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picture alliance / Ik Aldama | Ik Aldama

Beobachtungen aus einem abgründigen Land »Das wirkliche Amerika!«

In wenigen Wochen wird Donald J. Trump als 47. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt. Was wird daraus folgen? Wie lässt sich einordnen und reagieren auf das, was gerade in den USA passiert? Im Moment fühlt es sich an, als säße man in einem Zug, der mit rasender Geschwindigkeit auf ein schwarzes Loch zufährt, über dessen Inneres man alles Mögliche mutmaßt und zugleich nichts weiß.

»Historisch sind auch halbwegs demokratische Gesellschaften in den autoritären Abgrund gerutscht – oder sie wurden gestoßen.«

Als Historikerin und derzeit in New York lebende Hochschullehrerin bin ich es gewohnt, in Möglichkeiten und Zusammenhängen zu denken, nach Ursachen zu suchen und nach Konsequenzen zu fragen. Ich weiß, wie halbwegs demokratische Gesellschaften historisch in den autoritären Abgrund gerutscht sind – beziehungsweise von ganz bestimmten Leuten und Interessengruppen unter ganz bestimmten Umständen willentlich gestoßen wurden. Ich weiß auch, dass die Gegenwart offene Geschichte ist, dass nichts zwangsläufig folgen muss und nur wenige Entwicklungen unaufhaltsam und unumkehrbar sind. Und ich ge­höre zu jenen, die glauben, dass die meisten Menschen danach streben, friedlich, angstfrei und auskömmlich zu leben.

In mancher Hinsicht erscheint dieser Moment wie ein Déjà-vu: Ich bin im August 2000 das erste Mal in die USA gezogen, um an einer kleinen Universität im Mittleren Westen Zeitgeschichte zu studieren. Während des damaligen Wahlkrimis im Rennen zwischen Al Gore und George Bush Jr., der an der Auszählung von 300 Stimmen in Florida hing, habe ich das politische System der USA kennen und verstehen gelernt. Das Schlimmste, was man sich damals vorstellen konnte, war, dass Bush nach seinem vom Supreme Court geschenkten Sieg, nach dem illegalen Angriffskrieg gegen den Irak und mit dem Versagen nach Hurrikan Catrina noch einmal gewählt werden würde. 2004 kam es genau so.

Und genau das hat sich nun auf bizarre und vermutlich ungleich folgenreichere Weise wiederholt. Donald Trump ist trotz – undwegen – seines faschistisch-protektionistisch-reaktionären Programms sowie seines Agierens im Weißen Haus und seit der Niederlage 2020 von einer zwar schmalen, aber dennoch klaren Mehrheit wiedergewählt worden. Er hat nicht nur die Wahlmännerabstimmung gewonnen, sondern sogar die Popular Vote – die Mehrheit der abgegebenen Wählerstimmen.

»Der Trumpismus ist nicht nur eine Bewegung des Heartlands.«

Es war selbst im liberalen Manhattan zu erahnen: Die meisten, die ich außerhalb der akademischen Welt sprach, sagten, sie würden »natürlich« Trump wählen, er sei einfach besser für die Wirtschaft. Einige meiner sehr wachen und sehr linken Studierenden verkündeten mit Nachdruck, dass sie nicht wählen würden – und »wegen Gaza« schon gar nicht für Harris. Gegen Trumps ultimative Wahlkampfveranstaltung im Madison Square Garden am 27. Oktober (»DREAM BIG AGAIN!«) demonstrierten draußen keine 100 Gegendemonstranten (»Please, not Trump!«). Und nicht erst seither gibt es in den Souvenir-Shops der Stadt MAGA-Produkte noch und nöcher. Der Trumpismus ist nicht nur eine Bewegung des Heartlands. Er ist eine Sammlungsbewegung mit nationaler, multiethnischer und schichtenübergreifender Reichweite.

Doch die naheliegendere Analogie ist hier nicht 2004, sondern 2016, als Trump das erste Mal die Präsidentschaft gewann. Die Erfahrungen dieser Jahre – vom Travel Ban bis zur Erstürmung des Kapitols am 6. Januar 2021 – und die Diskussionen der letzten Monate über die faschistischen Wesenszüge seiner Politik haben dazu geführt, dass man auf der anderen Seite nun mit wirklich allem rechnet. Das als boden- und ankerloses Schiff versinnbildlichte Land bekommt eine Regierung, die per Project 2025 »die Republik in ihrer ursprünglichen Verankerung (»original moorings«) wiederherstellen« möchte. »Willkommen im wahren Amerika!«, seufzte jemand so resigniert wie realistisch im Zug nach Washington am Tag nach der Wahl.

Abgesehen von der Suche nach den Ursachen für die Niederlage von Kamala Harris (die angesichts ihrer Ausgangslage alles andere als kläglich war), führt diese Einsicht in die faktisch bevorstehende Revolution von rechts obenim demokratischen Lager zu einer Haltung, die zwischen Trauer und Trotz changiert. Proteste sind klein, vereinzelt und beinah in sich gekehrt. Vor allem Frauen mobilisieren, etwa unter dem doppelsinnigen Motto »We’ve got us«. Wir haben uns, und wir stehen füreinander ein. Jene Freunde, Kolleginnen und Studierenden, die vor der Wahl entweder keinen Satz über den 5. November verlieren wollten oder über nichts anderes sprechen konnten, tragen tagelang schwarz, werden krank, sitzen verweint in Lehrveranstaltungen und fürchten sich vor der Zukunft – dem nahen Horror der Holidays at home in Texas, und dem globalen Horror danach. Manche meiden die Nachrichten bis zum 19.1.25, dem Tag vor dem Tag X. Dazwischen einige wenige klassisch-optimistische Stimmen: Wird schon nicht ganz so schlimm werden; weckt mich, wenn’s vorbei ist; Amerika ist doch so reich und divers und komplex, dass eine autoritäre Umordnung der Republik am Ende nicht gelingen wird ...

»Man wappnet sich gegen die Folgen des angekündigten bildungs- und kulturpolitischen Kahlschlags.«

Derweil werden Bürgerinitiativen und Aktionspläne aus der Zeit um 2016 wiederbelebt, Vernetzungen geplant, historische Lehren geprüft. Unternehmen überdenken ihre Informationspolitik zum Visa-Status von Mitarbeitern und holen juristischen Rat ein, um die Zwangsdeportation »illegaler« Menschen zu verhindern oder zumindest zu erschweren. Unileitungen versprechen, diesmal »übervorbereitet« zu sein. Man gründet Beiräte und Taskforces, um sich gegen die institutionellen, wirtschaftlichen und individuellen Folgen des angekündigten bildungs- und kulturpolitischen Kahlschlags einer Trump-Vance-Administration zu wappnen.

Und die allabendliche politische Satire? Sie versucht es weiter mit Humor, doch das »satanischste Jahr« der US-Geschichte (Saturday Night Live)geht mit einer todernsten, zutiefst verantwortungsbewussten Trotzstimmung zu Ende. Dem designierten Chef des F.B.I., Kash Patel – Sohn indischer Einwanderer, Jurist und deep-state‑Hasser, der die Mitglieder des parlamentarischen Ermittlungsausschusses zum 6. Januar ins Gefängnis werfen will – rotzte der einflussreichste Late-Night-Comedian, Stephen Colbert, im Namen seiner Kollegen in die laufende Kamera: »Ach wirklich? Siehst du mich zittern, Kash? Lass mich dir helfen, dich an mich zu erinnern, okay? Ich bin ein mittelalter, braunhaariger, weißer Mann mit einer TV-Abendshow, und ich werde mich niemals den Autoritären beugen!«

Doch am nachdrücklichsten kommt die Berechtigung dieser Trauer-Trotz-Haltung – und zugleich ihre absolute Unzulänglichkeit – in der Entscheidung Joe Bidens zum Ausdruck, seinen bereits schuldig gesprochenen Sohn Hunter zu begnadigen. Dass sich der 46. Präsident entgegen seiner inneren Überzeugung zu diesem Schritt entschlossen hat, unterstreicht wie kaum ein anderes Ereignis das Ausmaß der autoritären Bedrohung, vor dem die USA nun stehen. Ein rechtsstaatliches Justizsystem garantiert seinen Bürgerinnen und Bürgern eine maßvolle, ermessensbasierte Anwendung strafender Gewalt. Auch Hunter Biden hätte darauf Anspruch gehabt, doch ging sein Vater davon aus, dass ihn eine unter Trump operierende und auf »Abrechnung« eingeschworene Justiz mit der Höchststrafe von 25 Jahren ins Gefängnis geschickt hätte. Dieser singuläre Begnadigungsakt seitens eines Demokratischen Präsidenten ist eins der krassesten Zeichen für die Tiefe der Krise der amerikanischen Republik.

Seit den Reagan-Jahren wird die »Konservative Revolution« vorbereitet.

In diesem Zusammenhang sei an die zwei Grundprinzipien erinnert, auf die jede genuin demokratische Ordnung den Politikwissenschaftlern Daniel Ziblatt and Steven Levitsky zufolge angewiesen ist: die nicht feindselige Achtung des politischen Gegners und die exekutive Zurückhaltung bei der Ausübung vorrübergehend verfügbarer staatlicher Macht. Beide Prinzipien waren in der Republikanischen Partei lange vor Trump obsolet geworden; vielmehr bereitete diese im Pakt mit rechtsreligiös-evangelikalen Organisationen (Stichwort Heritage Foundation) seit den Reagan-Jahren systematisch jene »Konservative Revolution« gegen den »langen Marsch des kulturellen Marxismus« vor – und kann sie ab dem 20. Januar in die Tat umsetzen –, von der die europäische Rechte seit den 1920er Jahren träumt.

Die US-Demokraten wiederum haben zwar länger und konsequenter an diesen Prinzipien festgehalten, was unter anderem dazu geführt hat, dass Barack Obama das Land zwischen 2014 und 2016 nicht hinreichend auf die Gefahr einer Trump-Präsidentschaft vorbereitet hat. Doch nun hat Biden zumindest eins davon ebenfalls preisgegeben – zur Rettung seines Sohnes, aber vielleicht auch aus Einsicht, der autoritären Bedrohung nicht mehr mit den bislang für bewährt erachteten Regeln und Mitteln gewachsen zu sein. Man könne nicht länger mit einem Eislöffel zum Messerkampf erscheinen, kommentierte der Journalist Jonathan Capehart Bidens präzedenzlose Entscheidung.

Seit einer Dekade bestimmt die MAGA-Bewegung die politische Agenda und Kultur nicht nur der USA, sondern sie wirkt auf vielschichtige Weise in andere Staatswesen und ganze Gesellschaften weltweit hinein. Was es konkret bedeutet, dass Trump mit seinem Wahlsieg 2024 die vollständige Übernahme einer der beiden literally staatstragenden Parteien krönen konnte, treibt sehr viele Amerikanerinnen und Amerikaner um. Dass es lange nicht genug sind, zeigt die wiederum niedrigere Wahlbeteiligung von etwas über 60 Prozent. Solange das Bild so gemischt ist, gibt es Grund für Zuversicht ebenso wie für Verzweiflung, gerade von außen betrachtet und angesichts so vieler weiterer Ungewissheiten.

Nur eines scheint am Vorabend einer zweiten Trump-Präsidentschaft sicher: Die Frage, wie sich zwar demokratisch legitimierte, aber antiliberal ausgerichtete Kräfte zurückdrängen lassen, stellt sich akut nicht nur in den USA, sondern in vielen anderen autoritär brodelnden Demokratien. Von den strategischen und programmatischen Antworten, die die anti-autoritären Kräfte finden müssen ohne selbst undemokratisch zu werden, hängt ab, ob die liberale Demokratie im 21. Jahrhundert überhaupt eine Zukunft hat.

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