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Editorial

Der Bundespräsident hat recht, die Lage der Republik ist ohne Beispiel. Nicht ohne Beispiel hingegen ist ein gewisses Medienspiel mit der Tendenz zur ungebremsten Selbstverstärkung. Das verhängnisvolle, oft ansteckende Jagdfieber auf einen auserkorenen Spitzenpolitiker scheint bei Einflussjournalisten wieder zu erwachen.

Für das Land, das angesichts einer großen AfD-Fraktion im Parlament eine klare, starke und demokratisch unanfechtbare Opposition dringend nötig hat, war die Übernahme dieser Rolle durch die SPD eine gute Entscheidung. Eine noch weitergehende Schwächung dieser Partei durch eine abermalige Große Koalition würde nicht nur für sie selbst, sondern auch für die Republik kein Segen sein.

Die wieder entbrannte Debatte, ob nach dem Scheitern des ohnehin brüchigen Jamaika-Projekts statt Neuwahlen, die viele Nachteile hätten, nun auch einmal im Bund das auf Länderebene und in Skandinavien erfolgreich erprobte Modell einer Minderheitsregierung gewagt werden sollte, mischt soeben die Karten neu. Das hat auch Stimmen in der SPD zu der Frage angeregt, ob es nicht einen Weg gibt, Neuwahlen ohne den riskanten Gang in eine Große Koalition zu vermeiden. Klar scheint allerdings, dass letzterer zwar heute vielerorts Beifall auslösen würde, aber kaum bei den nächsten Wahlen. Auf einmal steht als »dritter Weg« eine Minderheitsregierung zur Debatte, mit punktueller Unterstützung, aber vernehmlicher Opposition der SPD, wo es darauf ankommt. Diese neue Option – oder die einer Großen Koalition ohne Angela Merkels drohenden Todeskuss – in der beispiellosen Lage ergebnisoffen zu erörtern, ist jetzt das gute demokratische Recht aller, vielleicht sogar die Pflicht.

Das gilt auch für die Führungspersonen der Sozialdemokratie. Der journalistische Jagdinstinkt will es aber anders. Ein führendes liberales Blatt eröffnete in der vorletzten Novemberwoche leise, aber unüberhörbar die Jagdsaison mit dem scheinbar nur berichtenden Hinweis, »noch« sei der derzeitige Parteivorsitzende der einzige Kandidat für das Amt bei der bevorstehenden Neuwahl. So machen Medien Politik und verengen die demokratischen Spielräume. Freilich hat die Sozialdemokratie nicht den geringsten Nachholbedarf an Beispielen für ihre oft selbstlose demokratische Verantwortungsbereitschaft. Zu der gehört allerdings auch der Erhalt ihrer eigenen Stärke.

Wir werden ab Januar die Gründe für die Wahlniederlage der SPD und ein Projekt der sozialen Demokratie im 21. Jahrhundert diskutieren, das im praktischen Handeln wirksam werden und eine überzeugende Erzählung in die großen und kleinen Arenen der Politik tragen kann.

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