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Nationale Alleingänge verschärfen auch die globalen Herausforderungen Der Reiz der Wagenburg

6. November 2024, 2:11 Uhr MEZ: US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris liegt im entscheidenden Swing-State Pennsylvania mit 78,2 Prozent der Stimmen deutlich vor ihrem Gegenkandidaten Donald Trump. / 4:20 Uhr:Das Zwischenergebnis der Stimmenauszählung in Pennsylvania dreht sich zugunsten von Donald Trump. Er führt nun knapp mit 50,4 Prozent, Harris fällt auf 48,7 Prozent zurück. / 8:30 Uhr:Trump erklärt sich zum Sieger der US-Präsidentschaftswahlen 2024.

In dieser Wahlnacht im November 2024 lagen Hoffnung und Enttäuschung dicht beieinander. Pennsylvania, der alles entscheidende Swing-State, stand im Fokus der Weltöffentlichkeit. Nur kurz sah es so aus, als könnte Harris den Staat für sich gewinnen und damit ein Comeback von Trumps »America-First«-Politik verhindern. Noch während der Stimmenauszählung steht Donald Trump auf der Bühne des Kongresszentrums in West Palm Beach und reklamiert den Wahlsieg für sich. »Wir werden das Land heilen«, beginnt er seine Rede und verkündet den Beginn eines »goldenen Zeitalters«, in dem, so behauptet er, Amerika zu seiner alten Größe zurückfinden werde. Seit dem Morgen des 6. November ist also klar, dass die US-Politik in den nächsten Jahren wieder einen nationalistischen Kurs einschlagen wird.

Die Angst vor Inflation dominiert die Wahrnehmung.

Hinter diesem Kurs, der für uns in Europa eher ein Sinnbild für Populismus, Fake News, übertriebene Superlative und gefährliche Polemik darstellt, steckt für viele Amerikaner:innen aber auch die einfache Hoffnung auf ein sichereres und stabileres Leben ohne die sonst allgegenwärtige Angst vor persönlichem wirtschaftlichen Abstieg in einem Land ohne ein nennenswertes Sozialsystem. Dabei herrscht diese Kombination aus wirtschaftlicher Hoffnung und Angst in einer Zeit, in der die amerikanische Wirtschaft ziemlich boomt. Dennoch, trotz sinkender Inflation fühlen sich viele Amerikaner:innen weiterhin finanziell belastet. Die Angst vor (weiter) steigenden Lebenshaltungskosten dominiert die Wahrnehmung: Laut einer aktuellen Ipsos-Umfrage sehen rund 50 Prozent der Amerikaner:innen die Inflation als größtes Problem ihres Landes an – und das, obwohl diese in den letzten zwei Jahren stark gesunken ist, das Bruttoinlandsprodukt wächst und die Arbeitslosenquote vergleichsweise niedrig ist.

Protektionismus als Heilmittel?

»America First« bedient genau diese pessimistische Einschätzung, indem es eine scheinbar einfache »Heilung« verspricht durch weniger Globalisierung, mehr nationale Produktion und den Schutz heimischer Arbeitsplätze. Dabei verkennen viele aber, dass Trumps Wirtschaftsprogramm – das eine kompromisslose Priorisierung nationaler Interessen vorsieht – erst recht nicht zu mehr sozialer Gerechtigkeit in den USA führen wird. Denn die scheinbare »Heilung« basiert auf Maßnahmen wie (Straf-)Zöllen, Handelsbeschränkungen und der Bevorzugung nationaler Produktionen, natürlich völlig losgelöst von jedweder expansiven Sozialpolitik – stattdessen eng verbunden mit einer starken Umverteilung von unten nach oben durch gezielte Steuergeschenke. Besonders profitieren werden davon jene Wirtschaftsakteure, die eng mit Trumps Agenda verbunden sind – nämlich die Industrie selbst.

Zudem zeigt die Geschichte, dass Protektionismus selten zu einem nachhaltigen wirtschaftlichen Aufschwung führt. Er mag kurzfristig einige Branchen stützen, doch langfristig werden beispielsweise Strafzölle die Produktionskosten für US-Unternehmen, die auf importierte Rohstoffe und Komponenten angewiesen sind, erhöhen. Diese höheren Kosten werden auf die Verbraucher:innen abgewälzt, was die Preise ansteigen lässt und die wirtschaftliche Situation der Amerikaner:innen verschlechtert. Nicht ohne Grund warnte deshalb eine Vielzahl von Wirtschaftsnobelpreisträger:innen vor Trumps Wiederwahl: Protektionismus schadet der wirtschaftlichen Stärke der USA und ignoriert globale Herausforderungen wie den Klimawandel.

Andererseits ist auch klar, dass ein rein neoliberaler Wirtschaftskurs, der auf grenzenlose Globalisierung setzt, genauso wenig das wirtschafts- und vor allem sozialpolitische Allheilmittel sein kann. Für Wohlstand, sowohl national wie auch international, braucht es weder einen reinen Protektionismus noch einen reinen freien Handel. Vor diesem Hintergrund plädierte am Morgen des 6. November die deutsche Ökonomin Isabella Weber, Professorin an der University of Massachusetts Amherst, für eine »antifaschistische Ökonomik«.

Das Konzept der antifaschistischen Ökonomik hat zum Ziel, dem Faschismus die soziale Grundlage durch eine progressive Wirtschaftspolitik zu entziehen. Dabei wird auf sozialpolitische Maßnahmen gesetzt, wie gezielte Preiskontrollen, die Abfederung von Krisen – etwa durch Inflationsschutz – und einen stärkeren Fokus auf soziale Sicherheit, um Ungleichheiten abzubauen. So soll verhindert werden, dass (wahrgenommene) wirtschaftliche Notlagen von populistischen oder autoritären Bewegungen ausgenutzt werden können. Gleichzeitig legt die antifaschistische Ökonomik großen Wert auf internationale Zusammenarbeit, insbesondere bei globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel. Durch kollektive Anstrengungen sollen langfristige Stabilität und sozialer Fortschritt gefördert werden.

Die globale Strahlkraft

Aber dieses Konzept hat augenscheinlich außerhalb einer bestimmten akademischen »Bubble« noch keine große Aufmerksamkeit erlangt, denn die politische Realität sieht anders aus. Solche nationalistischen Tendenzen sind nämlich keineswegs ein rein amerikanisches Phänomen. In Europa begeistern sich bereits unterschiedlichste Parteien an dieser Renationalisierungstendenz. Ob »La France d’abord« in Frankreich, »Take back control« in Großbritannien oder »Unser Land zuerst« in Deutschland – die Rhetorik des Nationalismus ist auch in europäischen Ländern wieder salonfähig geworden.

»Rechte Parteien weltweit erhoffen sich von Trumps Erfolg einen Normalisierungseffekt.«

Dabei ist es nicht groß überraschend, dass die AfD sich in ihrer politischen Strategie stark an Trumps America-First-Politik orientiert. Mit ihrer Kampagne »Unser Land zuerst« greift sie nicht nur dessen Rhetorik auf, sondern versucht auch, ähnliche nationalistische und isolationistische Ziele zu verfolgen. Von Trumps Erfolg erhoffen sich also rechte Parteien weltweit einen gesellschaftlichen Normalisierungseffekt für ihre eigenen nationalistischen Positionen – sowohl wirtschafts- als auch allgemeinpolitisch.

Aber nicht nur die AfD, auch Parteien der »Mitte« treiben die Renationalisierung voran. Besonders in der Außen- und Entwicklungspolitik wird ein Überbietungswettbewerb rechtspopulistischer Forderungen geführt, um Wähler:innen von der extremen Rechten zurückzugewinnen. Eine zentrale Zielscheibe dieser nationalistischen Perspektive ist zum Beispiel die Entwicklungszusammenarbeit. Der ehemalige Bundesfinanzminister Christian Lindner forderte in den vergangenen Monaten wiederholt massive Kürzungen etwa im Entwicklungsetat – ein Ansatz, der klar als »Germany-First«-Politik gewertet werden kann. Ebenso blockierte die FDP Kompromisse beim europäischen Lieferkettengesetz, indem sie deutsche (Konzern-)Interessen kompromisslos über das Menschenwohl stellte. Auch die CDU unter Friedrich Merz zeigt mit ihrer Positionierung eine deutlich nationalere Tendenz als noch unter Angela Merkel. Beim Migrationsgipfel im September stand der CDU-Chef vor der Wahl, Fundamen­talopposition zu betreiben oder staatspolitische Verantwortung zu übernehmen. Statt sich konstruktiv einzubringen, setzte er jedoch auf nationale Kompromisslosigkeit: schärfere Abschieberegelungen, die Einschränkung von Asylverfahren und eine rigorose Abschottungspolitik.

Diese Diskursverschiebung nach rechts von Parteien der »Mitte« hat weitreichende Folgen: Es geht hier längst nicht mehr nur um parteipolitische Machtspiele oder Wahlkampfprovokationen. Mit solchen Aussagen bereitet man, wie zahlreiche politikwissenschaftliche und soziologische Untersuchungen zeigen, autoritären und faschistischen Tendenzen den Boden, indem man Solidarität und internationale Verantwortung gezielt infrage stellt.

»Internationale Zusammenarbeit ist keine Wahlmöglichkeit, sondern eine Notwendigkeit.«

Bei all den rechten Narrativen, die in der politischen Debatte immer wieder befeuert werden, gerät leicht in Vergessenheit, dass internationale Zusammenarbeit in einer vernetzten Welt keine Wahlmöglichkeit, sondern eine Notwendigkeit ist. Globale politische Kooperation infrage zu stellen, zieht weitreichende Konsequenzen nach sich – insbesondere, da das Kapital ohnehin global vernetzt bleibt. Nationale Alleingänge hingegen verschärfen globale Herausforderungen wie den Klimawandel, Migration oder Pandemien und fügen letztlich auch dem eigenen Land langfristigen Schaden zu.

Zudem ist es ein weitverbreiteter Irrglaube, dass weniger internationale Zusammenarbeit automatisch mehr soziale Gerechtigkeit auf nationaler Ebene schafft. Soziale Sicherheit und Gerechtigkeit entstehen nicht durch Abschottung, sondern durch bewusste politische Entscheidungen. Dabei muss aber ebenso klar sein, dass durch das Wählen rechter Parteien, die Nationalismus und soziale Spaltung fördern, keine sozialen Strukturen gestärkt werden. Denn faschistische Ideologien stehen im Widerspruch zu einer solidarischen Gesellschaft. Der von Rechten immer wieder angesprochene Widerspruch zwischen humanitärem Engagement und Eigeninteresse gibt es so eben nicht. Globale Zusammenarbeit und nationale Sozialpolitik gehen miteinander einher und zahlen langfristig auf das gleiche Konto ein.

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