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picture-alliance / dieKLEINERT.de / Ruth Botzenhard | Ruth Botzenhardt

Gesucht wird eine demokratische EmotionskulturDie Wut wechselt die Seiten

»Ich kann auch Emotionen« sagte Friedrich Merz im April in der Sendung von Caren Miosga. Damit antwortete er auf die Frage, welchen Politikstil er sich für seine Kanzlerschaft vorgenommen habe. »Ein bisschen das Pathos, auch mal das gesunde Nationalbewusstsein, Patriotismus zu zeigen«, so wolle er sich auch von seinen zwei Vorgängern im Amt abgrenzen. In Anbetracht der Tatsache, dass die politischen Emotionen im Land von Populisten und Extremisten dominiert werden, ist der Ansatz von Merz, mehr Emotionen zu wagen, durchaus zu begrüßen. Schließlich ist Olaf Scholz nicht zuletzt an seinem Stil der regierenden Regungslosigkeit gescheitert. Dem Emotionalismus der AfD setzte Scholz einen betonten Rationalismus entgegen. Der Erfolg ist überschaubar.

Diese stoische Sachlichkeit ist als Umgangsform mit populistischer Affektpolitik in der Bundesrepublik jedoch beliebt, sie steht in der Tradition des sogenannten »Pathos der Nüchternheit«, das zu einem Markenzeichen der postheroischen Nachkriegspolitik wurde. Allerdings ist sie als Gegenstrategie heute kaum geeignet, allein ihre Prämissen stimmen nicht: Erstes wird der radikale Populismus verkürzt über kurzfristige und intensive Affekte wie Wut oder Hass beschrieben, die positiven Emotionalisierungen, das identitätsstiftende Wir-Gefühl und die lebensweltliche Anschlussfähigkeit bleiben häufig unbeachtet.

»Wut mobilisiert kurzfristig, Hoffnung bindet langfristig.«

Dabei stabilisiert insbesondere die positive Identifikation mit der AfD die Bindung an die Partei. Daten der Konrad-Adenauer-Stiftung, die kurz vor der Bundestagswahl publiziert wurden, zeigen, dass das Verhältnis der AfD-Anhängerschaft zu ihrer Partei stärker von Hoffnung geprägt ist als das für die meisten anderen Parteien und deren Unterstützer gilt. Wut mobilisiert kurzfristig, Hoffnung bindet langfristig. Auch die Nazis gaben vielen Menschen das Gefühl, Teil eines Zukunftsprojektes zu sein. Die demokratischen Kräfte der Weimarer Republik hatten dagegen nur ein schwach ausgeprägtes Emotionsangebot. Man sollte in einer Demokratie den Demokratiefeinden besser nicht die Emotionsdominanz überlassen.

Zweitens sind auffallend viele progressive Politikerinnen und Politiker der Meinung, dass die »richtige« Politik keiner Emotionalisierung bedürfe, weil sie allein kraft ihrer Sinnhaftigkeit die Menschen überzeuge. Doch es reicht nicht, die Fakten auf der eigenen Seite zu haben, wenn andere die emotionale Realität bestimmen. Fakten müssen mit Gefühlen und Geschichten verbunden werden. Die Annahme, dass Emotionalität der natürliche Feind der Rationalität und somit ein Störfaktor für vernünftige Politik sei, wird häufig aus der Aufklärung abgeleitet.

»Triebfeder der praktischen Vernunft« (Immanuel Kant)

Dabei war es ausgerechnet Immanuel Kant, der in seinen späteren Schriften die Emotionen als »Triebfeder der praktischen Vernunft« beschrieb. Ihnen kämen positive Funktionen zu, etwa die Herstellung von Aufmerksamkeit oder Motivation zum Handeln. Diese Sicht Kants ist erstaunlich nah am Forschungsstand der modernen Neurowissenschaft. In diesem Feld hat sich schon vor vielen Jahren die Erkenntnis durchgesetzt, dass menschliche Entscheidungen in einem kongenialen Zusammenspiel von Rationalität und Emotionalität entstehen. Emotionen sind in diesem Teamwork der Türöffner und nicht die Barriere zu reflektiertem Denken.

Prinzipiell liegt Merz also richtig, wenn er als Kanzler die unzeitgemäße Emotionsaversion seiner Vorgänger überwinden möchte. Allerdings ist gerade Merz in der Vergangenheit durch Aussagen aufgefallen, die sich von der undemokratischen Emotionalisierung der extremen Rechten kaum unterscheiden lassen. Seine »Sozialtourismus«-Unterstellung gegenüber ukrainischen Geflüchteten oder die Behauptung, Asylbewerbende nähmen den Deutschen die Zahnarzttermine weg, sind seine bekanntesten Populismusplagiate. Wider aller Empirie scheint er bislang nicht glauben zu wollen, dass rechtspopulistisches Feuerspucken keine erfolgsversprechende Strategie für die Union gegen die AfD sein kann.

Demokratische Emotionalisierung

Nicht nur für Merz und die Union, genauso für progressive Kräfte, stellt sich als zentrale Frage, wie eine emotionale Ansprache aussehen könnte. Wie also geht demokratische Emotionalisierung in Abgrenzung zur Affektpolitik der Demokratiefeinde? Weil diese Grenzen in der politischen Debatte häufig verschwimmen, lohnt es sich der demokratischen Emotionalisierung zunächst ex negativo, also anhand undemokratischer Formen zu nähern. Betont werden muss an dieser Stelle, dass nicht Emotionen als undemokratisch klassifiziert werden können, sehr wohl aber die politische Emotionalisierung, also die bewusste emotionale Aufladung von Themen, kann sich gegen demokratische Grundwerte und Prinzipien wenden.

In diesem Sinne sind es vier rhetorische Strategien (Björn Höcke: »Wer die Sprache bestimmt, der beherrscht das Denken« – und auch das Fühlen!), die als zentrale Formen undemokratischer Emotionalisierung identifiziert werden können: Erstens die Dehumanisierung, die eine derartige Abneigung gegenüber Individuen oder einer Gruppe hervorrufen soll, dass ihnen das Menschensein abgesprochen wird. So werden Migranten von AfD-Politikern als »Parasiten«, »Viecher« oder »Monster« bezeichnet.

Zweitens: die Antagonisierung. Dabei werden demokratische Mitbewerber, mediale oder zivilgesellschaftliche Akteure als Feinde markiert. Demokratie braucht keine Freundschaft, bei Feindschaft allerdings schwinden gemeinsame Spielregeln, der Minimalkonsens.

Drittens wäre da die Wahrheitsmonopolisierung. Populisten und Extremisten verkehren die Wirklichkeit ins Gegenteil (Hitler wird zum Kommunisten, Autokratie zu Demokratie, Opfer zu Täter), erheben diese Lügen zur Wahrheit und darauf wiederum einen absoluten Wahrheitsanspruch.

Viertens schüren radikale Kräfte Emotionen durch die Verächtlichmachung demokratischer Institutionen. Dabei geht es nicht um legitime Kritik, sondern die systematische Erosion von Vertrauen. Am stärksten emotionalisieren dürfte der Vorwurf, dass es sich beim politischen System nur noch um eine demokratische Fassade handle, hinter der längst ein diktatorisches Regime etabliert worden sei. Ökodiktatur, Wokediktatur, Meinungsdiktatur – die Diktaturlüge wird flexibel angepasst und als Demokratieverteidigung getarnt.

»Hoffnung, Wut und Angst sind die wichtigsten Emotionskategorien für das politische Verhalten von Menschen.«

Für eine demokratische Emotionskultur und einen wirksamen Ansatz gegen Extremismus und Populismus brauchen Kräfte der linken und rechte Mitte ein tiefergehendes Verständnis über die Funktionsweise von Gefühlen für die politische Meinungsbildung im Allgemeinen und über effektive Emotionalisierungen für ihr Politikangebot im Speziellen. Die politikbezogene Emotionsforschung hat hervorgebracht, dass Hoffnung, Wut und Angst die wichtigsten Emotionskategorien für das politische Verhalten von Menschen sind. Es sind »Emotionskategorien«, weil eine Emotion unterschiedliche Ausprägungen annehmen kann, Angst in geringerer Intensität als Anspannung gilt oder Hoffnung sich zu Begeisterung steigern kann.

Demokratische Kräfte müssen alle drei Kategorien besetzen, wenn sie Menschen für sich gewinnen wollen, das heißt auch mit Ängsten und Wut umgehen, sie integrieren statt kleinzureden. Wut ist die entscheidende Emotion der extremen Rechten, die Angst ist gewissermaßen nur ihre Voraussetzung. Emotionales Potenzial haben im Politischen in erster Linie die Verwirklichung und Verletzung von Werten, die Menschen wichtig sind, etwa Gerechtigkeit, Freiheit oder Sicherheit. Emotional ist auch, was real ist, sprich das Lebensweltliche und das Liebgewonnene im Alltag von Menschen berührt.

Einige Anhaltspunkte basierend auf einer Studie, die für das Buch Mehr Emotionen wagen durchgeführt wurde: Für die progressiven Kräfte in der Opposition ergeben sich aus dem Koalitionsvertrag von Union und SPD mehrere Möglichkeiten für einen Seitenwechsel der Wut. Ihre Milieus dürften auf unterschiedlichen Feldern eine Verletzung von Gerechtigkeitsvorstellungen empfinden.

Wutquellen für progressive Kräfte im Koalitionsvertrag

So ließe sich beim Klimaschutz etwa die Ungerechtigkeit zwischen wohlhabenden Verursachern und ärmeren Leid- und Kostentragenden emotionalisieren. Auch die Zustände auf dem Wohnungsmarkt, die spürbar kaputte soziale Infrastruktur oder die offensichtliche Benachteiligung der jüngeren Generationen in einer ganzen Reihe von Bereichen, beispielsweise in der Rentenpolitik, können Ansatzpunkte sein. Die grassierende Inhumanität wären Aspekte, mit der sich eine progressive Migrationspolitik emotional aufladen lässt – ohne dass man jede Forderung nach mehr Begrenzung und Kontrolle pauschal als »AfD-Politik« abstempelt.

Im Gegensatz zum autoritären Populismus sollte progressive Wut auf inklusiven Gerechtigkeits- und demokratischen Normvorstellungen beruhen. Anders als bei Pseudomissständen (Weidel: »Niemand geht an mein Schnitzel!«) kann die Empörung über reale Ungerechtigkeiten der Ausgangspunkt für einen aktiven Einsatz für Veränderung sein. Im Populismus kommt nach Empörung noch mehr Empörung. Nach der demokratischen Wut kommt, wenn man es richtig macht, die Hoffnung.

»Kaum eine Emotion wird mehr von radikalen Kräften ausgebeutet wie das Gefühl des Kontrollverlustes.«

Hoffnung zu erzeugen sollte ein Anliegen sowohl von Merz und seiner Regierung als auch der progressiven Opposition sein. Anhaltspunkte bieten die »Hoffnungszutaten« des Sozialpsychologen Charles R. Snyder: Wichtig ist ein Zielbild, das beschreibt, wohin man das Land führen will. Zweitens braucht man einen plausiblen Umsetzungplan, der die Erreichung machbar erscheinen lässt. Und drittens müssen Menschen zu Subjekten des Wandels gemacht werden. Kaum eine Emotion wird in diesen Zeiten mehr von radikalen Kräften ausgebeutet wie das Gefühl des Kontrollverlustes. Hoffnung, ganz egal auf welcher Seite des politischen Spektrums, entsteht jedoch am ehesten, wenn Menschen ein Gefühl des Kontrollgewinns und der Handlungsfähigkeit haben. Zu oft fühlen sich Menschen heute als Spielball externer Notwendigkeiten. Veränderungszuversicht entsteht durch eine aktive Rolle. Und daraus darf durchaus auch Patriotismus entstehen: Weil man Teil einer Modernisierung des Landes ist, das die Werte verwirklicht, die einem selbst wichtig sind.

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