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Ein neuer Band versammelt »verschwiegene Biografien« schwuler Architekten Das Schweigen brechen, Ressentiments abbauen

Es ist eine Utopie, und sie wird es wohl noch lange bleiben: Eine Welt, in der Menschen nicht aufgrund ihres Geschlechts und ihrer sexuellen Orientierung beurteilt, begünstigt oder benachteiligt werden. Dies zeigt auch der soeben erschienene Band Schwule Architekten, den die Architekturhistoriker Wolfgang Voigt, von 1997 bis 2016 stellvertretender Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt, und Uwe Bresan, von 2008 bis 2017 Redakteur, von 2017 bis 2020 stellvertretender Chefredakteur der deutschen Architekturfachzeitschrift AIT.

Der Band versammelt über Jahrzehnte hinweg recherchierte Porträts von Architekten, die gleichgeschlechtliche erotische Beziehungen den gemischtgeschlechtlichen vorzogen, oder das mutmaßlich taten. Denn in Deutschland, wo der 1871 eingeführte, unter den Nationalsozialisten verschärfte und in dieser Form bis 1969 gültige Paragraph 175, der generell sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts kriminalisierte und erst zum 31. Mai 1994 bis zu einem Schutzalter von 14 Jahren völlig abgeschafft wurde, stand diese Form der sexuellen Orientierung unter Strafe.

Von dieser Rechtslage her erklärt sich die Verwendung des Wortes »mutmaßlich«. Viele der in diesem reich bebilderten Band recherchierten Biografien sind solche, in denen die sexuelle Orientierung der Porträtierten geheim gehalten werden musste, da eine Offenlegung Sanktionen, Strafen, Auftragsstopps nach sich gezogen hätte.

Die Architektur war bis zum Ende des 20. Jahrhunderts ein weitgehend von Männern dominierter Berufsstand, verbunden mit einer idealtypischen Vorstellung des Architekten, der die Fähigkeiten des Künstlers und des Handwerkers mit extremer Durchsetzungsfähigkeit und Gelassenheit zusammenbringt, da die Baubranche von jeher großen konjunkturellen Schwankungen unterliegt und die Komplexität von Bau- und Planungsaufgaben ein herausragendes analytisches, psychologisches und ökonomisches Talent erfordert.

All das wird bis in unsere Zeit offensichtlich heterosexuellen Männern weit mehr zugetraut als homosexuellen. Das britische Architects Journal, das die beiden Herausgeber in ihrem Vorwort zitieren, untersuchte unter der Überschrift »Is architecture gay-friendly?« im Rahmen einer Erhebung unter 300 homosexuellen Architekten aus ganz Großbritannien deren persönliche Erfahrungen mit Homophobie innerhalb ihres beruflichen Umfeldes und ihren Umgang damit.

Das Ergebnis: Fast die Hälfte der Teilnehmer war in den vergangenen zwölf Monaten in ihrem Arbeitsumfeld direkt oder indirekt mit homophoben Äußerungen konfrontiert worden. Zwar gaben drei Viertel der Befragten an, bei einem Coming-out im Architekturbüro keine negativen Reaktionen von Vorgesetzten oder Kollegen befürchten zu müssen, gefragt nach dem Umgang mit dem Thema Homosexualität bei Terminen mit Auftraggebern, Zulieferern oder Baufirmen äußerte allerdings nur noch jeder Dritte, keine Bedenken zu haben, beim Blick auf Baustellen gar nur noch jeder sechste Studienteilnehmer.

Abschied von normativen Maskulinitätsvorstellungen

Wenn Voigt und Bresan also in der Geschichte der Architektur und in den Biografien der Protagonisten nach homosexuellen Architekten forschen, geschieht das auch aus diesem Grund: Sie möchten eine Entwicklung im Blick auf die Protagonisten der Architektur fördern, die sich von normativen Maskulinitätsvorstellungen verabschiedet, den Mut zum Bekenntnis fördert, das Schweigen zu brechen hilft, Ressentiments etwas entgegensetzt.

Doch um das zu erreichen, so zeigen die Porträts des Bandes, gilt es nicht selten, Schweigen zunächst zu interpretieren und sensibel für Lebensläufe zu werden, die auf eine klandestine homosexuelle Lebenspraxis hindeuten. Faktoren wie das Zusammenleben von Männern mit deren Schwestern, immens gesteigerte Produktivität als Sublimierung oder intensive Freundschaften mit Männern, denen keine Pendants mit Frauen gleichgestellt waren, wie die des Hamburger Stadtbaumeisters Fritz Schumacher (1869–1947) mit dem Altonaer Stadtbaumeister Gustav Oelsner (1878–1956) lassen vermuten, dass es etwas zu verstecken gab.

In ihrem jeweiligen Amt, so Voigt in deren Doppelporträt, waren Schumacher und Oelsner nur ihrer eigenen Stadt verpflichtet und offiziell Konkurrenten. Stattdessen nahmen sie früh Kontakt auf, besuchten sich zum Tee am Nachmittag, wie aus Briefen zwischen den beiden hervorgeht, und trafen Absprachen, wenn dies zum Nutzen von Hamburg und Altona war, die stadträumlich längst zusammengewachsen waren. Beide waren Junggesellen, doch während Oelsner sich zu seiner Homosexualität bekannte, gibt es bei Schumacher keine offiziellen Belege. Von 1909, dem Jahr seiner Berufung nach Hamburg, bis zu seinem Tod lebte Schumacher, wie Voigt zeigt, mit seinen beiden Schwestern zusammen, die ihm den Haushalt führten. Seine schriftstellerische Produktion war immens – 40 Bücher, etwa 500 Zeitschriftenaufsätze –, und so mutmaßt Voigt, habe der Diplomatensohn Schumacher überschüssige Energie über seine notgedrungene Askese, in Schaffen transformiert.

Dass ein Schweigen über die sexuelle Orientierung ratsam war, zeigt auch besonders eindrücklich das Porträt von Emilie Winkelmann (1875–1951), die sich unter dem Kürzel »E. Winkelmann« an der Universität einschrieb, also ihr Geschlecht verbarg, um zum Studium zugelassen zu werden. Nach ihrem gegen alle Widrigkeiten abgeschlossenen Architekturstudium eröffnete sie in Berlin ihr eigenes Büro, das schon bald genügend Aufträge hatte und bis zu 15 weibliche und männliche Angestellte beschäftigte. Zahlreiche ihrer Bauten waren dezidiert für Frauen vorgesehen. Sie blieb unverheiratet, war mutmaßlich lesbisch, in ihrer Familie erinnerte man sich an »Tante Emilie« als »eine etwas herrische Dame mit kurzen Haaren und Hosen«, wie Voigt in seinem Porträt beschreibt.

Dass auch Winkelmann sich über ihr Privatleben ausschwieg, verwundert umso weniger, wenn man dem Porträt weiterhin entnimmt, wie die allmählich aufkommende Präsenz von Frauen in dieser Männerdomäne für Unruhe sorgte. Der Kunst- und Architekturkritiker Karl Scheffler diskreditierte in seinem 1908 erschienenen Buch Die Frau und die Kunst Gleichberechtigung als eine ansteckende Krankheit und sagte den Frauen, die den Männern eine Domäne streitig machten, ein Handeln wider ihre Natur bei schleichendem Verlust ihrer Weiblichkeit nach.

Vor dem Hintergrund dieser beiden Beispiele wird das Ansinnen von Voigt und Bresan umso nachvollziehbarer, erscheint ihre akribische Durchsicht von Biografien so klar wie notwendig, verwandelt sich die Zweifelhaftigkeit des Spekulativen in ihrem Ansatz eines des »queer readings« der Quellen, das die poetisch verbrämten Formeln der Biografik entziffert und hinter den neutralisierenden Hüllen das Wahrscheinliche sucht, in Zwangsläufigkeit. Was aufgrund von Verboten und drohender Repression heimlich bleiben musste, liegt nun einmal hinter Schleiern und Andeutungen verborgen, die zu lüften nicht immer ganz gelingt.

Wer von diesem Band erwartet, dass schwulen Architekten ein spezifisch schwuler Entwurfsstil nachgewiesen würde, mag produktiv enttäuscht werden. Voigt und Bresan wenden sich entschieden gegen Susan Sontags These von der Kultur des Camps, die einen Zusammenhang von sexueller Abweichung und innovativer Gestaltung postulierte.

Bauten wie das gotische Schloss von Horace Walpole (1717–1797) in Twickenham, das, bewusst mit den ästhetischen Konventionen der Zeit bricht und ein neues Mittelalter evoziert, zum Ausgangspunkt eines kommenden Gothic Revival in Großbritannien wurde, könnten zwar als ästhetisch den Geschmack der Zeit ignorierend, sogar attackierend, verstanden werden, wenngleich er in der Folge der Realisierung dieses Entwurfs stilbildend wurde.

Doch eigenartige ästhetische Positionen lassen nicht auf sexuelle Orientierungen schließen, und umgekehrt. Wird einem durch die Lektüre deutlich, dass etwa der Arc de Triomphe du Carrousel in Paris von Pierre François Léonar (1762–1853) und Charles Percier (1764–1838, die, wie es heißt »in seltener Ausdauer und in liebevoller Anhänglichkeit miteinander verbunden«, als Hofarchitekten Napoleons mutmaßlich schwul waren, dass auch ein Franz Heinrich Schwechten (1841–1924), Architekt der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und des als Ruine noch heute sichtbaren Anhalter Bahnhofs es war, wird umso deutlicher verstehen, warum eine diesbezügliche Lesart zum Scheitern verurteilt ist, dass eine praktische Umsetzung diversitätspolitischer Forderungen auch vor dem Ästhetischen nicht haltmachen kann.

Viele der hier genannten Bauten sind eindrucksvoll, aber entsprechen durchaus dem Geschmack der Zeit. Allenfalls das Abgeschiedene manch privater Bauten, oder auf Rollen zusammenschiebbare oder gar getrennte Betten auch in Lebensgemeinschaften, wie der von Henry John Alexander Seely (1899–1963) und Paul Edward Paget (1901–1985), die zum Beispiel die 1960 fertiggestellte Kirche St. Andrew and St. George in der knapp 40 Kilometer nördlich von London gelegenen New Town Stevenage errichteten, zeigen: Schwule Architekten entzogen sich gern neugierigen Blicken oder kaschierten, was unsichtbar bleiben sollte.

Wolfgang Voigt/Uwe Bresan (Hg.): Schwule Architekten. Verschwiegene Biografien vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Wasmuth & Zohlen, Berlin 2022, 304 S., 163 Illustrationen, 39,80 €.

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