E.T.A. Hoffmann – Schriftsteller, Musiker, Komponist, Kapellmeister, Zeichner, Regisseur, Musikkritiker, im Haupt- und Brotberuf Jurist – war die vielseitigste Künstlerpersönlichkeit der deutschen Romantik, ein hochgenialer Mensch von feiner Empfindsamkeit und fantastischer Erfindungsgabe. Die Zeitgenossen Hoffmanns schauten oftmals befremdet auf die bizarren Züge seiner Erscheinung, auf das Exzentrische seines Wesens.
Sogar ein von solchen exzentrischen Zügen selber nicht freier Autor wie Jean Paul befand in einem Nachruf auf Hoffmann, dieser habe sich »zuletzt aus dem poetischen Wahnsinn in einen wirklichen hineingeschrieben«. Auch der Geheimrat Goethe in Weimar scheute sich nicht, von den »krankhaften Werken des leidenden Mannes« zu sprechen. Das war so recht vom Weimarer Olymp herab geurteilt. Goethe war es auch, der das Wort vom »Gespenster-Hoffmann« in die Welt setzte, welches dem Verfasser der Elixiere des Teufels und der Nachtstücke lange Zeit anhing, nicht zu seinem Vorteil.
Es hat daran mitgewirkt, dass Hoffmanns anfangs viel gelesenes Werk allmählich in den Schatten geriet und immer geringere Wertschätzung erfuhr. So schrieb etwa Hegel in seiner Ästhetik von der Fratze »innerer haltloser Zerrissenheit, in der sich Theodor Hoffmann wohlgefiel«. Joseph von Eichendorff, der Verfasser der erzromantischen Novelle vom Taugenichts, hat dieses Urteil in abfälligster Weise bestätigt, als er schrieb, bei Hoffmann senke sich die Romantik von ihrer erstrebten Höhe »unaufhaltsam immer rascher und tiefer bis zum Gemeinen wieder herab...«
Anderthalb Jahrhunderte später lässt sich feststellen, dass von Hoffmanns Werk mehr dauerhaft aktuell geblieben ist als vom Werk seines einstigen Kritikers. Aber wie wirksam sich das negative Urteil über Hoffmann bis ins 20. Jahrhundert erhielt, belegt eine Kindheitserinnerung Walter Benjamins an den »Gespenster-Hoffmann« und die damit verbundene »strenge Weisung«, seine Werke niemals aufzuschlagen.
Unter den Autoren der deutschen Romantik war Hoffmann eine Ausnahmeerscheinung, er repräsentiert nicht die nach innen, ins Gemüthafte gewandte Romantik, mit der wir Naturfrömmigkeit, Seelentiefe, Innigkeit verbinden oder die, um es mit einem sehr deutschen, schwer in andere Sprachen übersetzbaren Wort zu sagen, »Innerlichkeit«. Diese Romantik war Traum, Musik, Waldeinsamkeit, Fernweh, Heimweh, poetische Verzauberung gemäß der berühmten Eichendorff-Maxime »Und die Welt hebt an zu singen,/Triffst du nur das Zauberwort«.
Hoffmann versuchte die Welt nicht zu verzaubern, er entzauberte sie vielmehr, indem er seine Gespenster mitten in der bürgerlichen Welt beschwor. Man kann es schon daran ablesen, dass Hoffmanns Gestalten in der Regel ihren genauen sozialen Standort haben: Rang und Beruf sind meist präzis definiert. Dass es neben der realen Welt eine fantastische Welt gibt, dass der königliche Archivarius Lindhorst in der Geschichte vom Goldnen Topf einen Brief als »Salamander Lindhorst« unterzeichnen kann, muss diesem Befund nicht widersprechen. Auch Hoffmanns Geister und Gespenster stammen nicht aus irgendeinem Jenseits, sondern aus dem realen Leben, aus der konkreten Erfahrungswirklichkeit.
Der romantische Schauerroman oder die gothic novel englischer Herkunft musste noch alle möglichen Requisiten aufbieten, um ihre unheimlichen Wirkungen zu erzielen. Hoffmann kommt ohne Hexen, Friedhöfe, Einsiedeleien und andere schauerromantische Kulissen aus, seine Schrecken stammen aus tieferen Schichten, durchaus im Sinne des berühmten Satzes von Edgar Allan Poe: »Wenn in vielen meiner Arbeiten der Schrecken das Thema ist, so behaupte ich, dass dieser Schrecken nicht aus Deutschland, sondern aus der Seele kommt.«
Dichter und Tonkünstler
In Hoffmanns Geschichten tritt zum ersten Mal eine Kunst auf den Plan, die das Fantastische im bürgerlichen Leben, das Entsetzliche in der Alltagswirklichkeit entdeckt, etwa im Motiv des Doppelgängers oder der Bewusstseinsspaltung. Diese Geschichten sind, wie der Schriftsteller Franz Fühmann, einer der beharrlichsten Anwälte Hoffmanns, schrieb, »Modelle eines gespenstisch werdenden Alltags, und zwar eines Alltags höchster Konkretheit, zu dessen präziser Wesensbestimmung eben auch das Gespenstische in seinen disparaten Existenzweisen gehört«. Zweifellos ist Hoffmann der große Erzähler der deutschen Romantik, und so gibt es zu denken, dass seine immense Wirkung sich nicht am stärksten in Deutschland, sondern jenseits unserer Grenzen, in Russland, Frankreich und Amerika, vollzog.
Hoffmann war 39 Jahre alt, als er 1814 als Richter an das Berliner Kammergericht berufen wurde. Die Laufbahn des Schriftstellers war ihm noch nicht klar vorgezeichnet, er selbst sah sich, neben dem juristischen Brotberuf, auch und vielleicht vor allem als Komponist. Als er von Dresden, seinem letzten Wohnsitz, nach Berlin aufbrach, hatte er im Reisegepäck die unvollendete Oper Undine nach der berühmten Erzählung von Friedrich de la Motte Fouqué, die am 3. August 1816 im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt uraufgeführt wurde, zum Geburtstag des Königs und in den Bühnenbildern von Karl Friedrich Schinkel – ein großer, lebhaft akklamierter Erfolg.
Hoffmann war ein vielseitig begabter Mensch, aber mit Blick auf den Dichter und den Komponisten lässt sich von einem inneren Zwiespalt sprechen. Gelegentlich wird ein prophetisches Wort Jean Pauls zitiert, geschrieben 1813: »Denn bisher warf immer der Sonnengott die Dichtergabe mit der Rechten und die Tongabe mit der Linken zwei so weit auseinander stehenden Menschen zu, daß wir noch bis diesen Augenblick auf den Mann harren, der eine echte Oper zugleich dichtet und setzt.« Man bezieht diesen Satz meist auf Richard Wagner, der 1813 geboren wurde, aber gemünzt war er auf E.T.A. Hoffmann, dessen Fantasiestücke in Callot›s Manier Jean Paul mit einer Vorrede einleitete.
Aber ein Richard Wagner ist Hoffmann nicht geworden, obwohl er mit seiner Oper Undine und einigen anderen Kompositionen einen ehrenvollen Platz in der Musikgeschichte einnimmt. Als Komponist wird er bereits von dem Musikkritiker Hoffmann überflügelt, über den gesagt worden ist, erst seither könne man in einem anspruchsvollen Sinn über Musik überhaupt schreiben. Erst im letzten Jahrzehnt seines Lebens trat die Literatur immer stärker in den Vordergrund, aber ob Hoffmann darin jene künstlerische Erfüllung fand, die er sich gewünscht hatte, muss offenbleiben. Ein Schöpfer vom Range Mozarts oder Beethovens zu sein, hätte ihm wahrscheinlich mehr gegolten.
Hoffmanns Schreckenswelten, das im Wortsinn Verrückte so vieler seiner Arbeiten, der Vorstoß in seelische Grenzbereiche und psychische Anomalien, förderten die Neigung der Zeitgenossen, sich auch den Verfasser dieser Bücher als halbverrückt vorzustellen. Er galt als Sonderling, der ein Doppelleben führte: punschberauschter Dichter zur Nacht, kühler, nüchterner Kopf am Tag, auf seinem Amt, dem Berliner Kammergericht. Viele Zeugnisse seiner Freunde scheinen das zu bestätigen.
Doch passt dazu kaum das Gutachten über den Juristen Hoffmann, das der Vizepräsident des Kammergerichts für seinen Minister schrieb: »Sein hervorstechendes Talent, sein Scharfsinn und die Präzision seiner Arbeiten sind Ew. Exz. bekannt wie die Gründlichkeit derselben und das angenehme Gewand, worin er auch die abstraktesten Sachen zu kleiden weiß. Seine schriftstellerischen Arbeiten, denen er zuweilen noch die Stunden der Erholung und der Muße widmet, tun seinem Fleiße keinen Eintrag, und die üppige, zum Komischen sich hinneigende Phantasie, die in denselben vorherrschend ist, kontrastiert auf eine merkwürdige Art mit der kalten Ruhe und mit dem Ernst, womit er als Richter an die Arbeit geht.«
Da liegt die Vermutung nahe, dass auch Hoffmanns Bücher, gerade die »phantastischen« und »gespenstischen«, nicht ohne einen Anteil von Ernst und »kalter Ruhe« zustande kamen, sogar nicht ohne Humor. Charles Baudelaire, Hoffmanns französischer Jünger, rühmte ihn als Künstler, der bis zur Stunde von allen Menschen die genaueste Vorstellung des »absolut Komischen« besessen habe. Diese Facette blieb trotz so hinreißend komischer Werke wie Meister Floh und Lebens-Ansichten des Katers Murr im landläufigen Hoffmann-Bild unterbelichtet.
Fieberhafte Träume…
Somit kann man nur raten und rufen: Lest Hoffmann! Er selbst schätzte von seinen Werken die Erzählung Der goldne Topf am höchsten; aber es wären auch zwei Erzählungen aus der Sammlung Die Serapionsbrüder zu nennen: Nußknacker und Mausekönig, die schönste aller Weihnachtsgeschichten (von Alexandre Dumas in versimpelter Form ins Französische übersetzt und als eigenes Werk ausgegeben, als solches die Vorlage für Tschaikowskys Ballett Der Nußknacker), sowie Das Fräulein von Scuderi, das außerordentliche Beispiel einer deutschen Kriminalgeschichte, die aber in dieser Bezeichnung nicht völlig aufgeht.
Man könnte noch zahlreiche Titel nennen, etwa die veritable Gespenstergeschichte Das Majorat oder die merkwürdige späte Großstadtstudie Des Vetters Eckfenster (beide einflussreich auf Edgar Allan Poe, hier auf Der Untergang des Hauses Usher, dort auf Der Mann in der Menge), nur ein Werk lässt sich unmöglich übergehen: die Erzählung Der Sandmann aus der Sammlung der Nachtstücke, die Geschichte des Studenten Nathanael, der gefangen ist in einem quälenden, traumatischen Kindheitserlebnis.
Hoffmann schrieb die Erzählung im November 1815 in nur wenigen Tagen. Die erste Niederschrift hat sich erhalten, sie ist wie in einem Zuge und in großer Hast, daher oft undeutlich, geschrieben, mit unvollständigen Wörtern und Sätzen und vielen Sofortkorrekturen. Sie trägt am Anfang den Vermerk: »d. 16. Novbr. 1815 Nachts 1 Uhr«, was zwar typisch ist für den Nachtarbeiter Hoffmann, aber auffällig schon deshalb, weil er die Zeit der Niederschrift sonst nicht so genau festgehalten hat. Die Erzählung drängte sich ihm offenbar mit Macht auf, ja, kam über ihn wie ein Blitzschlag.
Die wichtigste zeitgenössische Rezension schrieb Walter Scott, der in dieser Zeit neben Goethe meistgelesene und einflussreichste Schriftsteller in Europa. Er ging ausführlich auf die Nachtstücke ein und besprach sie in einer Mischung aus Bewunderung und Kritik. Den Sandmann nannte er »eine wilde und absurde Geschichte« und fügte hinzu, es sei unmöglich, Erzählungen dieser Art kritisch zu würdigen: »They are the feverish dreams of a light-headed patient«. Goethe, der in Sachen Weltliteratur bis zum Schluss auf dem neuesten Stand war, hat die Rezension Scotts, die 1827 erschien, fünf Jahre nach Hoffmanns Tod auszugsweise ins Deutsche übersetzt und die Schlusswendung dabei noch verschärft: »Es sind fieberhafte Träume eines leichtbeweglichen kranken Gehirns…«
Scotts Aufsatz hat das Hoffmann-Bild lange Zeit bestimmt. Seither ist die Erzählung oft interpretiert worden, nicht zuletzt von Sigmund Freud. Rüdiger Safranski konnte zu Recht schreiben, »diese grausige Erzählung [habe] inzwischen fast schon aufgehört, ein ›Nachtstück‹ zu sein, und [gleiche] nun einem hell ausgeleuchteten Szenario, worin psychoanalytische Kategorien mit zwei Beinen agieren«. Jedenfalls erkennen wir von heute aus, dass Hoffmann, der »Gespenster-Hoffmann«, tiefer als andere zu seiner Zeit in die menschliche Psyche hineingeblickt hat.
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