Nein,denn eine neue Friedensbewegung würde der Ukraine keinen Frieden bringen, sondern lediglich Putin helfen und Unfrieden hierzulande stiften.
Was ist das eigentlich für eine Frage! Natürlich bräuchten wir eine Friedensbewegung: in Russland, in China, im Iran, in Nordkorea. Das Unangenehme an diesen Ländern ist nur, dass man dort eingesperrt oder umgebracht wird, wenn man seine Meinung öffentlich äußert. Ein Russlandexperte der Friedrich-Ebert-Stiftung sagte vor Kurzem, es sei sachlich nicht mehr richtig, Putin-Gegner in Russland als »Opposition« zu bezeichnen. Eine Opposition habe nach demokratischen Regeln im freiheitlichen Verfassungsstaat gewisse Rechte. Die wenigen Menschen, die es noch wagten, gegen Putins Diktatur aufzubegehren, seien in einem Modus, den man eher »Widerstand« nennen müsse.
Vor diesem Hintergrund möchte man speziell den »Friedensfreunden« von der Alternative für Deutschland und vom Bündnis Sahra Wagenknecht gern zurufen: »Geht doch in Moskau demonstrieren!« In Deutschland Appeasement-Gesänge anzustimmen, kostet gar nichts, es ist wohlfeil. Es ist übrigens auch der Sozialdemokratischen Partei unwürdig, die sich doch immer für Freiheit (!), Gerechtigkeit und Solidarität eingesetzt hat. Deshalb darf es jetzt auch nicht – auf Kosten der Ukraine, wo an jedem Tag Menschen leiden und sterben, weil Wladimir Putin den Gedanken an ihre Freiheit und Selbstbestimmung nicht ertragen kann – einen SPD-Wahlkampf geben, der durch unklare Botschaften bei der Unterstützung der Ukraine mit dem Friedensthema spielt.
Schon zur Europawahl, bei der die Partei 13,9 Prozent erreichte, warben die Plakate mit dem Kanzlerbild für »Frieden« und »Besonnenheit«. Diese Strategie wird der SPD bei der anstehenden Bundestagswahl aber erneut kaum nützen. Wer es wirklich ernst meint mit einem isolierten Deutschland, das äquidistant zwischen den Atom-Supermächten USA und Russland laviert, wählt AfD oder BSW – die Sozialdemokratie hingegen würde mit einem Wackelkurs noch mehr an Glaubwürdigkeit verlieren.
»Demokratisches Nation-Building hat auch inAfghanistan nicht gut funktioniert.«
Ja, Gerhard Schröder hatte 2002 Recht damit, Deutschland aus dem amerikanischen Krieg gegen den Irak herauszuhalten. Saddam Hussein besaß keine Massenvernichtungswaffen, und es war eine fragwürdige Idee der Amerikaner (die sie freilich mit manchen Grünen von heute teilen), Demokratie mit Feuer und Schwert verbreiten zu wollen. Demokratisches Nation-Building hat auch in Afghanistan nicht gut funktioniert. Schröder wusste all dies aber noch nicht, er tat das Richtige aus den falschen Gründen.
Das wiedervereinigte Deutschland darf kein Grenzgänger zwischen Ost und West werden. Selbstbestimmung und Frieden in Freiheit sind nur dauerhaft zu haben als fester Teil des Westens, auch wenn die USA einmal schwächeln sollten oder phasenweise trumpesk unbequem für ihre Alliierten werden.
Frieden ohne Freiheit?
Was Deutschland als westliche Friedensmacht einbringen kann sind ökonomische Stärke (trotz aller aktuellen Probleme), ein hoffentlich wiedererstarkendes Militär, Vertrauen in vielen Teilen der Welt und ein historisches Bewusstsein, das enorm viel über Unfreiheit, Krieg, Trauer, Schuld und das unfassbare Glück der Freiheit weiß. Frieden ohne Freiheit ist kein akzeptables politisches Ziel.
»Lieber rot als tot« war in den Zeiten des Kalten Krieges immer eine (finanziell großzügig von Moskau geförderte) Scheinalternative. Denn Gewaltherrscher zeichnen sich nicht selten dadurch aus, auch ihre alten und neuen Untertanen umzubringen, wenn es ihnen notwendig erscheint.
Eine neue deutsche Friedensbewegung, die faktisch aus AfD, BSW und (auch sozialdemokratischen) Altpazifisten bestünde, würde der Ukraine keinen Frieden bringen, allenfalls Unfrieden bei uns selbst, im eigenen Land. Putin spaltet, Putin triumphiert. Über die Köpfe der angegriffenen Ukrainer hinweg, denn das wäre die Konsequenz, wären »mehr Diplomatie« und »endlich Verhandlungen« eine schwierige Sache.
Halb Osteuropa schaudert bei der Vorstellung, dass sich Deutsche und Russen zu Lasten Dritter über irgendetwas einigen könnten. Polen, Balten und Tschechen haben nicht nur mit dem Hitler-Stalin-Pakt bitterste Erfahrungen gemacht. In der Ukraine hatte das kriegführende Nazi-Deutschland 1941 bis 1945 acht Millionen Menschenleben auf dem Gewissen: Gefallene, Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, Juden, Partisanen, Hungertote. Auch deshalb sind die Deutschen nicht vor allen anderen dazu berufen, die Ukrainer in der diplomatischen Vertretung ihrer eigenen Angelegenheiten zu beraten.
»Eine neue deutsche Friedensbewegung würde der Ukraine keinen Frieden bringen.«
Den Sicherheitsinteressen Moskaus ist von deutscher und internationaler Seite so exzessiv entsprochen worden, dass sich Wladimir Putins drohendes Gejammer über die gedemütigte russische Gefühlswelt besonders absurd ausnimmt. Stichworte sind in diesem Zusammenhang der Zwei-plus-Vier-Vertrag und die Charta von Paris (1990), das Budapester Memorandum (1994), die NATO-Russland-Grundakte (1997), der NATO-Gipfel von Bukarest, die Minsker Appeasement-Verhandlungen 2014/2015 und der deutsch-russische Startschuss für den Bau der Nordstream-II-Pipeline noch 2015, ein Jahr nach Russlands erstem Überfall auf die Ukraine.
Zu den Demonstrationen des guten Willens gehörten zum Beispiel die Beschränkung der Truppenstärke der Bundeswehr, der Verzicht der Ukraine auf ihre Atomwaffen und ihre Nicht-Aufnahme in die NATO. Mehr Besänftigung ist kaum vorstellbar – aber Besänftigung ist offenbar nicht das Signal, auf das Putin konstruktiv reagiert. Gleichwohl sind manche Deutsche eher bereit, den Amerikanern Schlimmes zuzutrauen: Russland hat die Ukraine angegriffen? Ganz klar, daran müssen die USA schuld sein! Das behauptet auch Putin jeden Tag.
Nur Stärke schützt vor Putin
Gleichwohl: Muss man die Angst nicht ernst nehmen, die laut Umfragen von INSA und Allensbach mindestens die Hälfte der deutschen Bevölkerung umtreibt und die – darin ähnlich wie Corona – Freundeskreise und Familien spaltet? Jede Angst vor Wladimir Putin ist gewiss berechtigt. Nur hat es keinerlei Sinn, sich irgendwelche Regeln oder »roten Linien« auszumalen, die für diesen Diktator verbindlich sein könnten. Wenn es etwas gibt, das vor ihm schützt, dann ist es Stärke. Insofern sollten sich auch alle Friedensbewegte zu Herzen nehmen, was der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt bei seiner Amtseinführung 1933, inmitten der schweren weltweiten ökonomischen Depression, seinen Landsleuten zurief: »Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst.« Mit Furcht spielt man daher nicht, man schürt sie nicht und macht keinen Wahlkampf mit ihr. Nein, wir brauchen keine neue Friedensbewegung.
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