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Thomas Karlaufs Stauffenberg-Porträt Handeln in letzter Konsequenz

Zum 70. Jahrestag des Attentats auf Adolf Hitler erklärte der damalige Bundespräsident Joachim Gauck am 20. Juli 2014: »Aus diesem Erbe konnte die neu gegründete Bundesrepublik, als sie – allerdings verspätet – die Bedeutung des militärischen Widerstands begriffen hatte, Legitimation schöpfen. (…) Und trotzdem hat es einige Zeit gedauert, bis dieses Erbe auch in der Mitte der Gesellschaft angenommen wurde: Noch in den 1950er Jahren gab es in der jungen Bundesrepublik viele, die die Männer um Stauffenberg weiterhin als ›Landesverräter‹ diffamierten. Oder solche, die ihnen vorwarfen, sie hätten nur angesichts der sich abzeichnenden Katastrophe gehandelt.«

Im Zentrum der nun zum 75. Jahrestag des Attentats auf Hitler erschienenen Biografie von Claus Schenck Graf von Stauffenberg stehen die Deutungen und interpretatorischen Wandlungen seiner historischen Tat. Wie lassen sich die persönlichen Motive Stauffenbergs, wie seine Rolle in der Gemengelage der militärischen und zivilen Widerstandsgruppen ergründen? Angesichts des geheimen Charakters der Aktionen sind alle Einschätzungen generell nur schwer zu belegen. Berichte von Zeitzeugen sind schon deshalb mit Vorsicht aufzunehmen, weil sie die jeweiligen Positionen und Aktivitäten meist im Nachhinein darstellen.

Der Stauffenberg-Biograf Thomas Karlauf sieht die mythenbildende Erinnerungsliteratur zum 20. Juli äußerst skeptisch und bezieht sich vielfach auf die Kaltenbrunner-Berichte der Gestapo und die Befragungsprotokolle der Verschwörer: »Im Zweifel ist auf sie mehr Verlass als auf einen Großteil der nach dem Krieg entstandenen Erinnerungsliteratur.« Die bundesrepublikanische Gesellschaft habe die Verschwörer zunächst als vermeintlich unpatriotische Verräter geschmäht, sie später jedoch in ihrem demokratischen Selbstfindungsprozess zu weitgehend immunen Lichtgestalten und unantastbaren Vorbildern erhoben.

Karlauf dagegen will gerade bei Stauffenberg nicht nach einer moralischen Motivation suchen, »die es, in der uns heute selbstverständlich gewordenen, der Schreckensherrschaft des Dritten Reiches angemessenen Form« bei ihm nicht gab. Er konzentriert sich auf die »militärisch-politische Motivation« des Attentäters und auf die Ursachen jenes »Ablösungsprozesses«, der den zunächst regimebejahenden Offizier Stauffenberg, bei dem sich bis Mitte 1942 keine Belege für ein Komplott gegen Hitler finden lassen, dazu brachten, Verantwortung und Ehre höher zu stellen als soldatischen Gehorsam. »Eine Biographie Stauffenbergs hat die Wurzeln bloßzulegen, aus denen sich das zur Ausübung einer solchen Tat erforderliche Selbstbewusstsein nährte.«

Die prägenden Werte und Ideale Stauffenbergs entstammten den Einflusssphären von Familie und Soldatentum, doch sei auch die Rolle des George-Kreises hoch zu veranschlagen. Claus von Stauffenberg war 15 Jahre alt, als er und sein drei Jahre älterer Bruder Berthold, der gleichfalls an der Verschwörung des 20. Juli beteiligt war, in den Bann des Dichters Stefan George gerieten, dessen Kreis sie seit 1923 angehörten und worin sie schon bald eine Vorzugsstellung einnahmen. Karlauf, ebenfalls Autor einer großen, 2007 publizierten George-Biografie, skizziert die enorm weite geistige Einflusszone des Dichter-Priesters, in der gemeinsame Lektüren ebenso bestimmend waren wie die Entwürfe eines idealen Ichs. Dass das Buch mit einer Schilderung der maßgeblich von Stauffenberg organisierten Totenwache für George 1933 beginnt, gehört zu den zuspitzenden Kniffen der Darstellung, die die Deutung in diese Richtung lenken, wie auch die These, Stefan George habe der Dichtung nicht weniger radikal als Karl Marx eine revolutionäre Kraft zugesprochen, stark genug, die bestehenden Verhältnisse umzustoßen.

In Karlaufs Sicht waren Stauffenbergs aristokratische Herkunft, seine militärische Sozialisation und der vom George-Kreis gepflegte heroische Freundschafts- und Unabhängigkeitsgeist komplementäre Phänomene. Zwischen diesen unterschiedlichen Sphären habe er umstandslos wechseln und dabei jederzeit hoch präsent sein können. Auf der Kriegsakademie war er »an Geist und Talent den meisten überlegen, alle überstrahlend«, wenngleich bisweilen irritierend arrogant. Das Militärische sei dabei zunächst bestimmend gewesen. Die Brüder Stauffenberg waren, wie Karlauf mehrfach hervorhebt, direkte Nachkommen August Neidhardt von Gneisenaus und indirekt mit Gerhard von Scharnhorst verwandt, dem anderen großen Reformer der preußischen Armee. Der Primat des Soldatischen sei für Stauffenberg selbstverständlich gewesen.

Der leidenschaftliche Offizier, vollständig von antidemokratischen Auffassungen durchdrungen, habe den Nationalsozialismus und Hitlers Außen- und Militärpolitik zunächst rückhaltlos bejaht. Auch der Antisemitismus und der Rassenwahn des Regimes schienen ihn nicht zu stören: »Stauffenberg empfand für Juden einfach nicht genügend Empathie.« Erst Anfang 1943, mit der Niederlage von Stalingrad, änderte sich seine Einschätzung. Als Verantwortlicher für den Personal- und Materialnachschub des Ostheeres hatte er Einblick in den Kriegsverlauf und erkannte klar, dass der Krieg verloren war. Er flüchtete sich an die Front und verbrachte schwer verwundet mehrere Monate im Lazarett. Mitte August 1943 sah er sich in der Opposition sowohl gegenüber der politischen Führung wie auch gegenüber der militärischen. Es bedeutete zweifachen Verrat.

Ethos der Tat?

Entschlossenheit, Nervenstärke, Konsequenz – all dies musste besitzen, wer ein Attentat auf Hitler wagen und einen Staatsstreich planen wollte. Stauffenberg handelte, wie Karlauf darlegt, nicht aus Gewissensgründen, sondern aus politischen und militärischen Gründen. Diese stimmten, wie der Autor in einem Interview erwähnte, im Sommer 1944 »zufällig« mit dem moralisch Richtigen überein. Das Sprengstoffattentat sei kein Aufstand des Gewissens gewesen, sondern die Konsequenz der Einsicht in die kommende Niederlage. Der aristokratische Nationalist sei überzeugt davon gewesen, dass sein Handeln den selbstgesetzten Maßstäben entsprechen müsse: »Eliten leben aus dem Bewusstsein, dass nichts verloren ist, solange für sie die Möglichkeit zum Eingreifen besteht.«

Der 20. Juli 1944 wirkt ungeachtet seines Scheiterns auch deshalb bis in die Gegenwart fort, weil die Tat gewagt und ausgeführt wurde. Dass die Widerständler bis zuletzt uneins waren, dass immer neue Bedenken gegen das Attentat vorgebracht wurden, macht die Entschlusskraft Stauffenbergs und seine Bereitschaft, das eigene Leben einzusetzen, umso eindrucksvoller. »Das Ethos der Tat sucht weder Ruhm noch Ehre, sein einziger Zweck ist die Tat um ihrer selbst willen.« Hier erweise sich die Kraft sowohl der elitären wie auch der Georgischen Prägung.

Thomas Karlauf hat eine suggestive, konzeptionell plausible Stauffenberg-Biografie geschrieben. Ihr ist ein Hölderlin-Zitat aus Der Tod des Empedokles vorangestellt: »Denn wo ein Land ersterben soll, da wählt / Der Geist noch E i n e n sich zuletzt (…)«. Die Stauffenberg-Enkelin Sophie von Bechtolsheim hat Karlauf vorgeworfen, ihrem Vorfahren werde die Fähigkeit zu moralischem Handeln, ja jegliche Moralität abgesprochen, er sei nach dieser Deutung lediglich einem irrationalen, nihilistischen Kult der Tat gefolgt. So viel ist klar, der Deutungsstreit ist auch mit diesem »Porträt eines Attentäters« nicht abgeschlossen. Die Antwort auf die Frage, ob die Verschwörer des 20. Juli gescheitert sind, bleibt bis zuletzt abhängig von der Haltung späterer Generationen zu ihrem Versuch.

Thomas Karlauf: Stauffenberg. Porträt eines Attentäters. Blessing, München 2019, 368 S., 24 €.

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