»Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD« – als der ehemalige Pressesprecher der AfD-Bundestagsfraktion Christian Lüth im Februar 2020 in einer Bar in Berlin-Mitte diesen verräterischen Satz aussprach, rechnete er wohl kaum mit den Folgen. Dank eines verdeckt filmenden Teams von ProSieben löste diese Äußerung nämlich bald darauf eine bundesweite Diskussion über interne Strategieüberlegungen der AfD aus. Für langjährige Beobachter der extremen Rechten sind derartige Aussagen allerdings wenig überraschend, denn Krisen und gesellschaftliche Umbrüche – sowie die Frage, inwiefern diese für einen »Regime Change von rechts« nutzbar gemacht werden können – spielten in diesen Milieus immer eine wichtige Rolle.
»Krisennarrative sind der Treibstoff rechter Wahlkämpfe.«
Krisennarrative sind der Treibstoff, der den Motor extrem rechter Wahlkämpfe seit jeher zuverlässig mit billiger Energie versorgt. Zur Lage Deutschlands befragt, sparten AfD-Parteifunktio6näre daher während der Landtagswahlkämpfe in Brandenburg, Sachsen und Thüringen bei Medienterminen zuletzt nicht mit harten Worten. Egal, ob es um eine befürchtete Deindustrialisierung ging oder mehr Rechte für queere Menschen – vor der alles überschattenden Drohkulisse beim Thema Migration wurde das Bild eines Landes kurz vor dem Kollaps gezeichnet. Auf TikTok, in Parteitagsreden oder Interviews war die alte populistische Erzählung der vermeintlich degenerierten Eliten, welche die (vermeintlich homogenen) Interessen des »Volkes« aus dem Blick verloren hätten, unüberhörbar.
»Der Osten machts!«, wurde da etwa in Thüringen plakatiert. Sätze wie diese sind zunächst einmal natürlich Projektionsfläche. Eine mögliche Deutung wirft allerdings ein fragwürdiges Bild auf das Demokratieverständnis der Partei. Mit drastischen Slogans wie »Vollende die Wende«, »Die Friedliche Revolution mit dem Stimmzettel« oder »Wir sind das Volk« wurde die Lage in der Bundesrepublik bereits bei vergangenen Ost-Wahlkämpfen unverhohlen in die Nähe des DDR-Regimes gestellt. Da wurde etwa politische Konkurrenz kurzerhand zur »Blockpartei« degradiert, dem Verfassungsschutz »Stasi-Methoden« vorgeworfen und die Bundesregierung mit dem »Politbüro« verglichen. Die einzige legitime Opposition, die sich diesem vermeintlichen Unrecht entgegenstellt – so das Narrativ – sei die AfD. Dabei wurde der Eindruck erweckt, das Land brauche nicht weniger als eine Revolution, vergleichbar mit jener von 1989. Es wunderte daher nicht, dass sich der Thüringer Landeschef Björn Höcke 2024 mit Sonnenbrille und dem Slogan »Fast schon verboten gut!« plakatieren ließ. Denn wenn Menschen der über Jahre aufgebauten Erzählung folgen, lässt sich das drohende Parteiverbotsverfahren bequem zur Auszeichnung für besonderen Demokratieeinsatz in Gegnerschaft zu einem bösartigen Regime umdeuten.
Wie erfolgreich Krisen für die Mobilisierung genutzt werden können, zeigte sich bereits eindrücklich am Schulterschluss zwischen den sogenannten Coronademos und diversen AfD-Funktionären. Erste Versuche, Feindbilder der rechten Szene mit Forderungen zum Pandemieschutz zu verknüpfen, wirkten zunächst bestenfalls bemüht. Bei der Abstimmung über das erste Corona-Maßnahmenpaket im März 2020 kamen aus der Fraktion drei Stimmen dafür und zwei dagegen – der Rest enthielt sich. Die Partei wirkte in diesen Tagen merkwürdig kleinlaut und orientierungslos im Angesicht des global ausgerufenen Notstands.
»So uneinig man in der Sache schien, so einig war man sich in den Feindbildern.«
Bekannte Gesichter drangen in den Medien kaum noch durch und die Reichweite von Postings auf Social Media brach ein. Dies sollte sich erst ändern, als zentrale Erzählungen der sogenannten Coronademos übernommen wurden. Die Annäherung an das Milieu, das sich unter Labeln wie »Hygiene-Demos«, »Widerstand 2020« und später »Querdenken« auf der Straße versammelte, war dabei zu Beginn wohlgemerkt intern umstritten. Ähnliches war in den Kommunikationskanälen diverser Akteure der extremen Rechten zu beobachten. Obwohl der Gründungsmythos der Identitären Bewegung selbst auf einer Verschwörungserzählung aufbaut, warnte ihr prominentestes Gesicht Martin Sellner an unterschiedlichen Stellen vor »weltanschaulicher Verwässerung« der rechten Sache infolge einer »blumigen Verschwörungskritik«. Letztendlich setzte sich 2020 jedoch innerhalb diverser Strömungen die Meinung durch, man müsse die Gelegenheit beim Schopf ergreifen und sich die Mobilisierung der Straße zunutze machen. So uneinig man in der Sache schien, so einig war man sich in den Feindbildern: Gemeinsam gegen »die da Oben«!
Dabei handelte es sich keineswegs um einen Paradigmenwechsel in der Strategie, sondern vielmehr um die Beibehaltung eines bewährten Rezeptes, angereichert mit neuen Zutaten. Bereits zu PEGIDA-Zeiten zeigten nicht nur Teile der Parteibasis wenig Berührungsängste mit drastischen Verschwörungserzählungen wie etwa der in der extremen Rechten seit Jahren zur rassistischen Mobilisierung eingesetzten Erzählung eines angeblich von langer Hand geplanten »Bevölkerungsaustauschs« durch Migration. Im April 2017 verkündete Alexander Gauland in einer Pressemitteilung: »Der Bevölkerungsaustausch in Deutschland läuft auf Hochtouren.« Auch hier, ein Schulterschluss mit rechtsextremen Ideologien – um eine vermeintliche Krise für die eigenen Zwecke auszuschlachten.
Es gibt diverse Erklärungsansätze dafür, warum extrem rechte Akteure immer wieder die Geschichte einer angeblich großen Verschwörung aus dem Hut zaubern, um die Massen in ihrem Sinne zu bewegen. Wissenschaftliche Untersuchungen deuten darauf hin, dass zumindest einige Menschen in Krisenzeiten anfälliger für verschwörungsideologische Weltbilder werden. Wer Krisen absichtlich übertreibt, unseriös zuspitzt oder gar komplett herbeiredet, schafft eine Situation, in der einige Menschen besonders stark nach einer schnell verfügbaren Erklärung und daraus abgeleiteten einfachen Lösung dürsten. Verschwörungserzählungen bedienen wohlgemerkt nicht nur dieses Bedürfnis, sondern beinhalten auch stark überzeichnete Feindbilder, die letztendlich als Sündenböcke fungieren können. Hinzu kommt, dass sich Menschen mithilfe von Verschwörungserzählungen stark aufwerten können. Im Kampf gegen das vermeintlich absolut Böse wird der eigenen Gruppe die historische Rolle des heldenhaften Retters zugeschrieben. Das lässt sich nicht nur in Wahlkämpfen ausschlachten.
»Je drastischer das Untergangsszenario, desto extremer sind womöglich die Mittel, die als legitim angesehen werden.«
Gerade für Akteure mit einem problematischen Verhältnis zur Demokratie sind solche Geschichten hochattraktiv, da sie auf mehreren Ebenen das Vertrauen in demokratische Strukturen untergraben. Zum einen erlaubt die Erzählung einer bösartigen Verschwörung das Dämonisieren des politischen Gegners. Im schlimmsten Fall wird damit dann sogar Gewalt gegen politisch Andersdenkende gerechtfertigt. Je drastischer das Untergangsszenario, desto extremer sind zudem womöglich die Mittel, die zwecks Überwindung des quälenden Status quo als legitim angesehen werden. Extrem rechte Akteure können sich im Kontrast dazu als einzig legitime Fürsprecher eines angeblich unterdrückten und guten »einfachen Volkes« inszenieren. Welche Auswirkungen das hat, belegen eindrucksvoll die steigenden Zahlen in Bezug auf Anfeindungen gerade auch in der Lokalpolitik.
Innerhalb eines solchen Weltbildes hängt alles mit allem zusammen und nichts ist wie es scheint. Seriöse Medien werden kurzerhand zu Handlangern der Verschwörer erklärt, wodurch das Ganze zusätzlich zu einer vielfältig einsetzbaren Immunisierungsstrategie gegen Kritik von außen wird. Akteure, die ihre Anhängerschaft von einer umfassenden Medienverschwörung überzeugen können, müssen Faktenchecks kaum noch fürchten. Denn Verschwörungsgläubige begegnen Medien außerhalb der eigenen Blase durch ihre Radikalisierung mit zunehmendem Misstrauen – oder sogar offener Feindseligkeit. Die »Lügenpresse« lässt grüßen.
Die Stürmung des US-Kapitols am 6. Januar 2021 belegt eindrücklich, wie sich selbst das Herzstück der Demokratie – die Wahl – mithilfe einer Verschwörungsideologie beliebig umdeuten lässt. Bei schlechtem Abschneiden wird kurzerhand »Wahlbetrug!« gerufen und die aufgestachelte Anhängerschaft ist bereit, blind zu folgen ohne Belege zu fordern. Unabhängig vom Wahlergebnis kann zudem bequem weiterhin behauptet werden, man vertrete insgeheim eine »schweigende Mehrheit« oder eben »das wahre Volk«. Und so wundert es kaum, dass auch von Seiten der AfD in den vergangenen Jahren immer wieder Postings veröffentlicht wurden, in denen unterschwellig das Gefühl vermittelt wurde: »Bei dieser Wahl könnte es nicht mit rechten Dingen zugehen.« Es wäre naiv davon auszugehen, dass nicht auch bei der anstehenden Bundestagswahl ähnliche Kampagnen aus der Mottenkiste geholt werden.
Austauschbare Themen, gleiche Maschen
Wenn es eine Lehre aus den vergangenen Mobilisierungen der AfD gibt, dann jene: Die Themen sind austauschbar, die Maschen bleiben gleich. Egal ob Corona, Energiekrise, Angriffskrieg gegen die Ukraine oder Bauernproteste – stets versucht man sich als heldenhafte Kämpfer gegen eine vermeintliche Verschwörung von »denen da Oben« zu inszenieren. Dass das sozialpolitische Programm der AfD dabei wenig Grund zu der Annahme liefert, dass der Partei die Belange der »einfachen Leute« tatsächlich am Herzen liegen, wird unter den Teppich gekehrt. Und auch die Erzählung vom angeblichen Kampf für »Meinungsfreiheit« ist völlig unglaubwürdig angesichts der dünnhäutigen Reaktionen zentraler Akteure auf kritische Fragen von Journalist/innen – bis hin zu offenen Beleidigungen, insbesondere gegen jene, die Fehlverhalten von Parteifunktionären offenlegten.
Was folgt daraus? Zunächst einmal eine wenig spektakuläre, aber umso dringlichere Einsicht: Wenn tatsächliche und gefühlte Krisen einige Menschen anfälliger für Verschwörungsdenken machen, sollten wir intensiver über eine kluge und vor allem schnelle Krisenkommunikation reden. Und auch über eine wirksame Sozialpolitik, die den Menschen zumindest einen Teil ihrer ökonomischen Unsicherheit – und damit das alltägliche Gefühl von Kontrollverlust – nehmen kann. »Es liegt kein Ruhm in der Prävention«, hieß es oft im Nachgang der Pandemie vonseiten prominenter Virologinnen. Letztendlich wissen wir nicht, wie schlimm es gekommen wäre ohne jegliche Maßnahmen.
Ähnliches lässt sich auch über die Rolle der politischen Bildung in Bezug auf die politische Radikalisierung sagen. Wer angesichts von Haushaltssorgen den Rotstift ausgerechnet bei der politischen Bildung ansetzen will, spielt den Krisenprofiteuren der extremen Rechten in die Hände. Das wäre fatal, denn eines ist sicher: Die extreme Rechte steht bereits in den Startlöchern, um künftige Krisen für ihre eigenen Zwecke verschwörungsideologisch aufzuladen und zu instrumentalisieren. Die Frage ist nicht, ob dies Einfluss auf den Ausgang der Bundestagswahl haben wird – sondern vielmehr, wie stark dieser Effekt letztendlich sein wird. Die Rechnung darf aber nicht aufgehen.
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