Die Talkshow hat im deutschen Fernsehen eine lange Geschichte. Sie reicht von Werner Höfers Internationalem Frühschoppen über Dietmar Schönherrs Je später der Abend und wird nicht bei Lanz enden. Die wahre Geschichte der modernen politischen Talkshow beginnt 1989/90 im Privatfernsehen mit zwei (um es auf Deutsch zu sagen:) prägenden Diskussionsreihen, nämlich mit Explosiv – Der heiße Stuhl auf RTL und dem Talk im Turm auf SAT.1. Auf dem »heißen Stuhl« wurden (nicht nur) Politiker von fünf Kontrahenten gegrillt, im »Turm« wurden aktuelle Themen von Personen des öffentlichen Interesses besprochen. In der einen Sendung trieb der alerte Gebirgsjäger und Reserve-Oberstleutnant Ulrich Meyer die Kontroverse voran, in der anderen residierte der alte Journalist Erich Böhme - anfangs mit der jungen Sandra Maischberger.
Obschon Trendsetter verzichtet das Privatfernsehen auf politische Talkshows, dafür gibt es sie noch in den öffentlich-rechtlichen Programmen und das nicht zu knapp. Denn eine Talkshow ist relativ preiswert herzustellen, füllt ein ordentliches Programmvolumen und kann unter dem den Programmauftrag gut zu rechtfertigende Ressort »Politik und Gesellschaft« geführt werden. Talkshows sind zudem äußerst flexibel einsetzbar, weil sie sofort mit aktuellen Themen gefüllt und jeweils passenden Teilnehmern besetzt werden können. Nicht zuletzt besitzen sie ihr Publikum.
Caren Miosga erreicht im Ersten mit Quoten um 13 Prozent knapp drei Millionen Zuschauer, etwas darunter liegt Maybriet Illner im Zweiten. Nach dem Ampel-Aus, als der Kanzler in die Sendung von Caren Miosga kam, schossen Quote und Reichweite in die Höhe: 21 Prozent und 4,68 Millionen Zuschauer verursachten einen neuen Rekord, selbst die Quote bei den 19- bis 49-Jährigen lag kaum darunter. Was für eine Chance! Der Ereignischarakter des Formats sorgt dafür, dass nicht nur in der Sendung geredet wird, sondern auch über sie, jedenfalls am Tag danach in den Zeitungen. Damit ist die Halbwertszeit einer einzelnen Episode aber schon beschrieben, denn die Abrufzahlen in den Mediatheken sind eine zu vernachlässigende Größe. Dennoch bleibt als Ergebnis immer hängen: Die Politik ist angesichts der auf der Hand liegenden Probleme permanent überfordert und fortgesetzt zerstritten, sie ist – gemessen an ihren Taten und Worten – andauernd unglaubwürdig und stets unaufrichtig. Für die Verbreitung dieser Klischees sorgen die immer gleich gestrickten (Suggestiv-)Fragen, die notgedrungen die immer gleichen schablonenhaften Antworten hervorbringen. Zum Schluss wird allen Beteiligten mitgegeben, dass sich die Politik leider nicht mit den Problemen des Landes beschäftige, sondern mit sich selbst, was nichts anderes als Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen lenke.
»Bestätigung der vorgeformten Meinung statt Erkenntnisgewinn, Aufregung statt Analyse.«
Koalitionsbruch, Kanzlerkandidaten-Debatte, FDP-Debakel, heraufziehender Wahlkampf und dann noch die Rückkehr der einst ewigen Kanzlerin Merkel boten Miosga, allen anderen Talkmasterinnen sowie Lanz und Klamroth genügend Anlässe, dem politischen Treiben auf den Grund zu gehen, Hintergründe auszuleuchten und Zusammenhänge herzustellen, doch sie boten geistige Schonkost gepaart mit unstillbarer Sensationslust. Sie eiferten dem Heißen Stuhl und nicht dem Talk im Turm nach. Die Devise lautete: Streitshow statt geselligem Gespräch, Bestätigung der vorgeformten Meinung statt Erkenntnisgewinn, Aufregung statt Analyse.
Und dann ist noch viel Heuchelei im Spiel. So, wenn Moderator und Moderatorin durchblicken lassen, der Kanzler hätte den Finanzminister nach dem Vertrauensbruch doch nicht persönlich angreifen dürfen. Aber hätte er wirklich sagen sollen: »Das Arbeitsverhältnis endet im beiderseitigen besten Einvernehmen?«. Erwarten nicht dieselben Moderatoren von ihren Gästen, (endlich einmal!) Tacheles zu reden, aus ihrem Herzen keine Mördergrube zu machen, Farbe zu bekennen, sich frank und frei zu äußern, kurzum: enervierende Kommunikationsmuster zu durchbrechen, um das Vertrauen in die Politik und die Demokratie wiederherzustellen?
Blick durch das Schlüsseloch in die Gemächer der Politik
Doch wer über die »Kommunikationsmuster der Politprofis« (Louis Klamroth) klagt, darf über die Kommunikationsmuster der Moderationsprofis nicht schweigen. Talkmaster/innen sind eben journalistische Generalist/innen mit dem Fachwissen, Politiker aus der Fassung zu bringen. Sie halten für ziemlich professionell, was vernünftige Menschen eher bedauern. Hartnäckiges Nachfragen wird als berufliches Handwerk ausgegeben, selbst wenn es sich dabei um nichts anderes als ein impertinentes Verhalten handelt. Es unterschätzt zudem das Publikum, das durchaus wahrnimmt, wenn der Befragte nicht antworten möchte und sich daraus eine eigene Meinung bilden kann.
Oder wenn die Moderatoren die Diskussion immer wieder auf die Schlüssellochperspektive verengen statt ein Panoramabild zu eröffnen. Der Frage, wer hat wann und wo was gewusst, ist eine berechtigte Frage – im investigativen Journalismus. Doch eine Talkshow hat mit investigativem Journalismus etwa so viel gemein wie das Sommerfest der Volksmusik mit einem Nick-Cave-Konzert. Das ständige Verlangen der Moderatoren, die Gäste und das Publikum zu Komplizen ihres Blicks durch das Schlüsselloch in die Gemächer der Politik zu machen, mag verständlich sein, doch es bleibt vergeblich.
Personalisierung statt Sachdiskussion
Vergeblich zum einen, weil – wie der Politikwissenschaftler Klaus von Beyme einmal erklärte – zwar die Ebene der symbolischen Politik durch die Medienlogik mitbestimmt wird, aber die Entscheidungsebene der Politik letztlich doch noch anderen Logiken folgt. Vergeblich auch deswegen, weil die Moderation die Erwartung des Talkshow-Publikums dabei zu sein und mitreden zu können, einfach enttäuschen muss, denn die Zuschauer waren eben nicht dabei, als die Entscheidungen fielen und sie konnten auch nicht mitreden. Vergeblich zum dritten, weil die Talkshow-Logik gar nicht darauf ausgerichtet ist, politische Leistungen konkret aufzuzeigen, geschweige denn, sie zu würdigen. Sie zeigt und würdigt allein die darstellerischen Qualitäten der Politik.
Heuchlerisch wird es auch, wenn von der Politik gefordert wird, sie solle sich doch bitte auf die sachliche Lösung der großen Probleme konzentrieren. Doch diese großen Probleme bleiben im Talkshow-Alltag zumeist Randnotizen, müssen es bleiben, weil nicht die Sachdiskussion auf das Sendekonzept einzahlt, sondern die Personalisierung der Politik und die Stilisierung politischer Konflikte, gewürzt mit der üblichen gehörigen Portion Negativismus, der an konstruktiven Lösungen nicht wirklich interessiert ist.
Oder die großen Probleme werden an andere adressiert und selbst umgangen. Wie oft wurde betont und beschworen, die Lehre aus der Wahl Trumps sei, dass Europa jetzt aber endlich zusammenstehen müsse, nur dass die EU-Themen in den Talkshows genauso unterrepräsentiert sind wie EU-Politiker und der Sturz der Regierung im Nachbarland Frankreich für die nächste Talkshow eine Randnotiz abgibt. Und dennoch, es gibt sie, die schönen Momente der politischen Talkshow. So, wenn Peer Steinbrück störende Nebenbemerkungen des Moderators einfach beiseite wischt und sich solange nicht beim Dozieren von Sachthemen stören lässt, bis dieser beinahe reuevoll bekennt, er habe an diesem Abend wieder einmal etwas gelernt und man ihm dies ohne Bedenken abnimmt. Oder wenn Angela Merkel in eine Talkshow eingeladen wird, die unter der nicht ernstgemeinten Frage »Wie gut haben Sie regiert?« steht, immer wieder aufs Neue ernsthaft »gut!« antwortet.
»Ein Talkshow-Geschöpf wird vorübergehend politische Wirklichkeit.«
Oder wenn ein Talkshow-Geschöpf wie Sahra Wagenknecht vorübergehend politische Wirklichkeit wird, indem sie ihre im Studio erprobten darstellerischen Fähigkeiten auf die Gründung einer eigenen Partei überträgt, während die bisher einzige erbrachte politische Leistung – die besonders tatkräftige Mitwirkung an der Zerstörung einer erstaunlich erfolgreichen Partei – dahinter völlig verblasst. So wie die politischen Talkshows nach ihrer Moderatoren benannt sind, hat sie ihren Namen auf die Bezeichnung der neuen Partei übertragen. Dass sie ihr (Partei-)Publikum selbst aussucht geht über eine echte Talkshow allerdings hinaus. In Thüringen durften 126 (in Worten: einhundertsechundzwanzig) Mitglieder, denn mehr Wagenknechte zählt das politische Unternehmen dort nicht, über eine neue Landesregierung abstimmen. Man ist gespannt auf die Talkshow, in der die Parteimatriarchin hartnäckigst gefragt wird, ob ihr politisches Geschöpf überhaupt Artikel 21 des Grundgesetzes genügt, der verlangt, die »innere Ordnung« einer Partei müsse »demokratischen Grundsätzen entsprechen«.
Historisch betrachtet steht das im öffentlich-rechtlichen Rundfunk überaus gepflegte Genre der modernen politischen Talkshow also in der Tradition des Heißen Stuhls, gekreuzt mit dem Presseclub-Format (dem Nachfolger des Internationalen Frühschoppens), wo Journalisten Journalisten, die für alles eine Antwort haben, alles mögliche fragen, dies aber unter der Beigabe einiger eloquenter Experten, die dem Ganzen einen wissenschaftlichen Anstrich verleihen. Wenn man noch weiter in die Geschichte zurückgehen will, landet man bei der griechischen Tragödie. In ihr trugen die in eine schlimme Situation unheilbar verstrickten Protagonisten bekanntlich Masken, wobei deren Einlassungen immer wieder von einem Chor kommentiert wurden. Der tragische Held scheiterte stets, denn er konnte sich nicht aus der Affäre ziehen ohne seine eigenen Überzeugungen aufzugeben. Das mitleidende Publikum sollte durch ein solches Schauspiel geläutert werden.
Ob in der Läuterung des Publikums Ziel und Zweck der politischen Talkshow liegt, darf mit Fug und Recht bestritten werden. Eines lässt sich aber nicht bestreiten: Der Chor der Journalisten wird weiter singen, der Moderator das Geschehen weiter fügen und immer wieder werden sich Heldinnen und Helden gegen das ihnen vorgezeichnete Schicksal stemmen. Zum Glück ist die politische Talkshow eine Unterhaltungssendung; sie ist Gott sei Dank nicht der Ernstfall des Lebens.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!