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Nachruf auf Hans-Joachim Schabedoth Ein Brückenbauer zwischen Gewerkschaften und Sozialdemokratie

Der Publizist, Gewerkschafter und Politiker Hans-Joachim Schabedoth, geboren 1952, ist zwei Tage vor seinem 68. Geburtstag in Frankfurt am Main verstorben. Hans-Joachim hat durch seine Aktivitäten an der Nahtstelle zwischen Gewerkschaften und Sozialdemokratie daran mitgewirkt, dass dieser Urgrund der gesellschaftlichen Verwurzelung der Sozialdemokratie nicht austrocknet, sondern immer wieder neu bewässert und belebt wird. Er verstand seine Texte und Ratschläge an die politisch Verantwortlichen als Angebote, sich selbst als Berater der Politik, als jemand, der etwas dazu beitragen wollte, dass es besser wird.

Hans-Joachim Schabedoths Engagement für die Idee von sozialer Gerechtigkeit war in starkem Maße durch die Erfahrungen im Wuppertaler Elternhaus, die Ausbildung als Elektromechaniker bei der Deutschen Bahn und den eigenen Bildungsaufstieg geprägt. Seine Lebensaufgabe sah er darin, für das Prinzip der wertegebundenen, mühsamen Reformen zu werben, um eine Gesellschaft zu ermöglichen, in der sich die Menschen als freie und gleiche begegnen, einander respektieren und anerkennen und der soziale Aufstieg für Alle möglich ist. Er studierte Politikwissenschaften in Marburg, bewährte sich dort als kluger wie auch fleißiger Student – Tugenden, die in diesem Lebensalter nicht immer zusammengehören müssen – und entwickelte für sich das Profil des pragmatischen Reformers, der sich nicht nur gegen Rechts positionierte, sondern auch gegen antisozialdemokratische und wirklichkeitsfremde Positionen von Links. Bildung war für ihn nicht nur das Medium des Aufstiegs, sondern auch der Selbstdefinition.

Ich habe Hans-Joachim in der Grundsatzabteilung der IG Metall 1991 kennengelernt. Er war damals gerade in Elternzeit, was zu dieser Zeit für Männer etwas Besonderes war. Elternzeitgesetze, wie wir sie heute kennen, gab es damals noch nicht. Sein Arbeitsstil war professionell und leidenschaftlich zugleich. Er war kein Strippenzieher hinter den Kulissen, er war auch keiner, der zu den entscheidenden Kungelrunden Zugang hatte. Das war wohl auch ursächlich dafür, dass sein Bundestagsmandat, dass er 2013 errungen hatte, 2017 nicht verlängert wurde. Denn als Quereinsteiger aus dem gewerkschaftlichen Bereich verfügte er von Anfang an nicht über die starke machtpolitische Verankerung, um bei der Listenaufstellung seine Position verteidigen zu können. Sein Profil war eher das des Mannschaftsspielers und Ermöglichers. Er war einer, der die Flanken schoss und den Raum absicherte, also jemand, ohne dessen unermüdlichen Einsatz eine Mannschaft nicht gut spielt und kaum gewinnen kann.

1981 begann seine Karriere bei der IG Metall in Stuttgart, im Kernland der Metall- und Elektroindustrie. Seine Arbeit lag an der Schnittstelle zwischen alter und neuer IG Metall. Für diesen Übergang, in der sich die neue Zeit der Digitalisierung andeutete, standen im Stuttgarter Raum die Betriebe IBM, Hewlett Packard etc., deren gewerkschaftlicher Betriebsbetreuer er war. Mit seiner eloquenten und zugleich strategisch wohl dosierten Herangehensweise machte er die Brücke zwischen den Angestellten und der IG Metall besser begehbar. Die Auseinandersetzung um die 35-Stunden-Woche, das gewerkschaftliche Großereignis der 80er Jahre, wurde auch für ihn zu einer prägenden Erfahrung. Die Begegnung mit Franz Steinkühler, Vorsitzender der IG Metall von 1986 bis 1993, führte schließlich dazu, dass er sich von Stuttgart in die Frankfurter Vorstandsverwaltung der IG Metall veränderte.

Besser und intensiver lernten wir uns kennen, als wir 1992 für ein Einwanderungsgesetz und für einen pragmatischen wertebezogenen Realismus warben und dabei große Teile der Funktionäre der IG Metall gegen uns aufbrachten. Hans-Joachim war in meinen Augen ein Funktionär, der zugleich mitfühlend, verbindlich, humorvoll und energisch sein konnte. Seine Loyalität gegenüber der Organisation war in einer bestimmten Art schon fast antiquiert. Denn er sah seine Aufgabe nicht einfach darin, Angriffe abzuwehren. Es ging ihm vor allem darum, mit klugen Argumenten zu begründen, warum eigentlich auch die Kritiker im wohl verstandenen Eigeninteresse gut daran täten, sich den Positionen der Gewerkschaften und Sozialdemokraten anzuschließen. Überzeugt von der Idee der sozialen Demokratie, die er in den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie verkörpert sah, zeichnete sich sein Stil durch eine menschenfreundliche, pragmatische Reformarbeit aus. Ich unterstreiche dies auch deshalb, weil Menschen im Gehäuse der Politik mit der Zeit verhärten und zynisch werden. Das war bei Hans-Joachim nicht der Fall.

Im Gegenteil: Er blieb zuversichtlich; auch und gerade dann, wenn es politisch schwierig wurde, er enttäuscht wurde, Niederlagen erlebte und der Gang der Dinge auch zum Rückzug, zur schweigenden Unterordnung oder gar zum trotzigen Auszug Anlass geboten hat. Aber Joachim war auch in solchen Situationen loyal. Beeindruckend war, wie loyal er gegenüber seinen Freunden und natürlich den Menschen war, die seiner Hilfe bedurften. Er war ein geselliger Mensch; die seit vielen Jahren mit ihm Karten spielen, wissen ebenso davon zu berichten wie die Freunde aus Wuppertaler, Marburger, Stuttgarter, Frankfurter und Berliner Zeiten. Freundschaften haben ihm Kraft und Orientierung gegeben.

Wie kaum ein Zweiter war er ein Brückenbauer zwischen den Zielen und dem Alltag von Gewerkschaften und SPD. Auch dann, wenn dies nicht immer nur zur ungeteilten Freude der jeweiligen Organisationsspitzen beitrug. So engagierte er sich in der IG Metall, als Abteilungsleiter beim DGB, als Bundestagsabgeordneter der SPD und in vielen Gremien und Beiräten. 30 Jahre lang war er im Redaktionsbeirat der Zeitschrift Neue Gesellschaft|Frankfurter Hefte. Hier sorgte er stets dafür, dass zentrale Themen der Gewerkschaften gut platziert werden konnten, vor allem die Themen Arbeitszeitpolitik und Mitbestimmung aus immer wieder neuen Perspektiven bearbeitet werden konnten. In diesem Sinne suchte er den Verlust der gewerkschaftlichen Monatshefte, die 2001 ihr Erscheinen einstellten, in und mit der NG|FH ein wenig zu kompensieren.

Als Bundestagsabgeordneter war er in den letzten Jahren stark in die Frage involviert, welche Konsequenzen die Digitalisierung für die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften hat. Im Bundestag arbeitete er im Wirtschaftsausschuss mit und war sehr eng mit den Fragen der Elektromobilität vertraut.

Als Autor unzähliger Texte warb er unermüdlich für Reformen, wie sie in den gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Politikangeboten zum Ausdruck kommen. Seine Beobachtungs- und Formulierungsgabe hat uns immer wieder berührt, bereichert und erheitert. In einem Artikel über das Verhältnis zwischen Gewerkschaften und SPD schrieb er: »Sie können nicht voneinander lassen, weil sie einander brauchen. So leben sie nun schon länger als ein Jahrhundert nebeneinander, was gelegentliches Miteinander nicht ausschließt«. Lakonisch hintergründige Kommentierungen waren kennzeichnend für ihn.

Mit seiner im Schüren Verlag publizierten Reihe Unsere Jahre mit... (Helmut Kohl, Gerhard Schröder) und seinen Büchern über Angela Merkel hinterlässt er uns zeitgeschichtliche Dokumente, indem er die Übergänge von der Bonner zur Berliner Republik, zwischen den Regierungen und Zeitverläufen sensibel, bildhaft und kritisch kommentiert, festhält, was wichtig war, einordnet, was jeweils relevant ist, aufbewahrt, was bleiben soll, weil es gut ist, und deshalb hervorgehoben werden muss. Er führte uns mit seinen Texten nicht in die Abgründe der Geschichte, er schürte vielmehr die Glut der Hoffnung in uns, dass es doch eigentlich auch besser werden könnte, wenn sich die Menschen vernünftig und solidarisch verhielten. Seine Worte und Schriften sind ein eindringliches Plädoyer dafür, dass es auf uns ankommt, dass Politik ein Dienst am Menschen ist, für ein besseres Leben, für eine gerechtere Gesellschaft.

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