NG/FH: Herr Schermuly, wächst die Kraft der Worte in den offenen Demokratien – oder schrumpft sie inzwischen wieder?
Carsten Schermuly: Die Antwort hängt davon ab, worauf Worte basieren. Expertisemacht, die ja sehr auf Worten und Argumentationen basiert, ist eher etwas weniger wirkungsvoll geworden. Gleichzeitig ist charismatische Macht, die ja auch auf Worten basiert, aber stark auf Emotionen zielt, wichtiger geworden. Wir leben in einem Zeitalter des Bullshits – was eine Stufe weiter ist als das, was Hannah Arendt einst mit dem Zeitalter der Lüge beschrieben hat. Lügner haben immerhin noch einen gewissen Realitätsbezug. Selbst davon entfernen wir uns.
Sie sagen: Realitätsferner Unsinn kann heute genauso kraftvoll sein wie Sinn?
Ja – wenn der Unsinn in das Wertesystem des Publikums und in entsprechende Stereotype hineinpasst. Wenn Milliardäre dann in einem Wahlkampf 100 Posts täglich ins Netz stellen, kommt niemand mehr mit Faktenchecks hinterher.
Sind Worte nicht generell umso mächtiger, je mächtiger ihre Absender sind?
Sie sind jedenfalls im Netz umso wirkungsvoller, je mehr Reichweite die Absender haben, womit ihre Worte wahrgenommen werden. Das Entscheidende bei der Wirkungsmacht von Worten ist, dass sie gehört werden. Wer es schafft, den Algorithmus zu überlisten, wird in den Sortiersystemen des Netzes nach oben gespült. Wer eine große Followerschaft schon mitbringt, hat darüber die Resonanz sicher. Am erfolgreichsten ist natürlich, wer den Algorithmus oder die Programmierung der Künstlichen Intelligenz steuern kann.
Wenn wir auf das Wertesystem des Publikums schauen: Sie sagen, auch ausgesprochener Unsinn bedient momentan reale Erwartungshaltungen?
Charismatische Macht ist genau deshalb auf der einen Seite so wirksam und auf der anderen Seite gleichzeitig so labil. Zwischen dem Wertesystem, das jemand anbietet, und dem Wertesystem der Gefolgschaft muss eine gewisse Übereinstimmung existieren. Wenn sich in der Gefolgschaft etwas ändert, müssen sich Mächtige anpassen. Viele von ihnen sind da durchaus sensibel, im Grunde ist das ja ein auch Wesensmerkmal eines erfolgreichen Populismus. Wenn im Wertesystem der Gefolgschaft der Hass verbreitet ist, brauche ich eine Hassbotschaft. Wenn es Optimismus ist, muss ich Optimismus anbieten.
Aber hinter dem Populismus stehen doch klare Ziele. Ist es nicht umgekehrt so, dass Hass erntet, wer Hass sät – und genügend Follower hat?
Mindestens eine gewisse Verunsicherung muss da sein, damit Leute empfänglich sind und bestimmte Botschaften wirken. Dann entsteht ein Kreislauf. Bei der autoritären Macht, das wissen wir aus der Psychologie, stärken Angst und Verunsicherung einen Prozess, der in doppelter Weise funktioniert. Auf der einen Seite wird eine autoritäre Vorgehensweise leichter, wenn Leute es akzeptieren, einem als heroisch erlebten Menschen Macht zuzuschreiben. Auf der anderen Seite erleichtert die Angst der Leute, in Krisensituationen zum Beispiel, autoritäres Vorgehen. Das ist ein Teufelskreislauf – weil wir aus unseren Analysen wissen: Autoritäre Macht verstärkt Hilflosigkeit, es wird weniger Wissen ausgetauscht. Das macht Entscheidungen schlecht – was zu noch mehr Verunsicherung führt.
Die Populisten argumentieren, dass es ja gerade demokratisch sei, wenn die Kommunikationskundschaft entscheidet und nicht die Eliten…
Aber gleichzeitig entscheidet der Algorithmus, der die eine Botschaft über die Schwelle hebt und die andere nicht. Algorithmen und KI sind ja von Vorgaben bestimmt. Ob man das nun Regeln von Eliten nennen kann, weiß ich wirklich nicht. Auch Künstliche Intelligenz kann übrigens Vorurteile haben, wenn sie die gelernt hat. Wer hat es programmiert und aus welcher Quelle kommen solche Informationen?
Wird in Zukunft die KI entscheiden, welche Worte überhaupt wirkmächtig werden können und welche nicht?
Es sind nicht Menschen, die da bei LinkedIn oder Facebook sitzen und aus dem Moment heraus steuern, welcher Post als relevant angezeigt wird. Ich mache mir hier schon Sorgen um die Demokratie, auch als Psychologe.
Es gibt noch eine andere Konkurrenz für die Wirkungsmacht der Worte: Bilder. Verändern sich die Rahmenbedingungen der Demokratie auch dadurch, dass Bilder – zunehmend: bewegte – neben den Worten massiv an Bedeutung gewonnen haben? Was verändert das?
Wir müssen über beides reden, über Worte und Bilder. Evolutionär ist es so, dass wir Menschen Bilder besser abspeichern können. Auch wenn wir Details vielleicht schnell wieder vergessen – an das Gefühl, das Bilder bei uns ausgelöst haben, an ihre Botschaft, können wir uns in der Regel ganz gut erinnern. Die Sozialen Medien, zumindest LinkedIn, sind genau darauf ausgerichtet. Ein Post ohne Bild hat nur
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