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Peter Handke wird 75 Der Sprechdenker

In seinem Roman Der Bildverlust erinnert sich Peter Handke an den traurigen Don Quijote. Er zitiert dessen Erfinder Miguel de Cervantes und gelangt mit dessen Hilfe zu einer romantischen Beweglichkeit von Sprache und Sprachsinn, die seiner besonnenen Heldin bei ihrer Wanderung durch die Sierra de Gredos im Herzen Spaniens zugesprochen wird. Es ist aber nicht nur eine historische Wanderung, die Handke hier aufgreift, sondern auch eine Bildungs- und Entwicklungsreise, wie man sie – wenn man höher greift – seit den Tagen Wilhelm Meisters nicht mehr erfahren hat. Dabei bedient sich Handke, den man nicht ohne Grund einen »Mönch ohne Kloster« genannt hat, eines Sprachstils, der von der Spannung zwischen dem wortlosen Blick und den Wörtern lebt. Diese Spannung prägt seine Prosa. So können zwischen dem »Sprach-Ich« und der Welt verschiedene Beziehungsmuster bestehen: Stummheit, Widerhall, eigenes Erzählen und, als Höhepunkt, etwa im Stadium der »klaräugigen Müdigkeit«, jene Welt, die »unter Schweigen, vollkommen wortlos, sich selber erzählt«.

Handke, an der Grenze zwischen Österreich und Slowenien in einem Gelände voller Höhlen und Grotten aufgewachsen, hat seinen Erzählstil als ein Stocken, als begriffsfernen Widerstand gegen die Bilderflut bezeichnet. Dieser Erzähler will das Wahrgenommene durch »umwegiges« Sprechen zur Sprache bringen, in grenzüberschreitenden Bildwelten und Formulierungen. Alles bleibt bei ihm im Fluss, alles wechselt das Gesicht, Episode reiht sich an Episode. Im Versuch über den geglückten Tag unterscheidet sich der geglückte Tag vom glücklichen dadurch, dass er eine Tätigkeit einschließt. Doch bleibt offen, ob es sich um die Tätigkeit des Autors handelt, der sich an den Tag verschenkt. Das Paradies bleibt verschlossen. »Je älter ich werde«, bekannte Handke, »desto mehr gehe ich Verästelungen, Seitensträngen nach. Es ist schön, wenn der Bleistift so schwingt, es gibt dem Leser, glaube ich, auch Vertrauen, daß ich kein Conferencier des Schreibens sein will, einer, der den Stoff nur aufbereitet, sondern ein Autor, der sucht, aufpaßt, stilistisch, daß der Kopf klar bleibt. Wie sagt Goethe: Den edlen Seelen vorzufühlen, ist wünschenswertester Beruf.«

Handkes Romane und Erzählungen sind seit seinem legendären Auftritt bei der Tagung der Gruppe 47 im amerikanischen Princeton über 50 Jahre hinweg präsent wie kaum ein anderes Werk der deutschsprachigen Literatur. Sie verknüpfen das Handeln mit dem Anschauen und die Unmittelbarkeit des Erkennens mit der Reflexion. Dass er sich dabei im Sprechen und Schreiben über das ehemalige Jugoslawien ins Verquere verrannte, in einem Diktator wie Slobodan Milošević jemanden sah, der »notgedrungen« zum »kleinen tragischen Schurken« geworden sei – auch bei solchem »Zurgeltungbringen des Übersehens« bleibt dieser Schriftsteller gefangen in einer Welt von magischer und allegorischer Wirklichkeit. Es ist eine Welt, die den hohepriesterlich raunenden Sprechdenker zu der Einsicht kommen lässt, dass am Ende nichts der Ratlosigkeit entrinnen kann.

Seiner Mutter schrieb Handke in jungen Jahren: »Ich werde sicher weltberühmt.« In der Tat wurde er für seine Theaterstücke, Romane und Erzählungen mit Literaturpreisen überhäuft. Gleichwohl stand er dem Ruhm von Beginn an skeptisch gegenüber. »Wenn ich nicht Ich wäre, dann würde ich die ganze Sache mit dem Handke wohl auch sehr übertrieben und sehr zweifelhaft finden.« Seit seinem politischen Parforceritt zur Parteinahme für die serbische Seite im Balkankrieg hat sich Handke – zuletzt in der Erzählung Die morawische Nacht – wiederholt einer selbstironischen Überprüfung unterzogen. Es gibt aber eine »Grundspannung« im Dasein dieses Dichters, die sein ganzes Leben beherrscht und auch in seinem Familiendrama Immer noch Sturm von zentraler Bedeutung ist. Bei Handke ist es die Schuld der Vaterlosigkeit, die er abzutragen versucht. In ihr wurzelt seine Ortlosigkeit, die er gegen die Mutter richtet, als er sie einsam an Krebs sterben und Hand an sich legen lässt. Auch hier trieb er das Spiel vom Fragen weiter – bis hin zur Frage nach der Möglichkeit des Dichtens. Doch steht dem Kult seines Schreibens seit Langem auch der Kitschverdacht gegenüber. Seine Mutter soll über den Sohn gesagt haben, er sei »mit der Geißel der Klugheit geschlagen«. Es ist etwas daran.

Rechtzeitig zu Peter Handkes 75. Geburtstag am 6. Dezember erschien bei Suhrkamp sein neuer Roman Die Obstdiebin oder Einfache Fahrt ins Landesinnere.

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