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© picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

Die Buchbranche im Dauerkrisenmodus Eine Tortur jagt die nächste

Ich hatte die Tagebücher von Tennessee Williams, Marina Zwetajewa, Else Lasker-Schüler studiert und, ja, es gibt Leid und Entbehren in dieser Welt, als Entschädigung aber eine verwegene Lebensgeschichte. Genau das war mein Ziel: leben, koste es was es wolle. Schreiben wäre zu wenig, mehr Abenteuer müsste drin sein, also in die Rolle des Verlegers schlüpfen, was hätte ich zu verlieren?

Wie wird man zum Verleger? Als Branchenneuling bekommt man viel erzählt, was zu beachten sei. Die Erfahrung zeigt aber, dass jede*r mit der Zeit sein eigenes Rezept zusammenstellen sollte, ja muss. Die beste Struktur besteht aus Erfahrungen; Erfolg oder Misserfolg weisen die Richtung. Was es unbedingt braucht, ist Liebe zur Literatur und Nerven wie Stahlseile.

Elf Jahre sind es heute bereits, ELIF hat seinen verträumten Verleger überlebt, gemeinsam sind wir reifer geworden. Geblieben ist die Freude über neue Projekte und Bücher, der Wille, trotz aller Barrikaden den Weg weiter zu gehen. Scheitern ist vorprogrammiert. Du willst der Welt erzählen, wie wichtig Lyrik ist und bekommst zu hören: Du hast bestimmt geerbt und willst es verpulvern, um dich wichtig zu machen. Davon kannst du niemals leben! Wer liest heute noch Gedichte?

Was Du Dir einmal als Wunderland schlechthin vorgestellt hast, kann so trocken sein. Es lässt Dich vor Müdigkeit in ein tiefes Loch stürzen und während du noch nach Licht suchst, häufen sich Rechnungen, Lieferscheine, Mahnungen. Und Du fragst Dich: wofür? Aber Du hast einmal an den Überlebenstrieb der Lyrik geglaubt, also machst Du weiter! Du lernst, Eingriffe zu ignorieren, die Glanz und Fantasie abschmirgeln wollen, ziehst die Mauern höher, um Dich abzusichern.

Die Pandemie beginnt, die Unsicherheit nimmt enorme Ausmaße an, Ragnar Helgi Ólafsson kommt aus Island, um seine Erzählungen mit dem Titel Das Handbuch des Erinnerns und Vergessens vorzustellen. Zwei Lesungen in Köln finden noch statt, eine in Berlin, aber alle Veranstaltungen in Leipzig sind abgesagt. Fünf Neuerscheinungen wurden an die Auslieferung geschickt, die Programmhefte verteilt, mit Veranstalter*innen Termine festgelegt. Vorbei!

Als Verleger versucht man, das gelassen hinzunehmen. Gedichtbände sind keine Saisonware, es werden wieder bessere Zeiten kommen. An einem Morgen kam eine Mail von einem Büchermagazin. Betreff »Lyrik ist für uns wichtig!« Aha! Damit verbunden war das Angebot für Lyrikverlage, eine Viertelseite-Anzeige für 900,- Euro zuzüglich Mehrwertsteuer zu schalten. Während in Supermärkten Mehl, Zucker, Toilettenpapier gehamstert wurden, zeigte auch unsere Branche kannibalische Gelüste. Noch trauriger wurde ich, als ich sah, dass Kolleg*innen darauf reingefallen sind. Inklusive Mehrwertsteuer beträgt die Summe rund 1.100 Euro. Selbst wenn man alle Rabatte abzieht, muss man für eine viertelseitige Anzeige um die 120 Gedichtbände verkaufen.

Kleinsein bedeutet auch Freiheit

Der Glaube, dass ein großer Messeauftritt oder teure Anzeigen dem Verlag Glanz verleihen, besteht fort. Doch diese Zeiten sind vorbei. Beides ist ein Verlustgeschäft. Die jungen Leser*innen legen darauf wenig Wert. Auch die Lesungen auf den Inseln des Messegeländes habe ich immer als Beleidigung der Literatur empfunden: Wie kann man sich in diesem Chaos auf einen Text konzentrieren? Konservative Denkweisen lassen sich aber nirgends schnell verbannen. Jeder Verlag müsste doch wissen, dass ein kluger Auftritt in sozialen Netzwerken effektiver ist als jede Werbekampagne. Was sich nicht verändert hat und die Basis der Arbeit bildet: Eine vertrauensvolle Kommunikation mit der Presse, mit Buchhändler*innen, Veranstalter*innen, Leser*innen und ein eigener literarischer Geschmack. Kleinsein bedeutet auch eine große Freiheit.

In den letzten 15 Jahren hat sich viel verändert. Die Digitalisierung bereitet Probleme, schafft aber auch ein Feld, auf dem jeder seine Produkte/seine Kreativität zeigen, den Markt demokratischer gestalten kann. Nicht alles entwickelt sich zum Negativen, wie ältere Kolleg*innen oft behaupten. Viele erzählen sentimental, wie großartig der Buchmarkt war, die glamourösen Partys, luxuriösen Hotelzimmer und dergleichen. Beim Zuhören überkommen mich peinliche Gefühle, auf diese Schützenfeststimmung verzichte ich gerne. Mein Motto: Mach deine Arbeit, wenn noch Zeit ist, gehst du mit einer Kollegin oder einem Kollegen Pommes oder Pizza essen, dann Zähne putzen und ab ins Bett.

Welche Auswirkungen der gesellschaftliche Umbruch und die Digitalisierung letztendlich auf das Medium Buch haben werden, ist ungewiss. Viele Aspekte beeinflussen den Verkauf belletristischer Werke. Die Feuilletonausgaben der Zeitungen haben in den letzten Jahren an Umfang und Breite enorm abgenommen. Dafür gibt es mehr Influencer in den sozialen Netzwerken, besonders bei Instagram bekommt die Buchpräsentation immer mehr Gewicht. Das gefällt nicht allen, einige sehen diese Plattform als zu oberflächlich an, andere hingegen denken, dass man mit dem Zeitgeist gehen müsse.

Die Herausforderungen in der Herstellung sind nicht geringer. Die Pandemiezeit hat viele Buchhändler*innen und Verlegerkolleg*innen erschöpft. Einige haben Corona nicht verkraftet, ihre Tore freiwillig geschlossen oder Insolvenz angemeldet. Noch ehe diese Tortur verdaut war, brach der Russland-Ukraine-Krieg aus, die Rohstoffpreise explodierten. Hunderte der geplanten Bücher konnten im Frühjahr 2022 aus Papiermangel nicht gedruckt werden.

Wenn die Druckkosten jedoch um 30 Prozent gestiegen sind, die Buchpreise aber konstant bleiben wie in den Vorschauen angegeben, liegt der Gewinn unter der Kalkulation. Die Preise werden also steigen. Und weil die steigenden Rohstoffpreise nicht nur die Buchbranche, sondern alle Lebensbereiche betreffen, gilt es, höhere Hürden zu überwinden. Die Inflation bei mehr oder weniger gleichbleibenden Einkommen, diese Kombination könnte das Medium Buch in ein Luxusprodukt verwandeln.

Als Verleger werde ich oft gefragt, wie ich das Programm zusammenstelle. Jede*r Kolleg*in hat Vorlieben, eigene Mechanismen. Ich reise als Verleger und als Autor mehrmals im Jahr durchs Land, neben eigenen Veranstaltungen interessieren mich auch Lesungen, die nicht bei einem Literaturfestival stattfinden, sondern in einer Kneipe oder Seitengasse, meist von Student*innen organisiert. Für mich die besten Gelegenheiten für Entdeckungen. Es ist eine Sache des Moments, des Impulses. In den letzten Jahren haben mir geschätzte Lyrikkolleg*innen immer mal wieder auch junge Dichter*innen empfohlen, zum Beispiel Julia Dathe, Nail Dogan, Jonis Hartmann. Und Literaturzeitschriften wie Bella Triste und EDIT sind für mich eine wichtige Quelle neuer Namen.

Gemeinsam eine Reise antreten

Übersetzungen aus anderen Sprachen haben in den letzten Jahren mehr Gewicht bekommen, mit Autor*innen und Übersetzer*innen gehe ich gerne einen langen Weg, selten bleibt es bei einer Publikation; das gegenseitige Vertrauen, die Routine beschert eine Ruhe, die auf diesem umtriebigen Büchermarkt rar ist. Besonders am Herzen liegen mir Debüts: Gemeinsam eine Reise antreten und dann schauen, wohin sie führt, das ist eine große Freude. Und nicht zuletzt: Die größten Erfolge hatte ELIF mit Debüts. Schön an so einer Zusammenarbeit ist, dass noch vieles unsicher ist. Kalkulationen gehen oft fehl, da kein Verlag voraussehen kann, wie viele Leser*innen solch ein Buch tatsächlich finden wird. Erfahrene Autor*innen glauben oft noch, dass ein intensives Marketing den Erfolg des Buches automatisch erhöht. Das ist allerdings ein Irrglaube.

Es kann ein Jahr und länger dauern, bis aus einem Manuskript ein Buch wird. Der literarische »Dialekt«, die Stimme bleibt unangetastet, es sind oft kleine Eingriffe, die den Rhythmus, die Klarheit verbessern. Dazu werden Gespräche geführt, Meinungen ausgetauscht. Einige Verlage legen Wert auf visuelle Wiedererkennungsmerkmale, das ist Geschmackssache. Ich finde: Ein Buch sollte nicht das Kleid des Verlages tragen, man sollte ihm eines maßschneidern.

Der Buchverkauf läuft meistens über die Barsortimente des Zwischenhandels und die Buchhandlungen. Am meisten freue ich mich aber über die Bestellungen über den Web-Shop. So sehe ich, in welche Städte die Bücher gehen, die mir unbekannten Orte suche ich auf der Karte. Nach Deutschland kommen die meisten Bestellungen aus Österreich und der Schweiz, aber Taiwan, die USA und Dublin sind auch dabei.

Ich habe vier Kinder, drei leibliche – und ELIF. Alle haben ihre Eigenarten, gehen ihren eigenen Weg. Von allen habe ich sehr viel gelernt. Es ist eine Freude zu beobachten, wie etwas von einem selbst wächst, gedeiht und Früchte trägt. Ich habe immer an Gedichte geglaubt und sie haben mich nie im Stich gelassen. Dafür bin ich sehr dankbar.

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