wurde die Arbeit der AfD zwischen 2014 und 2016 untersucht, um nicht nur Einblicke in die parlamentarische Funktionsweise dieser Partei zu gewinnen, sondern auch in die Reaktionslogik der anderen Parteien. Die Beobachtung, dass sich die AfD durch eine strukturelle wie inhaltliche Bipolarität auszeichnet, ist eines der zentralen Ergebnisse der Studie, die diesem Beitrag zugrunde liegt. In diesem Sinne ist die Heterogenität der AfD ein Wesenszug ihrer inneren Struktur und zugleich Basis ihrer politischen Strategie, die zwischen Anpassung an die bestehenden Bedingungen und gezielter Regelverletzung changiert. Besonders auffallend ist in diesem Kontext die Rollenverteilung zwischen radikalen Provokateuren und konservativen Pragmatikern, die auch ihr Auftreten als neue Oppositionspartei im Bundestag bestimmen könnte.

Schon bei der Bundestagswahl am 22. September 2013 deutete sich an, dass sich das Parteiensystem in Deutschland weiter ausdifferenzieren und sich die Struktur des politischen Wettbewerbs verändern könnte. Damals erhielt die AfD fast aus dem Stand 4,7 % der Zweitstimmen und verpasste damit den Einzug in den Deutschen Bundestag nur knapp. Seitdem gelang der AfD der Einzug in die Landesparlamente. In sieben Bundesländern erreichte sie zweistellige Stimmenanteile, in den Landtagen von Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt ist sie mit Stimmenanteilen von über 20 % zweitstärkste, in den Landtagen von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz drittstärkste Kraft. Sie hat die etablierten Parteien in Unsicherheit gestürzt; teilweise sogar von ihren Stammplätzen verdrängt und damit eine Diskussion über die Situation der Volksparteien ausgelöst.

Mit 12,6 % der Zweitstimmen schaffte die AfD bei der Bundestagswahl 2017 anders als noch 2013 den Einzug in den Deutschen Bundestag weit über der Fünf-Prozent-Hürde. Nach den gescheiterten Sondierungsgesprächen zwischen Union, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der im Anschluss gebildeten Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD stellt die AfD als Bundestagsneuling die größte Oppositionsfraktion. Es ist aber weniger die Größe der AfD-Fraktionen als vielmehr ihr Politikstil, der die anderen Fraktionen herausfordert.

Die Abgeordneten und Fraktionsverantwortlichen (Vorsitzende, Geschäftsführer) der Parteien jenseits der AfD sind sich in einer Einschätzung einig: Die Präsenz der AfD hat die Parlamentsarbeit verändert. Die Diskussionen, wie mit der AfD umzugehen ist, haben ein einhelliges Ergebnis: Ausgrenzen und Ignorieren sind keine geeigneten Vorgehensweisen. Die Formel lautet vielmehr: Abgrenzen, ohne auszugrenzen.

Provokationen in den Landtagen

Die Herausforderungen durch die AfD übertreffen in ihren Dimensionen die Konflikte, die die traditionellen Parlamentsparteien in den Landtagen gewohnt sind. Die Präsenz der AfD in den Landtagen bedeutet eine kommunikative Verunsicherung, hervorgerufen durch das Verhalten der AfD, das zuweilen üblichen parlamentarischen Gepflogenheiten entgegensteht. Verbale und nonverbale Provokationen machen manchmal eine rein politisch und sachlich orientierte Reaktion schwer, berichten die Verantwortlichen anderer Fraktionen aus fast allen Landtagen.

Das mag mit an der Struktur der Bipolarität liegen, welche die AfD in den Landtagen auszeichnet: Eine recht deutlich beobachtbare Rollenverteilung zwischen Provokateuren und Pragmatikern. Diese macht es den konkurrierenden Parteien schwer, Strategien des Umgangs und der politischen Gegenwehr zu finden. Gleich, ob diese Rollenverteilung strategisch angelegt ist, wie aus einer Außenperspektive von den Vertretern anderer Fraktionen teilweise vermutet wird, oder ob es einfach nur die Pluralität innerhalb der AfD-Fraktionen widerspiegelt, wie von AfD-Vertretern dargelegt – sie macht den Umgang schwierig.

Auffällig ist auch die in den meisten Landtagen vorherrschende Differenz zwischen Plenums- und Ausschussaktivitäten. Während vonseiten der AfD-Abgeordneten die erste und zweite Reihe im Plenum recht aktiv ist, wird in den Ausschüssen eher mäßig bis gar nicht mitgearbeitet. Die Gründe dafür liegen zum einen in dem Umstand, dass ein Großteil der AfD-Abgeordneten in den Landtagen kaum über Vorerfahrung in gewählten Repräsentationskörperschaften verfügt, mithin sogar die Qualifikation (noch) fehlt. Zum anderen bietet das Plenum mehr Möglichkeiten, um eine auch jenseits des Parlaments sichtbare massenmediale Aufmerksamkeit zu erzeugen. Der Vertreter einer anderen Fraktion interpretierte es so: »das Plenum als verlängerter Arm von Facebook«.

Insgesamt entsteht ein Bild großer Heterogenität. So gibt es in den AfD-Fraktionen nicht nur eine Bipolarität zwischen denjenigen, die eher auf die Entwicklung einer bewegungsorientierten Partei setzen, und denjenigen, die eine pragmatische, parlamentsorientierte Rolle in Richtung einer zukünftigen Regierungsbeteiligung befürworten. Es gibt auch Unterschiede zwischen den Fraktionen der einzelnen Landtage. Ein Versuch, den Charakter der AfD-Fraktionen in den Landtagen typologisch zu fassen, stützt sich zum einen auf die strategische Orientierung, zum anderen auf die inhaltliche Dimension.

Die strategische Orientierung der Fraktionen im parlamentarischen System wird durch ihre Führung geprägt, wobei aber nur etwa die Hälfte der Fraktionsvorsitzenden als »parlamentsorientiert« charakterisiert werden kann. Dazu zählen wohl an erster Stelle Berlin sowie Sachsen (vor dem Rück- und Parteiaustritt von Frauke Petry), Rheinland-Pfalz und – mit Abstrichen – Hamburg. Hauptprotagonistin der bewegungsorientierten Seite ist die thüringische Fraktion. Weiterhin sind die Fraktionen in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern zu den »bewegungsorientierten« Kräften zu zählen. Die baden-württembergische Fraktion nahm nicht zuletzt wegen der Rolle des ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Jörg Meuthen keine eindeutige Position ein, hat aber eine Tendenz zum bewegungsorientierten Oppositionskurs. Wieder findet sich, diesmal landtagsübergreifend, eine Doppelstruktur mit klarer Bipolarität.

Bipolare Struktur

Ist eine derartige bipolare Struktur auch in inhaltlichen Fragen erkennbar? Soweit sich das an Anträgen und Kleinen Anfragen ablesen lässt, sind die Fraktionen auch inhaltlich recht unterschiedlich aufgestellt. Insgesamt legen die AfD-Fraktionen in etwa doppelt so viel Gewicht auf Themen und Probleme in den Bereichen Asyl, Flüchtlingsfragen, Migration und Integration wie die anderen Landtagsfraktionen. Überraschend ist der Vergleich in Fragen der Inneren Sicherheit, also bei den Themen Kriminalität, Sicherheit und Ordnung sowie Polizei. Denn obwohl sie als Law-and-Order-Partei gesehen wird, lässt sich in diesen Bereichen in der parlamentarischen Arbeit keine signifikant höhere Thematisierungsquote feststellen als bei den anderen Parteien. Beide Themenbereiche (Flüchtlinge und Innere Sicherheit) zusammen machen bei den knapp 4.700 Kleinen Anfragen, die die AfD-Fraktionen in zehn Landtagen gestellt haben, etwa ein Drittel aus, bei den anderen Fraktionen sind es weniger als ein Fünftel.

Allerdings gibt es sowohl in der Behandlung des Themenclusters Asyl/Flucht/Migration/Integration wie bei den Themen rund um die Innere Sicherheit deutliche Unterschiede. Daran lässt sich ablesen, ob sich die AfD-Fraktionen dominant um wenige Themen kümmern oder ob sie sich in der parlamentarischen Arbeit breiter aufstellen. Im Folgenden ziehen wir dafür als Vergleichsmaßstab zum einen die anderen Fraktionen des jeweiligen Landtags, zum anderen den Durchschnitt der AfD-Fraktionen der betrachteten Landtage heran.

Die Thematisierungen durch die AfD fallen zwischen den Ländern zwar etwas unterschiedlich aus, aber im Grundsatz bleibt das Profil der Partei erhalten. In Berlin und Thüringen wird Migration am stärksten thematisiert (35,7 und 23,6 %), in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt am wenigsten (13,7 und 11,2 %). Innere Sicherheit wird wiederum in Berlin sowie Mecklenburg-Vorpommern von der AfD am häufigsten zum Thema gemacht (20 und 16,2 %), am seltensten in Rheinland-Pfalz (5,2 %) und Sachsen-Anhalt (8,3 %). Damit fallen die AfD-Fraktionen nirgendwo unter den Durchschnitt der Thematisierung von Migration und Integration, wohl aber in der Frage Innerer Sicherheit in den beiden Ländern, in denen dies am wenigsten thematisiert wird.

Ein klarer Zusammenhang zwischen der Konzentration auf die beiden Themen Asylsuchende/Flüchtlinge und Innere Sicherheit/Ordnung und der strategischen Ausrichtung (parlamentarisch vs. bewegungsorientiert) zeigt sich nicht. Fraktionen mit eher parlamentarischer Ausrichtung wie in Berlin oder Sachsen konzentrieren zwischen 35 und 55 % ihrer Kleinen Anfragen auf diese Themen ebenso wie die bewegungsorientierte Fraktion in Thüringen. Im Unterschied dazu sprechen die parlamentsorientierte Fraktion des rheinland-pfälzischen Landtags ebenso wie die eher bewegungsorientierte Fraktion des Landtags in Sachsen-Anhalt diese Thematiken in weniger als 20 % ihrer Anfragen an. Man kann also den Fraktionen mit dem Kurs der Bewegungsorientierung nicht vorwerfen, sie würden sich inhaltlich auf ein oder zwei Themenbereiche beschränken und seien deshalb eigentlich eher Single-Issue-Fraktionen. Ebenso wenig lässt sich von den Fraktionen mit einem Parlamentskurs sagen, sie würden sich inhaltlich breiter aufstellen.

Die AfD ist eine Koalition aus sehr unterschiedlichen Strömungen. Die Flügel reichen von Euroskeptikern bis zu Rechtsextremisten, von Provokateuren bis zu Pragmatikern. Die einen wollen das Parlament als Bühne nutzen, die anderen zeigen Interesse an ernsthafter Oppositionsarbeit. Für die etablierten Parteien bringt diese heterogene und bipolare Verhaltensweise große Unsicherheit mit sich. Die Oppositionsrolle der AfD im Bundestag stellt für alle Akteure eine neue Herausforderung im politischen Wettbewerb dar. Diesbezüglich wird zu beobachten sein, ob die Bundes-AfD eine ähnliche Verhaltens- und Debattenkultur an den Tag legt, wie auf Länderebene. Nach den ersten Sitzungen des Bundestages deutete sich bereits an, dass die AfD nicht, wie von einigen erwartet, als Fundamentalopposition auftritt. Insgesamt hat die Präsenz der AfD die Debattenkultur im Bundestag jedoch nachhaltig verändert, indem abweichende Positionen, Tabubrüche und Provokationen zunehmen. Die AfD trägt das Potenzial in sich, die von den etablierten Parteien eher vernachlässigten Themen pointiert und emotionsgeladen zu diskutieren. Wie oben bereits gezeigt, haben sich die konkurrierenden Parteien rasch auf die Lösung »Abgrenzen, ohne auszugrenzen« eingestellt. Die etablierten Parteien werden durch die Debattenkultur der AfD herausgefordert und sollten die Chance nutzen, ihre eigenen Positionen deutlicher und leidenschaftlicher zu begründen. Auf Bundesebene zeigt sich auch schon nach den ersten Plenarsitzungen, dass die AfD auf eine deutlich besser aufgestellte parlamentarische Gegnerschaft stößt als in den meisten Landesparlamenten. Es bleibt abzuwarten, ob Uneinheitlichkeit bis zum innerparteilichen Konflikt weiterhin ein Erfolgsrezept der AfD bleiben wird. Die strukturelle Bipolarität wird den Kurs der AfD auf jeden Fall weiterhin prägen.

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