Ein in Südostasien jüngst wieder häufig zitiertes Sprichwort lautet: »Wenn die Elefanten kämpfen, leidet das Gras.« Die amerikanisch-chinesischen Beziehungen sind zentral für die Gestaltung eines globalen Ordnungsrahmens und sollten idealerweise stabilitäts- und strukturbildend für die internationale Politik sein. In den vergangenen Jahren, insbesondere seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie, stehen sie jedoch vor allem sinnbildlich für die Dysfunktionalität internationaler Verständigung. Anstatt dringend notwendiger Kooperation wird um Macht und Weltordnung noch intensiver gekämpft. Epizentrum des global ausgetragenen Konflikts ist Südostasien, wo die betroffenen Länder weiterhin bemüht sind, sich nicht für eine der beiden Großmächte entscheiden zu müssen, darin aber zunehmend unter Druck stehen.
Das Gravitationszentrum amerikanischer Interessen und Herausforderungen hat sich auch unter dem erratisch agierenden US-PräsidentenDonald Trump weiter nach Asien verschoben. Chinas Aufstieg wird in den USA lagerübergreifend als größte Herausforderung für die eigene Machtposition im internationalen System gesehen. So wird China von der Trump-Administration und etwas differenzierter auch im Lager der Demokraten als revisionistische Macht betrachtet, die langfristig auf Kosten der Vereinigten Staaten nach globaler Vormacht strebt. In der Summe haben der reale Machtzuwachs Chinas, Pekings robustes Auftreten, merkantilistische Wirtschaftspraktiken sowie Trumps Politikstil zu einem drastischen Umdenken in den USA hinsichtlich des Umgangs mit dem Reich der Mitte beigetragen; das kompetitive Element in den Beziehungen ist mittlerweile viel stärker als das kooperative. Der Wettbewerb ist in vielen Bereichen evident – im ideologischen, im wirtschafts- und handelspolitischen, im technologischen und im militärischen.
Während Trump den Multilateralismus seit Amtsübernahme offen zur Disposition stellt, hat sich das in der Regel um Bilateralität bemühte Peking ironischerweise seit drei Jahren als deren vermeintlicher Hüter präsentiert. Die chinesische Führung unter Staatspräsident Xi Jinping hat in den vergangenen acht Jahren jedoch mehr als deutlich gemacht, dass sie keine Absicht zur Konvergenz innerhalb der westlich-liberalen Weltordnung hat. Unter Xi hat die Volksrepublik gleichzeitig ihre jahrzehntelange Zurückhaltung in der Außenpolitik aufgegeben und seit 2013 mit der Belt and Road Initiative (BRI) das weltweit größte geopolitische und geoökonomische Projekt der Gegenwart vorangetrieben. BRI vereint Chinas außenpolitische und ökonomisch-technologische Ziele und manifestiert die Entwicklung von einer Regional- zur globalen Supermacht. In Washington sorgten zunächst BRI-Infrastruktur-Investitionen für Besorgnis, da sie Peking, etwa durch den Ausbau von Häfen und Schnellzugstrecken, strategische Vorteile ermöglichen. In den Fokus amerikanischer Sicherheitsbedenken rücken jedoch zunehmend Investitionen im Rahmen der »digitalen Seidenstraße«.
Von der Werkbank zum Technologieland
Die industrie- und digitalpolitische Komponente der BRI, die stetig an Bedeutung gewinnt, geht Hand in Hand mit der in den USA stark kritisierten Made-in-China-2025- sowie der ergänzenden Internet-Plus-Strategie. So geht es Peking dabei um mehr indigene Innovation, Technologie- und Qualitätsführerschaft, die damit verbundene Kontrolle über Wertschöpfungsketten und Daten sowie technologische Unabhängigkeit. Insofern unterstützt die BRI den strukturellen Wandel der chinesischen Wirtschaft von der Werkbank der Welt zum führenden Technologieland, wobei China mit der BRI auf Drittmärkten auch die Etablierung eigener technischer und regulativer Standards und somit technopolitischer Einflusssphären vorantreibt. Mit »China Standards 2035« hat Peking eigens einen Plan für die gezielte Einflussnahme auf internationale Standardisierungsverfahren formuliert. Institutionen und technologische Pfadabhängigkeiten sollen im Interesse chinesischer Unternehmen mitgestaltet und gefestigt werden, so dass diese zukünftig auch weniger Lizenzgebühren an US- und europäische Technologie-Patentinhaber zahlen müssten.
Die Entscheidungsträger in Washington setzen neben bilateralen Handelsdeals (Ansätze des verbliebenen kooperativen Elements), entsprechend des »United States Strategic Approach to the People's Republic of China« auf Investitions- und Exportbeschränkungen bei strategischer Technologie, die Ächtung chinesischer Technologieführer wie Huawei, auf Produktionsrückverlagerung (reshoring) von in China produzierenden US-Unternehmen, auf die Neustrukturierung globaler Wertschöpfungsketten bis hin zur Entkopplung (decoupling) der zentralen Wirtschaftsverflechtungen (kompetitives Element). Die »China-Falken« in der Trump-Administration sehen die Fortschritte der chinesischen Industrie- und Technologiepolitik als einen strategischen Machtfaktor, welcher die industriellen Grundlagen der USA und ihre Innovationsfähigkeit gefährdet – und damit letztendlich auch die Voraussetzungen militärischer Vorherrschaft. Die Corona-Krise und das Krisenmanagement in China wie in den USA hat die geopolitische Reibungsfläche im bilateralen Verhältnis weiter vergrößert, und nicht wie manche Experten zunächst erhofft hatten zu einem Zusammenrücken und mehr Kooperation geführt. So könnte das Pandemie-bestimmte Bestreben nach mehr Resilienz und Schutz von neuralgischen Lieferketten den Effekt von nearing (Produktion im nahen Umfeld) und reshoring verstärken, während die begleitende Propagandaschlacht Spannungen vertieft.
Epizentrum des sino-amerikanischen Weltkonflikts ist Südostasien, der zentrale geopolitische Dreh- und Angelpunkt im Indo-Pazifik: wo sich mit der Straße von Malakka eine der wichtigsten Seehandelsstraßen der Welt befindet; wo sich die dazugehörigen Länder zwischen den Einflusssphären der dominierenden Mächte u. a. handelspolitisch wie technologisch positionieren müssen; wo nach Prognosen innerhalb des zehn Länder umfassenden Regionalbündnisses ASEAN (»Association of Southeast Asian Nations«) bis 2030 der weltweit viertgrößte Wirtschaftsraum entsteht, wo man derzeit von Unternehmensverlagerungen aus China zu profitieren hofft und wo nicht zuletzt das Risiko eines militärischen Konflikts vergleichsweise groß ist.
So kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Zwischenfällen in der Südchinesischen See zwischen US- und chinesischem Militär, insbesondere seitdem Peking 2010 damit begonnen hat, das Gebiet als »Kerninteresse« zu definieren und seine Interessen robuster voranzutreiben. Viele Beobachter weltweit, aber gerade auch in den Anrainerstaaten, befürchten, dass es schlimmstenfalls zu einem militärischen Konflikt kommen könnte, wenn ein Zwischenfall außer Kontrolle gerät. Neben zahlreichen maritimen Territorialstreitigkeiten Chinas mit seinen Nachbarn kollidiert in der Südchinesischen See der amerikanische Anspruch auf freien Zugang zu den Weltmeeren, wie er sich auch in der »US-Indo-Pazifik-Strategie« manifestiert, mit Chinas Bestreben, eine exklusive Einfluss- und Sicherheitszone in Asien zu errichten und die US-Interventionsfähigkeit dort weitestgehend zu begrenzen. Die jüngste Reaktion der USA darauf ist die »Pacific Deterrence Initiative«, die 2021 und 2022 über sechs Milliarden US-Dollar speziell für das US-Militär im Indo-Pazifik bereitstellt.
Gefährdete Stabilität
Chinas robustes Auftreten in der Südchinesischen See erzeugt jedoch nicht nur in den USA Widerstand, sondern auch in den betroffenen Ländern in Südostasien. Dementsprechend sind diese trotz eines zunehmend ambivalenten Verhältnisses zu den Vereinigten Staaten dankbar für die amerikanischen Freedom-of-Navigation-and-Overflight-Operationen in der Südchinesischen See, während sie selbst mit Peking bereits seit Jahren über Verhaltensregeln in der Region verhandeln. Bereits 2016 hatten die Philippinen ein Verfahren angestrengt und das internationale Schiedsgericht in Den Haag hette auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (UNCLOS) Pekings Gebietsansprüche in der Südchinesischen See (Neun-Striche-Linie) als unrechtmäßig bezeichnet. Ein Urteil, auf das Mitte 2020 auch Indonesiens Regierung in einem Beschwerdebrief an UN-Generalsekretär António Guterres Bezug nimmt. Bereits Anfang Januar 2020 besuchte der indonesische Präsident Joko Widodo entgegen dem Protest aus Peking die zu Indonesien gehörenden Natuna-Inseln und verlegte zusätzliches Militär dorthin, nachdem es in den vergangenen Jahren immer wieder Reibereien um die umliegenden Fischereinutzungsrechte gegeben hatte. Auf dem 36. ASEAN-Gipfel Ende Juni 2020 kritisierte Vietnams Premierminister Nguyen Xuan Phuc, der aktuell auch den ASEAN-Vorsitz innehat, dass immer noch internationales Recht verletzt und die Stabilität bestimmter Regionen gefährdet werde, während die Welt mit dem Kampf gegen die Pandemie belastet ist. Bereits im April 2020 hatte Washington eine Warnung an Peking adressiert, die Corona-Krise nicht für Geländegewinne in der Südchinesischen See zu nutzen, nachdem ein vietnamesischer Fischdampfer vermeintlich von der chinesischen Küstenwache versenkt wurde.
Dabei sind die Länder Südostasiens mit wenigen Ausnahmen stets bestrebt, sich nicht einseitig der Einflusssphäre Washingtons oder Pekings zu unterwerfen. Einerseits, um nicht wirtschaftliche Nachteile zu erleiden, andererseits, um nicht zu Schachfiguren im Konflikt der Großmächte zu werden. Man möchte sich stattdessen als gestaltender Akteur mit eigenen Institutionen und Konzepten behaupten. Dementsprechend wird an die Einigkeit in der Region appelliert, sich der »Zentralität von ASEAN« selbstversichert und jüngst noch mehr Resilienz gegenüber dem Druck externer Mächte gefordert. Ein Ausdruck des damit verbundenen Souveränitäts- und Gestaltungswillens und der Sorge vor möglichen negativen Auswirkungen einer Eskalation der sino-amerikanischen Rivalität auf die Region sowie Reaktion auf Indo-Pazifik-Strategien anderer Länder ist das im Juli 2019 von ASEAN und vom größten Mitgliedstaat Indonesien forcierte »ASEAN-Outlook-on-the-Indo-Pacific«-Konzept.
Das Ansehen der USA schwindet
Ein weiteres zentrales Anliegen der ASEAN-Länder sind Freihandelsabkommen; insbesondere die Ratifizierung des »Regional Comprehensive Economic Partnership« (RCEP), an dem neben den zehn ASEAN-Mitgliedsländern auch China, Australien, Neuseeland, Japan und Südkorea beteiligt sind. Bei einem erwarteten Abschluss in der zweiten Jahreshälfte 2020 würde der größte Handelsblock der Welt entstehen, der die Hälfte der Weltbevölkerung und ein Drittel des Weltsozialprodukts abbildet. Die USA sind explizit nicht Teil von RCEP und haben der Region bislang keine Alternative anzubieten. Insofern war Trumps Rückzug aus dem bereits ausverhandelten »Transpacific Partnership Agreement« (TPPA) kurz nach seinem Amtsantritt im November 2016 ein unverhofftes Geschenk für Peking. Denn RCEP dürfte die ASEAN-Länder zwangsläufig wirtschaftspolitisch enger an den großen Nachbarn China binden. Und auch wenn die Debatte und ein entsprechendes Risikobewusstsein in den meisten Ländern Südostasiens bislang noch nicht weit gediehen ist, wird es bei der Entscheidung für langfristig pfadsetzende Technologien und Standards wie etwa 5G-Netzwerke zunehmend schwierig, den Anspruch aufrechtzuerhalten, sich nicht für eine Seite zu entscheiden.
In Interviews mit Experten in Südostasien wird Pekings Pandemie-Unterstützung an Länder der Region als schneller, koordinierter und umfangreicher als die aus Washington beschrieben. Grundsätzlich ist das Ansehen der USA in dieser Region während der Coronakrise weiter gesunken. Gleichzeitig arbeitet Peking an seinem ramponierten Image und kündigte an, die Idee einer »Gesundheits-Seidenstraße« wieder zu beleben, um neben einer »Schicksalsgemeinschaft im Cyberspace« auch eine »Schicksalsgemeinschaft der Menschheit« zu erschaffen. Ohnehin spricht viel für ein gutes Verhältnis der Länder Südostasiens zu China: ökonomisch im Hinblick auf die Größe des Absatzmarktes, aufgrund des Investitionspotenzials der von China dominierten Entwicklungs- und Infrastrukturbanken sowie schlicht aufgrund der geografischen Nähe. Pekings robustes Auftreten in der Südchinesischen See manifestiert jedoch Befürchtungen in Südostasien. Laut der im Januar 2020 erschienenen und in allen zehn ASEAN-Ländern empirisch durchgeführten Studie The State of Southeast Asia: 2020 des Singapurer Thinktanks ISEAS-Yusof Ishak Institute gaben 53,6 % der Befragten an, dass, wenn sie zu einer Entscheidung zwischen den beiden Supermächten gezwungen wären, sie sich für Washington entscheiden würden. 71,9 % der Befragten sind über Chinas zunehmenden ökonomischen und 85,4 % über dessen wachsenden politisch-strategischen Einfluss in der Region besorgt.
Mehr Engagement Japans und der EU in der ASEAN-Region würden hingegen 38,2 bzw. 31,7 % der Befragten gutheißen. Umgekehrt sollte die EU ein großes Interesse daran haben, sich dort wirtschaftspolitisch stärker zu engagieren, die Freiheit der Schifffahrtswege zu unterstützen sowie einen eskalierenden Konflikt in der Südchinesischen See zu vermeiden. Insofern würde viel für die Entwicklung einer eigens europäischen Indo-Pazifikstrategie sprechen, die u. a. von Deutschland initiiert wird und für den Dialog mit China offen ist.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!