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Heinrich Mann zum 150. Geburtstag Der ungeliebte Prophet

»In Deutschland gab es nicht seinesgleichen«, schrieb Ludwig Marcuse sieben Jahre nach Heinrich Manns Tod, »vielleicht Lichtenberg ausgenommen, der es aber noch nicht mit solchen Ungeheuern zu tun gehabt hatte; oder Heine, der aber heiterer und verspielter war; oder Nietzsche, er aber war gewalttätiger und überschwänglicher. Heinrich Mann war ziviler als sie alle – und unversöhnlicher«.

Als er seinen Roman Der Untertan, den größten satirischen Gesellschaftsroman der deutschen Literatur, vollendete, zwei Monate vor Beginn des Ersten Weltkriegs, war Heinrich Mann 43 Jahre alt. Aber erst vier Jahre später konnte Der Untertan erscheinen. Während des Krieges bestand keine Publikationsmöglichkeit für ein Buch, das in der Figur Diederich Heßlings, des »Untertanen«, nicht nur einen Grundtypus des Deutschen beschrieb, sondern zugleich den deutschen Kaiser Wilhelm II. spiegelte. Es war ein kritischer Zeitroman, prophetisch erleuchtet als Satire auf den Nationalismus des Kaiserreichs, aber auch als Analyse einer deutschen Mentalität. Hinter dem Untertan erschien im Umriss bereits der Nazi-Deutsche der kommenden Generation, gemäß Heinrich Manns Worten: »Als ich diese Gestalt aufstellte, fehlte mir von dem ungeborenen Faschismus der Begriff, und nur die Anschauung nicht.«

Der Verleger Kurt Wolff, der mitten im Krieg einen Privatdruck des Romans herausbrachte, schrieb: »Hier ist der Anfang einer Fixierung deutscher Zustände, die uns – zumindest seit Fontane – völlig fehlt. Hier ist plötzlich ein Werk, groß und einzig, das, ausgebaut, für die deutsche Geschichte und Literatur das sein könnte, was Balzacs Werk für das erste, Zolas für das zweite Kaiserreich in Frankreich waren. Und für unsere Gegenwart ist es viel mehr: Das Deutschland der ersten Regierungsjahre Wilhelms II., gesehen als Zustand, der den Krieg von 1914 heraufbeschwören mußte.«

Der Untertan war, neben vielen Novellen, Theaterstücken und Essays, bereits Heinrich Manns zehnter Roman. Der Verfasser konnte ein Buch schon einmal in wenigen Monaten aufs Papier werfen, anders als Thomas Mann, sein vier Jahre jüngerer Bruder. Zuweilen fehlte es an letzter sprachlicher Ausformung, niemals an genialischem Schwung. So entstand das frühe Meisterwerk Im Schlaraffenland, das aus der Schule Maupassants hervorging; so geriet die grandiose Schulsatire vom Professor Unrat; so wurde schließlich der Roman Die kleine Stadt vollendet, die glückliche Utopie einer demokratischen Gesellschaft vor südlich-italienischem Hintergrund.

Mit diesen Büchern wurde Heinrich Mann zum Idol der jüngeren Schriftsteller, vor allem der Expressionisten, die es liebten, ihn gegen den berühmten jüngeren Bruder, den Verfasser der Buddenbrooks, auszuspielen. Noch 1931, zu Heinrich Manns 60. Geburtstag – auch Thomas Mann saß mit an der festlich gedeckten Tafel der Berliner Akademie –, rühmte Gottfried Benn das Werk des Älteren als »entfaltetste deutsche Sprachschöpfung (...) seit Aufgang des Jahrhunderts«. Er nannte Heinrich Mann »den Meister, der uns alle schuf« – was ihn nicht hinderte, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten die Vertreibung des Meisters aus der Akademie und aus Deutschland gutzuheißen.

Im französischen Exil schrieb Heinrich den Doppelroman von der Jugend und Vollendung des Königs Henri Quatre, worin er die Figur des »guten Herrschers« beschwor. Es folgten die Flucht des 70-Jährigen über die Pyrenäen und das Jahrzehnt des Exils in Kalifornien, das bestimmt war von literarischem Misserfolg und persönlicher Vereinsamung. Die späte Autobiografie Ein Zeitalter wird besichtigt war Heinrich Manns melancholische Bilanz eines von historischen Katastrophen bestimmten Halbjahrhunderts. Er starb am 12. März 1950 in Santa Monica. Alle – auch posthumen – Versuche, ihn zum literarischen »Gegenkönig« seines Bruders Thomas auszurufen, sind verfehlt, werden weder ihm noch dem Bruder gerecht. Heinrich Mann war eine große, durchaus eigenständige Erscheinung. Als Satiriker des Deutschtums hat er von seinen Landsleuten mehr Feindschaft als Bewunderung und Liebe erfahren, bis heute.

Das gilt besonders für den Untertan. Der Roman des Kaiserreichs ist zugleich der Roman des Deutschen, das schärfere, bösere Pendant zum Hauptmann von Köpenick. Vielleicht mochten die Deutschen deswegen zwar Zuckmayers Stück, nicht aber Heinrich Manns Roman. Noch im Abwehrreflex verrät sich die unfreiwillige Selbsterkenntnis. Theodor Heuss, der spätere erste Präsident der Bundesrepublik, schrieb 1919 in einer Rezension: »Das Buch ist ein gut geschriebenes Pamphlet, aber ein ganz dürftiges Kunstwerk. Zum Humor fehlt ihm die Liebe, zum Hass die freie Leidenschaft. Der hassende Politiker erschlägt den anschauenden Dichter (...)«. Auch Thomas Mann hätte Theodor Heuss im Jahre 1919 noch zugestimmt. 25 Jahre später aber schrieb er im kalifornischen Exil in einem Anfall von Selbstkritik: »Wer war der gesellschaftskritische Seher und Bildner? Wer hat den ›Untertan‹ geschrieben und wer in Deutschland die Demokratie verkündet, zu einer Zeit, da andere sich in der melancholischen Verkündigung protestantisch-romantisch-antipolitischer deutscher Geistesbürgerlichkeit gefielen?« Was Theodor Heuss betrifft, so stimmte er 1933 als Abgeordneter des Reichstags dem Gesetz zu, das Hitler ermächtigte, ohne Parlamentsmehrheit zu regieren. Gibt es ein besseres Indiz für die Tatsache, dass der spätere Präsident der Bundesrepublik Deutschland die Lehre von Heinrich Manns Roman nicht verstanden hatte?

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