Armut kann krank machen. Aber Krankheit und mangelnder Zugang zu Gesundheitsleistungen macht auch arm – und kann in Armut gefangen halten. In vielen Ländern, darunter auch reichere Nationen, ist es ein bekanntes Phänomen, dass Menschen in schwierigen finanziellen Situationen häufiger an Krankheiten leiden und gleichzeitig deutlich schlechteren Zugang zu qualitativ hochwertiger Gesundheitsversorgung haben. Hierbei verstärken sich Armut und Gesundheit wechselseitig – ein Kreislauf, der oft schwer zu durchbrechen ist und gravierende Folgen für die persönlichen Schicksale aber natürlich auch die Gesellschaften als Ganzes hat.
Die Forschung zeigt, dass soziale Determinanten – wie Bildung, Einkommen und Wohnverhältnisse – entscheidende Einflüsse auf die Gesundheit von Menschen haben. Menschen in Armut haben häufig eine geringere Lebenserwartung und ein höheres Risiko für chronische Krankheiten. Diese Probleme entstehen nicht nur aufgrund schlechterer materieller Bedingungen, sondern auch wegen des damit einhergehenden Stresses, der psychischen Belastungen und des oft geringeren Zugangs zu präventiven Gesundheitsdiensten. Ohne den nötigen sozialen Rückhalt und eine verlässliche Gesundheitsversorgung geraten Menschen so leicht in einen Strudel aus Verarmung und schlechter Gesundheit.
Out-of-Pocket-Ausgaben und das Armutsrisiko
Eine besonders einschneidende Form dieses Risikos sind die sogenannten Out-of-Pocket-Spendings, also Ausgaben, die Haushalte aus eigener Tasche für Gesundheitsdienstleistungen aufbringen müssen. Solche Zahlungen können Menschen in finanzielle Notlagen treiben, selbst in wirtschaftlich stabilen und wohlhabenden Ländern. Dazu zählen Medikamente, Arztbesuche, Behandlungen oder notwendige medizinische Hilfsmittel. In Ländern ohne umfassende Sozialversicherungssysteme oder mit hohen Selbstkostenanteilen kann dies dazu führen, dass Menschen sich entscheiden müssen, ob sie ihre Miete zahlen oder eine lebenswichtige Behandlung finanzieren.
»Wenn medizinische Leistungen zu einem Luxus werden, folgen Sorgen und Verunsicherung.«
Studien zeigen, dass solche Ausgaben weltweit Millionen Menschen in die Armut treiben. Selbst in Industrienationen wie den USA müssen viele Menschen erhebliche Kosten für Gesundheitsversorgung selbst tragen, was oft zu Schulden und Zahlungsproblemen führt. Aber auch für Europa warnte die WHO 2023 vor ruinösen Selbstzahlerkosten im Gesundheitswesen. Dass die Covid-Pandemie hunderte Millionen Menschen in die Armut getrieben hat, wissen Viele. Dass die nächste Pandemie bald wieder kommen kann, auch. Wenn medizinische Leistungen zu einem Luxus werden, der über das Einkommen hinausgeht, folgen Sorgen und Verunsicherung.
Aus der Erkenntnis, dass hohe Gesundheitskosten zu Verarmung führen können, ergibt sich für die Politik die dringende Aufgabe, präventive und finanzielle Maßnahmen zu ergreifen, um die Gesundheitsversorgung so zu gestalten, dass niemand durch Out-of-Pocket-Ausgaben in Armut gerät. Erst im September dieses Jahres haben die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen ihr Ziel einer Welt ohne Armut und mit Zugang zu Gesundheit, so wie es die 17 Nachhaltigkeitsziele vorsehen, als Teil eines umfassenden Paktes für die Zukunft erneuert. Dass es ein sicherndes Netz braucht, das Menschen vor existenzbedrohenden Gesundheitsausgaben bewahrt, gilt als frühe Errungenschaft der Sozialpolitik in Deutschland. Das Ziel einer universalen Gesundheitsversorgung – oder Universal Health Care – wie es die Nachhaltigkeitsziele (SDGs) bis zum Jahr 2030 weltweit vorsehen, ist aber nicht in Reichweite.
Frauen besonders betroffen
Hinzu kommt: Armut ist sexistisch. Nach wie vor sind Menschen – auch und gerade aufgrund gesundheitlicher Gefährdungen – einfach nur dann schon einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt, wenn sie zwei X-Chromosomen haben. Denn Frauen sind überproportional häufig in der informellen Wirtschaft tätig und verdienen allgemein weniger als Männer. Sie übernehmen weltweit die Hauptlast der unbezahlten Pflegearbeit für Kinder, ältere Angehörige und Kranke. Dies schränkt ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten ein und erhöht das Risiko, in Armut zu geraten, insbesondere wenn sie selbst krank werden und zusätzliche Kosten tragen müssen. Sie erleben häufiger geschlechtsspezifische Gewalt, die ihre Gesundheit dramatisch beeinträchtigt und ihnen lebenslang schadet. Und, nicht zu vergessen, Frauen haben spezifische Gesundheitsbedürfnisse, die zusätzliche Kosten mit sich bringen können. Dazu gehören Gesundheitsdienste wie Schwangerschaftsvorsorge, Geburtshilfe, Verhütung oder Abtreibung sowie Behandlungen für Krankheiten, die Frauen überproportional betreffen. In vielen Ländern werden diese Kosten nicht durch öffentliche Systeme gedeckt.
»Soziale Sicherheitsnetze, die Armuts- und Abstiegsszenarien verhindern, sind aktive Beiträge zu Stabilität und Demokratie.«
Dass wir es besser machen müssen, ist ein Gebot der Menschlichkeit – aber auch von Vernunft und Sinn für Stabilität. Die US-Präsidentschaftswahl hat sehr deutlich gemacht, wie machtvoll Abstiegsängste auf das politische System durchschlagen können. Soziale Sicherheit ist also nicht nur moralisch geboten, sondern auch zentrale Voraussetzung für Vertrauen in eine leistungsfähige Demokratie, die Zuversicht stabilisiert und sozialen Zusammenhalt sichert. Soziale Sicherheitsnetze, die Armuts- und Abstiegsszenarien verhindern, sind somit aktive Beiträge zu Stabilität und Demokratie. Eine Gesellschaft, in der Menschen angstfrei Zugang zu notwendigen Gesundheitsdienstleistungen haben, ist weniger anfällig für soziale Fragmentierung und politische Instabilität. Dass hier ein Zusammenhang besteht, wird übrigens auch gestützt durch systematische Forschung von Experten wie Martin McKee, die beobachtet haben, dass ein Rückgang von Lebenserwartung mit dem Aufstieg populistischer Bewegungen und staatlichem Zerfall einhergeht.
Diese Erkenntnisse gelten natürlich nicht nur für Länder unserer Hemisphäre, sondern sind im internationalen Kontext noch weit relevanter. In vielen einkommensschwachen Ländern sind die Einkommens- und Vermögensungleichheiten noch größer als in Europa, und die Gesundheitsversorgung ist häufig auf wenige, von globalen Gesundheitsinitiativen finanzierte Programme beschränkt. Die Risiken des Abgleitens in Armut und soziale Unsicherheit sind hier noch drastischer. Stabile, zugängliche und gerechte Gesundheits- und Sozialsysteme in diesen Regionen zu fördern verbessert somit nicht nur das Wohlergehen der Bevölkerung, sondern stärkt auch die gesellschaftliche Stabilität und das Vertrauen in demokratische Prozesse.
Internationale Zusammenarbeit stärken
Ein Beispiel für partnerschaftliche Mechanismen, die zur Stärkung von Gesundheitssystemen weltweit beitragen, ist der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria, indem er Programme unterstützt, die sowohl auf die Krankheitsbekämpfung als auch auf den Aufbau von Gesundheitsinfrastrukturen und die Stärkung der Frauen abzielen. Solche Förderungen sind unerlässlich, um darauf hinzuarbeiten, dass Menschen nicht aufgrund fehlender Gesundheitsversorgung in prekäre Situationen geraten.
Der Globale Fonds ist aber nur ein Beispiel für eine unerlässliche internationale Zusammenarbeit, um langfristig Stabilität und demokratische Teilhabe auch dort zu fördern, wo derzeit noch wenig Resilienz gegen Krisen und Unsicherheit besteht. Besonders negativ wirkt sich die Tatsache aus, dass die eigenen fiskalischen Möglichkeiten sehr vieler Staaten derzeit von einer enormen Schuldenkrise begrenzt werden. Es ist schon einmal gelungen, eine solche weltweite Schuldenproblematik mit durchdachten Erlassen aufzulösen und die so freiwerdenden Finanzen gezielt Aufgaben wie Bildung und Gesundheit zu widmen. Die aktuelle Schuldenkrise hat strukturell neue und andere Merkmale. Grundsätzlich ist die Idee aber sinnvoll. Grundsätzlich brauchen wir einen erneuten Schuldenerlass – allerdings unter Einbeziehung des Gläubigers China.
Eine zukunftsweisende Politik nimmt Armut, Demokratie und Gesundheit in einen Blick.
Die Verknüpfung von Gesundheitsversorgung und Armutsprävention ist eine der wichtigsten Aufgaben einer vorausschauenden Politik, sowohl national als auch global. Um den Teufelskreis von Armut und Krankheit zu durchbrechen, bedarf es politischer Maßnahmen, die den Zugang zu Gesundheitsleistungen für alle Menschen sicherstellen. Es geht erst allen gut, wenn es allen gut geht. Dazu gehört die Förderung von gemeinwohlorientierten Gesundheitsmodellen, die sich an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientieren und soziale Sicherheit in den Mittelpunkt stellen. Es ist richtig, weiterhin Modelle zu entwickeln, mit denen wir Gesundheitskosten durch stabile Finanzierungsstrukturen abfedern und gleichzeitig präventive Maßnahmen verstärken, die das Risiko schwerwiegender Krankheiten minimieren. Im internationalen Bereich bedeutet dies, dass reiche Länder mehr Verantwortung übernehmen und durch Initiativen wie den Globalen Fonds zur Stabilisierung von Regionen und zur Förderung von gesellschaftlicher Stabilität beitragen.
Ein gerechtes und verlässliches Gesundheitssystem ist nicht nur eine Frage des Gemeinwohls, sondern auch eine wesentliche Säule einer lebendigen und stabilen Demokratie. So kann es gelingen, den Teufelskreis von Armut und Krankheit zu durchbrechen.
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