Die Krise der Sozialdemokratie hängt eng mit der doppelten Krise des Liberalismus zusammen: Global bröckelt die liberale Weltordnung, und innerhalb der westlichen Demokratien verliert der Liberalismus seine Hegemonie. Der Wiederaufstieg großer Mächte wie China und Indien bedeutet geopolitisch einen relativen Abstieg des Westens. Mit dem Ende der amerikanischen Hegemonie schließt sich der unipolare Moment nach dem Kalten Krieg. Das Aufflammen von Kriegen und Konflikten nicht nur an den Peripherien, sondern auch in den Zentren der Ordnung markiert das Ende der Pax Americana.
Der russische Angriff auf die souveräne Ukraine markiert eine Zeitenwende: Der Krieg als Instrument der Großmachtpolitik ist nach Europa zurückgekehrt. Mit dem Zusammenbruch der europäischen Sicherheitsordnung und einem geschwächten Sicherheitsversprechen der USA muss Europa seine Abschreckungsfähigkeit eigenständig wiederaufbauen. Um Deutschland für eine Welt im Umbruch zu rüsten, sind Investitionen in Verteidigung, Infrastruktur und den Industriestandort in Höhe von vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts erforderlich. Das gelingt nur, wenn der Staat aus dem Korsett der Austerität befreit wird. Doch allein eine höhere Schuldenaufnahme wird nicht ausreichen. Deswegen beginnen nun die Verteilungskämpfe darüber, wer diese Kosten tragen soll. Soll das obere Drittel der Kapitalbesitzer belastet werden, müssten Erbschafts- und Vermögenssteuern steigen. Trägt das mittlere Drittel der Lohnempfänger die Kosten, wären höhere Lohn- und Konsumsteuern nötig. Oder der Wohlfahrtsstaat wird gekürzt, was die Last auf das untere Drittel der Transferempfänger verlagert. Das Überleben der Sozialdemokratie hängt davon ab, ob sie von der arbeitenden Mitte als verlässlicher Verbündeter in diesen Verteilungskämpfen wahrgenommen wird.
Stichwort (neo)liberale Demokratierelativierung
Der geopolitische Wettbewerb hat auch eine normative Seite. Der Wettbewerb zwischen Zivilisationen mit gegensätzlichen Ordnungsvorstellungen, untergräbt den universellen Anspruch des Westens. Die Relativierung von Demokratie und Menschenrechten als Prinzipien der internationalen Ordnung – durch revisionistische Großmächte und die Doppelstandards des Westens – markiert das Ende der liberalen Weltordnung. Der Universalismus der Grundwerte liberaler Demokratien berührt auch das Selbstverständnis der Sozialdemokratie. Dabei entsteht ein Zielkonflikt zwischen den Werten »Frieden« und »Menschenrechten«. Um den Weltfrieden zu sichern, werden westliche Staaten auf »humanitäre Interventionen« und »Regimewechsel« in autoritären Großmächten verzichten müssen. Ein Deal mit Russland zur Beendigung des Ukrainekrieges ist nur möglich, wenn die Rhetorik von der »Verteidigung der Freiheit Europas« aufgegeben wird. Gleichzeitig haben die identitären Stammeskonflikte gezeigt, dass die liberale Demokratie nicht auf den Universalismus gleicher Rechte verzichten kann, ohne ihren inneren Zusammenhalt zu gefährden.
»An die Stelle des regelbasierten Freihandels tritt ein zunehmend erbittert geführter geoökonomischer Wettbewerb.«
Das Ende der liberalen Weltordnung untergräbt auch die Grundlagen der offenen Weltwirtschaft. An die Stelle des regelbasierten Freihandels tritt ein zunehmend erbittert geführter geoökonomischer Wettbewerb. Die Trump-Regierung wird den Handels- und Technologiekrieg mit China weiter verschärfen. Der Zugang zu wichtigen Märkten wird zunehmend an politisches Wohlverhalten gekoppelt. Entstehen weltweit abgeschottete Handelsblöcke, verliert das deutsche Exportmodell seine Grundlage. Deutschland muss sein Wirtschaftsmodell grundlegend umbauen, um bei den Technologien der Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben.
Sowohl der staatlich gelenkte chinesische Kapitalismus als auch amerikanische Venture-Kapitalisten scheuen sich nicht, enorme Summen zu investieren und Verluste in Kauf zu nehmen, um langfristig Markt- und Technologieführerschaft zu sichern. Deutschland muss daher seine hohen Sparrücklagen produktiv einsetzen und den Staat aus seinem fiskalischen Korsett befreien. Durch ihr Festhalten an der Schuldenbremse und den engen Fokus auf den Erhalt von Arbeitsplätzen in auslaufenden Industrien hat die Sozialdemokratie zu lange zu klein gedacht. Um wirtschaftspolitische Kompetenz zurückzugewinnen, muss sie industrie- und fiskalpolitisch neu ausgerichtet werden.
Aber die Kurzsichtigkeit ist keinesfalls nur auf die Sozialdemokratie beschränkt. Zugespitzt formuliert hat sich der Liberalismus zu lange in einer Welt eingerichtet, deren Fundamente nun rasant erodieren. Die Ursachen der multiplen Krisen liegen nicht zuletzt
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