Ja, denn der Fokussierung auf eine Kriegslogik muss ein Geist der Hoffnung gegenübergestellt werden, der den Möglichkeiten der Politik den Vorrang gibt.
Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine wird in Deutschland eine hitzige Diskussion über Krieg und Frieden geführt – doch bisher ohne Erkenntnisfortschritt und festgefahren in einer ritualisierten Endlosschleife »Waffen ja« versus »Waffen nein«. Wir scheinen in einer Gesellschaft zu leben, die sich selbst nicht mehr versteht, gleichzeitig aber von einem dystopischen Zeitgeist überwältigt wird.
»Kriegstüchtigkeit heißt die neue Devise.«
Das ist Ausdruck fehlenden Mutes, diplomatische und militärische Antworten auf den Krieg in einem Begründungszusammenhang denken zu wollen, von der fehlenden Perspektive für das Danach ganz zu schweigen. Diplomatie und Waffenlieferungen werden nur noch als Gegensätze begriffen. In seinem Furor hat sich der Mainstream dabei in eine Umwertung seines Denkens verrannt. Verteidigungsbereitschaft scheint nicht mehr zu reichen, Kriegstüchtigkeit heißt die neue Devise. War »Friedens- und Entspannungspolitik« in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts eine Tugend der Vernunft, die hohes politisches Können erforderte, so heißt es heute: »Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor« oder »Frieden schaffen mit immer mehr Waffen«. Zur Legitimierung wird die These von der »Zeitenwende« herangezogen, die einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit signalisieren soll.
Ausdruck von Geschichtsvergessenheit
Ohne die weltpolitischen Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte und die gegenwärtigen Bedrohungsszenarien zu leugnen, deren Ideologisierung als »Zeitenwende« ist leider ein Ausdruck von Geschichtsvergessenheit. Stand »der Russe« nicht sogar noch 1989 in Ost-Berlin? Gab es nicht auch nach 1945 grausame Kriege um internationale Einflusssphären? Waren die Kriegsängste unserer Eltern vor einer drohenden Eskalation mit den »Warschauer-Pakt Staaten« nicht weniger real als die heutigen Narrative eines russischen Angriffskrieges gegen Europa? Waren es nicht die gescholtenen Friedens- und Entspannungspolitiker Willy Brandt, Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher, deren Politik es zu verdanken ist, dass aus den Zeiten des »Kalten Krieges« keine Zeiten des »Heißen Krieges« wurden und die Weichen für ein friedliches Ende des Ost-West-Konflikts im Nachkriegseuropa des vergangenen Jahrhunderts gestellt werden konnten?
Der Begriff »Zeitenwende« überdeckt eigene Versäumnisse und lässt gegenwärtiges Handeln als alternativlos erscheinen.
Darüber hinaus hatten die politischen Ereignisse seit den 90er Jahren eine höhere Komplexität als die »Zeitenwende« es suggerieren will – angefangen bei den verpassten Chancen im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts, als aus ehemaligen Feinden durch ein »Gemeinsames Europäisches Sicherheitssystem« Partner hätten werden können. Stattdessen erlebten wir eine weitere Vertiefung der Ost-West Spaltung. Die sich dann anhäufenden Fehler im Umgang zwischen Ost und West bis hin zum gegenseitigen Vertrauensverlust, zu einer wortgewaltigen Sprachlosigkeit und neuen gegenseitigen Feindbildern entwickelten genau die gefährliche Dynamik, die sich orkanartig durch Putins Kriegslogik und seinen Angriffskrieg in der Ukraine entlud. Vereinfachungen wie die, der russische Einmarsch sei Resultat der NATO-Osterweiterung, werden dieser Tragödie ebenso wenig gerecht wie die Zeitenwende-Deutung, die Annexion der Krim und der Angriff auf die Ukraine seien das Ergebnis westlicher, namentlich deutscher Appeasement-Politik.
Der Begriff »Zeitenwende« überdeckt eigene Versäumnisse und lässt gegenwärtiges Handeln als alternativlos erscheinen. So war es denn für einen Vertreter dieser Alternativlosigkeit auch nur folgerichtig, den Beschluss zur Stationierung neuer Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden in der parlamentarischen Sommerpause wie einen einfachen Verwaltungsakt anzukündigen. Anders Helmut Schmidt, der in den 80er Jahren den NATO-Doppelbeschluss in einer großen gesellschaftlichen Debatte begründete. Und anders als damals geriet diesmal der diplomatische Verhandlungsaspekt, der mit einer geplanten Stationierung einhergehen kann, ganz in Vergessenheit.
Das Regierungsdenken ist gefangen in einer politischen Eindimensionalität, für die der Krieg der Anfang aller Dinge ist. Eine offene Gesellschaft kann an einem solchen Leitbild leicht zerbrechen, da es uns lähmt, vereinsamen und verhärten lässt. In den 80er Jahren konnte die westdeutsche Friedensbewegung mit ihrer Forderung »Frieden schaffen ohne Waffen« den die Gesellschaft einigenden Grundkonsens »Frieden schaffen mit immer weniger Waffen« herbeiführen. Wer will, dass unsere Gesellschaft auch heute in den Fragen von Krieg und Frieden zu sich selbst finden kann, muss sich eine solche neue Friedensbewegung geradezu herbeiwünschen.
Geist der Hoffnung
Nur ein Bündnis »derer, die nichts mehr von Rüstung wissen wollen, mit denen, die zu viel davon wissen« (Erhard Eppler, Bonn – Hofgarten, 1981) kann den gegenwärtigen Zeitgeist aus seiner sich selbst erfüllenden Prophezeiung »Warum die Welt keinen Frieden findet« herausholen und durch ein Politikprojekt ablösen: »Wie die Welt Frieden sichern kann«. Der Fokussierung auf eine Kriegslogik, die im Ergebnis auf die Endlichkeit in der Politik zusteuert, wird so auch in dunklen Zeiten ein Geist der Hoffnung gegenübergestellt, der den Möglichkeiten der Politik den Vorrang gibt, den Wagnissen, dem Neuen – und wenn es manchmal auch nur Versuche oder kleine Schritte des Friedens sind.
Noch fristet die aktuelle Friedensbewegung eher ein Randdasein. Und ein Bewegungspluralismus wie in den 80er Jahren ist heute noch nicht vorhanden. Orthodoxe und seligmachende Friedensbegriffe überwiegen. Darüber hinaus erweckt die Konzentration auf Sahra Wagenknecht und ihr Bündnis den verzerrten Eindruck, als ob sich die Bewegung ihrer machtpolitischen und taktischen Herangehensweise an die Friedensthematik unterordne.
Jedoch die Sache des Friedens ist zu existenziell, als dass die Bewegung nicht trotz aller Kritik unterstützt werden sollte. Denn schon einmal hat sich aus sehr unterschiedlichen Gruppen und Einzelpersonen eine breite soziale Bewegung entwickelt, die mit ihrer diskursiven Kraft die Gesellschaft neu zusammenführen konnte. Es wird Zeit, dass jenseits einer verengenden Kriegslogik wieder über Friedensperspektiven diskutiert wird.
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