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Mina Gerngross

Ein Gespräch mit Steffen Kopetzky über die Rolle des Schriftstellers in der politischen Öffentlichkeit. »Die Richtung geben wir vor«

NG/FH: Wo es um die Kraft des öffentlichen Wortes geht, sollte man auch einen viel gelesenen Autor fragen. Spüren Sie so etwas wie öffentliche Verantwortung?

Steffen Kopetzky:Wenn man ein bisschen wach ist, weiß man, man verdankt die eigene Ausbildung dem öffentlichen Schulsystem. Und letztlich stellt die Gesellschaft alles zur Verfügung, was man braucht, um zu schreiben. Ich benutze die Staatsbibliothek, den öffentlichen Nahverkehr, um zur Stabi zu kommen etc. Man lebt teilweise auch von Kulturförderung, Literaturhäusern, Staatstheatern und vielem mehr. Die Bedeutung der Gesellschaft für den Künstler und für den Literaten ist offensichtlich. Also besitzt er im Gegenzug auch Verantwortung für die Gesellschaft, scheint mir zumindest so.

Ist eigentlich das, was Sie schreiben, Ihrem Selbstverständnis nach – ich erinnere an Bücher wie Risiko, Propaganda, Monschau, Damenopfer, jetzt Atom – politische Literatur?

Kurt Kister, der frühere Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, nannte das treffend »historisch-politische Romane«. Diesen Begriff benutze ich gerne, weil es um politische Themen geht, die zwar in der Vergangenheit liegen, aber wie die Themen von Welt- und Geopolitik keineswegs vorbei sind. Manche Entwicklungen kommen irgendwann wieder hoch, wie ein Fingerabdruck. Es geht um Stoffe, die nach Konstellationen, nach Machtverhältnissen, Traditionen und nach Brüchen fragen. Also nach politischen Dingen, die wir gerade leider in dieser disruptiven Zeit jeden Tag neu erleben müssen.

Kann man sagen, Ihre Romane passen immer zum Zeitgeist? Bei Monschau war die Coronapandemie, bei Damenopfer begann der Ukrainekrieg, heute bei Atom erleben wir einen neuen Aufrüstungswettlauf?

Ja, begonnen hat das Ganze mit Risiko, das war ein Roman, den ich geschrieben habe nach einer langen Recherche, in dem eine Geschichte aus dem Ersten Weltkrieg wiedergegeben wird. Auslöser aber war 9/11, und wie die Amerikaner danach angefangen haben mit dem War on Terror die internationale Ordnung auszuhöhlen: die Afghanistan-Mission, der Irakkrieg, die Krise im Mittleren Osten. Es geht um Dynamik der Geopolitik – und um Afghanistan, das schon im 19. Jahrhundert als wichtigstes Land der Welt bezeichnet wurde, weil sich dort Russen und Briten getroffen haben in ihren jeweiligen Expansionsbewegungen. In Propaganda ging es um den Vietnamkrieg und die immer gleichen strategischen Fehler der Amerikaner, die sie auch in Afghanistan wiederholten. Ein halbes Jahr nachdem der Westen seine offensichtliche Schwäche dokumentiert hat durch den chaotischen Abzug aus Afghanistan, begann der Ukrainekrieg. Kurz danach erschien Damenopfer, in dem es um das deutsch-russische Verhältnis, die geheime deutsche Aufrüstung in der Sowjetunion und eurasische Großmachtkonzepte ging. Und nun Atom. Das ist manchmal ein bisschen unheimlich, denn die Stoffe hatte ich schon ein paar Jahre vorher geplant.

Natürlich vertreten Figuren im Roman verschiedene Konzepte. Gibt es nicht dennoch so etwas wie eine politische Botschaft, im letzten Werk sind die Nazis, was ja nicht mehr selbstverständlich ist, klar die Bösen?

Ja, aber ich versuche auch zu zeigen, dass es vor allem ihr Rassismus und Antisemitismus war, der

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