Die einleitende Frage enthält zwar ein Fragezeichen, ist aber ganz offensichtlich rhetorisch. Sie transportiert Annahmen. Schon das erste Begriffspaar enthält eine Annahme. Sie lautet: Filterblasen und Echokammern existieren. In ihnen gibt es keinen Platz für kluge Diskussion, weil im ersten Fall ein Algorithmus steuert, was der Empfänger zu sehen, zu lesen und zu hören bekommt, im zweiten die eigene Meinung wieder und wieder gespiegelt wird. Für die Existenz solcher Kammern spricht zwar Einiges: Wer seine Informationen von entsprechend konstruierten Algorithmen erhält, wird am Ende eher in den eigenen Überzeugungen verharren, anstatt sie zu prüfen. Eine differenzierte Meinungsbildung ist vermutlich weder beabsichtigt noch möglich, wenn der Zugang zum breiten und vielfältigen Strom der Nachrichten und Kommentare einmal verloren ist. Für das Ergebnis spielt es kaum eine Rolle, ob die Beschränkung selbstgewählt, zufällig, oder ein Geschäftsmodell ist. Die Wahrnehmung verengt sich.
Das allerdings gilt nicht nur für bildungsferne, prekäre, hasserfüllte oder dem Rechtsradikalismus zuneigende Milieus, die man sich unwillkürlich vorstellen soll, wenn das Thema Filterblase und Echokammer aufgerufen wird. Dem aufgeklärten Intellektuellen erscheint es so, als seien die Kammern von Reichsbürgern bevölkert, von deutschem Geist durchweht, zumindest aber von feindseligen Kräften geprägt. In den Filterblasen der US-Amerikaner wohnen die Trump-Anhänger und Verschwörungsgläubigen. Ist es aber wirklich so?
»Ist die Filterblase nicht auch auf der hellen Seite des Diskurses zu Hause?«
Befriedigt die Echokammer nicht aber auch das menschlichste aller Bedürfnisse – das nach Anerkennung, Zustimmung und Aufgehobenheit? Haben das simpel gestrickte Menschen exklusiv? Wenn die Kollegen »ihre Bubble« mit Kommentaren auf LinkedIn herzen, die Tweets oder Skeets der stets »wunderbaren« Gleichgesinnten feiern, wird dann nicht auch ihre Wahrnehmung nach und nach auf die Welt beschränkt, in der sie sich bewegen? Wer die hässlichen Bemerkungen nicht mehr liest, die nach politischen Entscheidungen oder klugen Leitartikeln unausweichlich sind, die Hater gerichtlich verfolgen lässt, mag Recht haben. Doch Recht zu haben und den Fokus auf das zu beschränken, was angenehmer und geschmeidiger daherkommt, sind zwei unterschiedliche Sachen. Die Mitte ist leer geworden, daran sind alle beteiligt. Das verharmlost weder den Rechtsextremismus, noch die Gefahr von Meinungsmonopolen. Doch es weist auch darauf hin, dass die »Guten« und ihre Sicht der Welt von den Anderen nun ebenfalls als Extrempunkt der Polarisierung wahrgenommen werden.
Was ist das reflektierte Wort?
Das reflektierte Wort ist eine Sprachschöpfung der besonderen Art. Es signalisiert Überlegenheit dem einfachen Wort gegenüber, es ist schließlich vernunftvorgefiltert. Doch wann hätte es jemals die öffentliche Debatte bestimmt? Nicht einmal in den Anfangsjahren der westlichen Bundesrepublik, der östlichen DDR wäre jemand auf die Idee gekommen, den neuen Staat, die Bonner Demokratie mithilfe des reflektierten Worts aufzubauen. Der zurückhaltende, nachdenkliche, überlegte Ton war in seinen besten Momenten die Begleitmelodie, aber nie die Dominante. Intellektuelle haben darunter schon immer gelitten.
Das hat sich jetzt noch einmal verschärft. Nicht nur, weil die Tonalität rigoroser geworden ist, sondern weil der Nachteil von leisen Minderheiten besonders bemerkbar wird. Der öffentliche Diskurs hat sich erweitert, beschleunigt, er ist lauter und aggressiver geworden. Das reflektierte Wort ist das leidtragende Opfer dieser Entwicklung. Weil heute Stammtischbrüllereien Millionen erreichen können, wird das Nachdenkliche energischer als früher verdrängt und übertönt. Hat es deshalb weniger Einfluss? Möglicherweise. Es wird aber auch deshalb infrage gestellt, weil
Dieser Artikel ist noch nicht im Volltext freigeschaltet.
Sie können aber hier die
Ausgabe
bestellen
.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!