Ja, denn feministische Außenpolitik stellt menschliche Sicherheit und die Bedürfnisse gefährdeter Gruppen in den Mittelpunkt außenpolitischer Entscheidungen. Dadurch ist sie der Schlüssel für mehr internationale Gerechtigkeit und stärkere Krisenresilienz.
Außenpolitik dreht sich nach wie vor primär um die Erhaltung des globalen Status quo: des patriarchalen Status quo. Im Mittelpunkt stehen Staaten und deren Interessen. Staaten werden heute jedoch zumeist immer noch von Männern geführt und sind daher primär auf deren Bedürfnisse ausgelegt. Staatliche Sicherheit ist dadurch nicht gleichbedeutend mit der Sicherheit aller in diesen Staaten lebenden Menschen. Gerade FLINTA* (also Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans- und agender Personen) und marginalisierte Gruppen werden in staatlichen Systemen häufig nicht oder nicht hinreichend geschützt. In den schlimmsten Fällen werden sie sogar aktiv bekämpft und unterdrückt, wie derzeit im Iran oder in Afghanistan.
Feministische Außenpolitik konzentriert sich hingegen auf die Sicherheit aller Menschen – unabhängig ihrer geschlechtlichen Identität, ihrer Sexualität, ihrer Hautfarbe, ihrer Religionszugehörigkeit oder sonstiger Merkmale, die dem Patriarchat einfallen, um Menschen zu diskriminieren. Langfristig strebt feministische Außenpolitik eine friedliche Welt ohne Waffen, Krieg, Ausbeutung oder Diskriminierung an. Sie ist damit die Blaupause für eine gerechte Zukunft.
In dieser Vision haben alle Menschen die gleichen Rechte. Sie dürfen wählen gehen und gewählt werden. Sie dürfen zur Schule gehen, studieren, eine Ausbildung machen und jeden Beruf ausüben – oder auch keinen Beruf ausüben. Sie dürfen frei über ihren Körper entscheiden – ja, auch über ihren Uterus und darüber, ihr Haar zu bedecken oder eben nicht. All diese Rechte stehen ihnen nicht nur auf dem Papier zu, sondern sie werden auch beschützt und durchgesetzt. Im schlimmsten Fall der Verletzung, werden Täter:innen ermittelt, angeklagt und bestraft.
Zudem werden alle Geschlechteridentitäten und andere vormals diskriminierte Gruppen nicht bloß »mitgedacht«, sondern gerecht in Machtpositionen der Außenpolitik repräsentiert. Die feministische Vision bedeutet also keinesfalls den Ausschluss von Männern aus der Außenpolitik. Es geht vielmehr um die gerechte Inklusion bisher unterrepräsentierter Menschen in außenpolitischer Entscheidungsfindung.
In dieser Utopie sind die Positionen von Außenminister:innen, Botschafter:innen und Diplomat:innen entsprechend der gesellschaftlichen Struktur zu über der Hälfte durch FLINTA* und Angehörige marginalisierter Gruppen besetzt. Erst durch deren Repräsentation werden ihre individuellen Perspektiven und Diskriminierungserfahrungen in außenpolitischen Entscheidungen hinreichend berücksichtigt. Dies führt dazu, dass Außenpolitik von allen für alle und nicht mehr von Männern für Männer gemacht wird.
Darüber hinaus betrifft feministische Außenpolitik die Ressourcenverteilung. Finanzielle und andere materielle Ressourcen werden in einer feministischen Vision so eingesetzt, dass die Mehrheit und vor allem gefährdete Gruppen davon profitieren. Langfristig wird also nicht ein Großteil finanzieller Ressourcen in militärische Aufrüstung gesteckt, sondern beispielsweise in globale Klimaanpassungsmaßnahmen, Friedenssicherung oder eine gerechte Nahrungsmittelverteilung.
Multidimensionale Wegweiserin
Die außenpolitische Realität könnte konträrer kaum sein. Klimakrise, Ukrainekrieg, Energiekrise, Pandemie und Nahrungsmittelkrise begründen einen Dauerausnahmezustand und zwingen Außenpolitiker:innen zu ständigem Krisenmanagement. Entscheidungs- und Leidensdruck führen dabei gerade in Krisensituationen zu kurzfristigen und isolierten Reaktionen, wobei staatliche Interessen im Mittelpunkt stehen. Häufig wird im Sinne einer bestmöglichen Lösung für alle auf eine kurzfristige Situation zulasten eines anderen Themenbereichs reagiert, da durch die Fokussierung auf staatliche Sicherheit ein ganzheitlicher Blick fehlt.
Dieses eindimensionale Denken ist jedoch ungeeignet, um auf derart vielseitige und multikausale Krisen reagieren zu können. Weder wird deren Komplexität dadurch ausreichend berücksichtigt noch können die Ursachen behandelt werden. Weitestgehend unberücksichtigt bleiben dabei zudem die Belange gefährdeter Gruppen, deren Leidensdruck gerade in Krisen am größten ist. Außenpolitik muss nachhaltig – im engeren und weiteren Sinne – agieren, um den dauerhaften Krisenmodus zu beenden.
Es ist demnach ein ganzheitlicher Ansatz notwendig, um einen Weg heraus aus den derzeitigen multidimensionalen Krisen zu weisen. Feministische Außenpolitik hat das Potenzial, eine wertvolle Orientierungshilfe bei Abwägungsentscheidungen in derart komplexen Krisensituationen zu bieten. Sie richtet sich nicht primär auf staatliche Interessen und Sicherheit, sondern stellt die von Krisen betroffenen Menschen und deren Bedürfnisse in den Mittelpunkt.
Im Sinne der »Repräsentation« beteiligt feministische Außenpolitik von Krisen Betroffene aktiv an der Entscheidungsfindung. Dadurch können außenpolitische Entscheidungen zu ihren Gunsten getroffen werden und tatsächlich langfristig einen positiven Effekt haben. Dies ermöglicht es auch, systematische Defizite zu erkennen, diese langfristig zu bekämpfen und damit die Wiederholung von Krisen menschlicher Sicherheit idealerweise in Zukunft zu vermeiden.
Studien zeigen, dass Frieden umso länger hält, je mehr Frauen an Friedensverhandlungen beteiligt sind. Überdies setzen sich geschlechtergerechte Gesellschaften stärker für Umwelt- und Klimaschutz ein. Selbstverständlich ist das kein Beleg dafür, dass Männer kriegsstiftende Umweltverschmutzer sind und FLINTA* allein Heilsbringer. Es zeigt jedoch, dass Geschlechtergerechtigkeit nicht nur für insgesamt mehr Gerechtigkeit sorgt, sondern Gesellschaften auch friedlicher und nachhaltiger werden lässt.
Im Kontext des russischen Angriffskriegs wurde feministische Außenpolitik nicht selten als »Gedöns« abgetan, da diese in Kriegssituationen einem Aggressor nichts entgegenhalten könne. Dies ist in gleich zweierlei Hinsicht falsch. Zunächst muss gerade in Situationen, in denen menschliche Sicherheit – hier die der ukrainischen Bevölkerung – unter Beschuss steht, der bestmögliche Schutz vor allem gefährdeter
Gruppen im Mittelpunkt stehen. Indem man Betroffene in außenpolitische Entscheidungsfindung einbezieht und sich an deren Bedürfnissen orientiert, kann feministische Außenpolitik auch in einer solchen akuten Krisensituation wertvolle Orientierung geben.
Die seit 77 Jahren bestehende internationale Ordnung ist das Ergebnis jahrhundertelanger patriarchaler Tradition. Sie orientiert sich weder an menschlicher Sicherheit noch sorgt sie für Gerechtigkeit, wie der Fall Russlands zurzeit verdeutlicht.
Feministische Außernpolitik will dieses System daher neu denken. Die internationale Ordnung soll demnach auf lange Sicht nicht mehr auf nuklearer Abschreckung und ungleicher Machtverteilung fußen, sondern auf Demilitarisierung und globale Gerechtigkeit ausgerichtet sein. Der Weg dahin ist sicherlich noch lang. Dennoch ist dieser Ansatz das vielversprechendste Mittel, um langfristig eine gerechte internationale Ordnung und damit ein gerechtes Miteinander zu etablieren.
Nein, denn das Wording und die Offensivität, mit der sie eingefordert wird, laufen ihren Zielen zuwider.
Feministische Außenpolitik will in erster Linie dazu beitragen, dass außenpolitische Probleme an ihren strukturellen Wurzeln gelöst werden, folgt man jedenfalls den diesbezüglich übereinstimmenden Aussagen von Luise Amtsberg, Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt, Vertreter*innen des CFFP (Centre for Feminist Foreign Policy) und der amtierenden Außenministerin.
Die überzeugenden Ziele Feministischer Außenpolitik sollen hier gar nicht infrage gestellt werden. Warum also ein Contra? Weil gar nicht die Praxis außerhalb sachhaltig-konstruktiver Einwände, im hiesigen Fokus der Kritik steht, sondern das »Wording«, oder der Diskurs. Was ist denn damit gewonnen, Feministische Außenpolitik als solche zu deklarieren? Sind nicht Viele eher durch die »Kampfansage« (Amtsberg) verschreckt und mauern sich ein? Sollte das Framing gerade im internationalen Bereich nicht diplomatischer lauten, etwa im Kontakt mit offen oder verdeckt antifeministischen Regimes?
Würden beispielsweise das Königreich Saudi-Arabien oder die Islamische Republik Iran es überhaupt so weit kommen lassen, dass die Außenministerin oder Amtsberg Kontakt zu diskriminierten Frauen und LGBTQ-Bewegungen vor Ort aufbauen? Das auch noch, um nicht weniger vorzubereiten als einen Regime-Change von unten? Weil sich gar nicht anders feministische Werte dort in die Tat umsetzen ließen?
Neue Version der Verteidigung »unserer« Werte
Aufgrund von Kritik an der desolaten Menschenrechtslage, vor allem hinsichtlich der Geschlechtergerechtigkeit in Saudi-Arabien durch die damalige schwedische Außenministerin Margot Wallström 2015, zog die Monarchie ihren Diplomaten aus Stockholm ab. So geht Feministische Außenpolitik mit verbaler Kampfansage. Die Forderung führt so aber zu der grundsätzlichen Frage, wie offensiv (rhetorisch wie militärisch) »der Westen« »seine Werte« in Zukunft vertreten möchte. Grundsätzlich scheint sich »der Westen« – also die NATO-Staaten und ihre europäischen Anhängsel seit dem Ende des Kalten Kriegs – durch eine wertegeleitete, sprich ideologische Außenpolitik auszuzeichnen. Feministische Außenpolitik erscheint also als eine neue Version der Verteidigung »unserer« Werte im Ausland. Zur Demokratie hinzu kommt nun (im Begriff bereits logisch mitgemeint) LGBTQ? Konsequente Evolution westlichen Erbes?
Dass Putin nun wiederum unlängst das unsägliche »culture war«-Narrativ übernommen hat und vor der »Verschwulung der Jugend« durch den dekadenten Westen warnt; der russische Patriarch Kyrill sogar LGBTQ-Paraden als ausschlaggebenden Kriegsgrund betrachtet, zeigt, dass der Westen als soft-power durchaus LGBTQ exportiert, beziehungsweise vorhandene Strukturen wie Individuen vor Ort fördert und bestenfalls versucht zu schützen.
Dass dies als ausländische und kulturzersetzende Bedrohung von offen patriarchalen Gesellschaften, oder zumindest Regierungen, die sich so gebärden, verstanden wird, ist logisch. Aber dieser Prozess ist älter, als das deutsche Bekenntnis zu Feministischer Außenpolitik. Bedeutet diese also eine Intensivierung oben genannter Tendenzen? Offensivere Stärkung von LGBTQ-Strukturen und Geschlechtergerechtigkeit vor Ort? Wenn aber genau diese Offensivität zu Repressionen im Zielland führt, zu ideologischer Abkapselung, geht dann die Strategie auf?
So verwundert es auch nicht, dass die Bundesbeauftragte Amtsberg sich in einem segensreichen Interview am 31. August 2022 in der tagesschau für Umbenennungen offen zeigte, solange inhaltlich derselbe bitter nötige Wandel im Fokus der Außenpolitik betrieben wird. Wäre es also nicht vielleicht doch besser, eine andere Semantik zu wählen?
Ein Beispiel für die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Feministische Außenpolitik möchte konsequent dekolonisieren. Das bedeutet aber nicht nur die Machtstruktur des globalen Nordens, insbesondere unseres Wirtschaftssystems demokratischer zu gestalten, sondern daraus folgend eine Restrukturierung des profitorientierten Wirtschaftssystems zu Ungunsten der Konzerne und des westlichen Wohlstands sowie ein Ende der (Lohn-)Sklaverei für den globalen Süden. Wie jüngst Nancy Fraser mehrfach ausgeführt hat, müssen die Aspekte Gender, Race und Class in ihren Verstrickungen zusammengedacht werden, wenn man Unterdrückung und Ausbeutung effektiv bekämpfen will.
Das wird mit der aktuellen bundesdeutschen Regierung nicht passieren. Selbst das energiepolitische Paktieren mit Autokratien, die mit dem Thema Geschlechtergerechtigkeit nichts anzufangen wissen – ganz zu schweigen von anderen Menschenrechtslagen (etwa in Saudi-Arabien) – wird gerade gerne in Kauf genommen, um Russland auszubooten. Da der Anspruch Feministischer Außenpolitik universell ist, kann sie strenggenommen derzeit deshalb nur daran scheitern.
Ist sie also abzulehnen, weil sich hinter der semantischen Rigorosität struktureller Pragmatismus verbirgt? Ein Papiertiger? False-Advertising? Oder besteht vielleicht sogar die Chance, dass der absolutistische Moralismus, der aus der (vorgeblichen; siehe die Hölle des Jemen) Unverhandelbarkeit der Menschenrechte in den Herzen der Anhänger*innen Feministischer Außenpolitik geboren wird, die Politik an ihren eigenen Maßstäben misst?
Die größte aktuelle Gefahr für Feministische Außenpolitik besteht so vielmehr darin, dass sie nicht konsequent umgesetzt wird, dass sie zu regenbogenfarbenem Stuck an der Fassade der Bundesrepublik verkommt. Sie könnte so leider zu Recht ein Unwort werden; ein Feigenblatt für eine Außenpolitik, die sich von der Doktrin des Realismus verabschieden will, aber dann doch kleinlaut einknickt. Eine Außenpolitik, die sich der Ursachenbekämpfung rühmt, durchaus partielle wie markante Erfolge verzeichnen kann, aber vor ihren logischen Konsequenzen zurückschreckt und so der letztlichen Legitimierung von Herrschaft und Unterdrückung dient – im besten Gewissen moralischer Überlegenheit. »Feministische Außenpolitik« bleibt daher mit Vorsicht zu genießen.
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