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Dilemmata der deutschen Sozialdemokratie in der Endphase der Weimarer Republik Illusionen und Fehler

Dass die Weimarer Republik eine »Republik ohne Republikaner« gewesen sei, wie man schon damals lesen konnte, trifft nicht zu. Allerdings war sie starken Belastungen ausgesetzt, die teilweise struktureller Art waren. Dazu gehörte ein drückender, inhaltlich von nahezu dem gesamten politischen Spektrum abgelehnter Friedensvertrag, dessen Begleiterscheinungen eine am eindeutigsten von der SPD unterstützte Verständigungspolitik nur mühsam abmildern konnte. Aus der revolutionär-konterrevolutionären Entstehung der Republik (deren Ergebnis auch die tiefe, sich aus konträren Antworten auf die Situation ergebende parteipolitische Spaltung der Arbeiterbewegung war) resultierte die distanzierte bis klar ablehnende Haltung der sozialen Oberklasse, namentlich des Großkapitals und der Funktionseliten sowie der Intelligenzschicht zur parlamentarischen Demokratie.

Die überwiegend aus der Monarchie übernommene Beamtenschaft samt dem Offizierskorps war loyal eingestellt zu einem Staatsabstraktum Deutsches Reich, nicht unbedingt zur konkret bestehenden demokratischen Republik. Die große Rechtspartei der 1920er Jahre, die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) mit bis zu einem Fünftel der Wählerstimmen, duldete lediglich die parlamentarische Demokratie und schien sich zeitweilig in Richtung ihrer Akzeptanz zu bewegen, als die Weimarer Republik in einer mittleren Phase relativer wirtschaftlicher und politischer Stabilisierung von bürgerlichen, liberal-konservativen Reichsregierungen gelenkt wurde.

Doch schon im letzten Jahr dieser Konsolidierungsphase, im Herbst 1928, als die SPD eine Große Koalition führte, deutete sich mit mehreren Personalentscheidungen eine Rechtswendung des bürgerlich-konservativen Spektrums insgesamt an. Gleichzeitig machte eine Massenaussperrung in der westdeutschen Stahlindustrie (»Ruhreisenstreit«), die sich auch gegen das staatliche Schlichtungswesen richtete, deutlich, dass die Schwerindustriellen zu einer Konfrontationsstrategie übergingen. Diese zielte gegen die reformerische Arbeiterbewegung und ihren Einfluss auf den Staat.

SPD toleriert Brünings Spar- und Deflationspolitik.

Die Weltwirtschaftskrise ab Herbst 1929 traf Deutschland besonders schwer und nahm seit 1931 einen existentiellen Charakter an. Zu den 1932 sechs bis acht Millionen Arbeitslosen kamen zahlreiche Kurzarbeiter. Die öffentlichen Haushalte gerieten aus verschiedenen Gründen enorm unter Druck. Nach dem Schock der September-Wahl 1930 mit dem Durchbruch der NSDAP (18,3 Prozent) entschied sich die SPD-Reichstagsfraktion, die Regierung Brüning mit ihrer Spar- und Deflationspolitik zu tolerieren, sprich: ihren Sturz im Reichstag durch ihr Abstimmungsverhalten zu verhindern. Dabei spielte eine Rolle, dass die Fortdauer der Zusammenarbeit der SPD mit dem Zentrum in der preußischen Regierung gesichert werden sollte. Dass die Krise und die Brüningsche Reaktion darauf die soziale Basis der SPD unmittelbar tangierten, wurde in Kauf genommen.

Gespaltene Arbeiterbewegung

Verschiedentlich kam es auf lokaler Ebene, vielfach auf Initiative linkssozialistischer oder kommunistischer Splittergruppen, zu erfolgreichen gemeinsamen Abwehraktionen, im Ganzen folgten die Anhänger der Sozialdemokratie wie der Kommunistischen Partei jedoch loyal ihren Führungen. Dabei ist nicht zu übersehen, dass der ultraradikale Kurs der KPD, die die SPD als »sozialfaschistisch« bekämpfte und gegen deren Führung den »Hauptstoß« richtete, jedes Entgegenkommen der SPD erschwerte; umgekehrt bestärkte die sozialdemokratische Identifikation mit der als Klassenstaat erlebten Republik die Kommunisten in ihrer Orientierung. Dazu trug namentlich der Einsatz der bis zum Sommer 1932 sozialdemokratisch geführten preußischen Polizei gegen radikale Linke und rebellierende Erwerbslose bei.

Mit dem Niedergang der Republik und dem Aufstieg der NSDAP nahm auch in den oberen Rängen der SPD die Zahl derjenigen zu, die über die Möglichkeit eines Abwehrbündnisses mit der KPD oder wenigstens eines »Nichtangriffspakts« nachdachten. Das galt etwa für den aus der USPD kommenden, mittlerweile gemäßigten Rudolf Breitscheid, aber auch für den deutlicher als SPD-»Rechter« geltenden Vorwärts-Chefredakteur Friedrich Stampfer. Die meisten Mitglieder des Parteivorstands konnten solchen Überlegungen nichts abgewinnen.

Die neue Qualität des Hitlerschen »Radikalfaschismus« (Ernst Nolte) nicht nur gegenüber der parlamentarisch-demokratischen Republik und der Präsidialregierung Brüning, sondern auch gegenüber der seit Juni 1932 amtierenden, scharf sozialreaktionären und offen antirepublikanischen Regierung Franz von Papen, dem »Kabinett der Barone«, wurde von den Sozialdemokraten durchaus erkannt, zumindest erahnt. Die Grundüberlegung der Parteiführung lief darauf hinaus, dass man die NSDAP so lange von der Staatsmacht fernhalten müsse, bis nach ersten Rückschlägen der Verfall dieses breite Volksschichten einbindenden, aber im Hinblick auf deren soziale Interessen innerlich widersprüchlichen Konglomerats einsetzen würde. »Die Nationalsozialisten können nicht warten. Wir können es«, formulierte Otto Wels, einer der Partei- und Fraktionsvorsitzenden am 1. Januar 1932 im Vorwärts. Es gelte, die eigenen Bataillone zu sammeln, zu ordnen und bereit zu halten. Und diese verfügten weiterhin über eine beachtliche Stärke und Disziplin.

Die SPD hatte Ende 1932 noch rund eine Million Mitglieder, die freien sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaften, die in den Betrieben »Hammerschaften« bildeten, zählten noch 3,5 Millionen, das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, eine republikanische Wehrorganisation, 1,5 Millionen, davon die allein kampftauglichen Schutzformationen 250.000. Dazu stießen der sozialdemokratische Arbeiter-, Turn- und Sportbund mit ca. zwei Millionen – trotz Mehrfachmitgliedschaften eine starke Heerschar, die sich Ende 1931 zur Eisernen Front zusammenschloss und in eindrucksvollen Massenversammlungen Abwehrbereitschaft demonstrierte.

Unterstützung aus allen Klassen und Schichten

In der Arena der allgemeinen Wahlen musste die SPD deutlich Federn lassen. In den Reichstagswahlen fiel sie zwischen Mai 1928 und November 1932 von knapp 30 Prozent auf gut 20 Prozent. Während die untereinander verfeindeten sozialistischen Arbeiterparteien in den Jahren der Wirtschaftskrise (ebenso wie der politische Katholizismus mit ca. 15 Prozent) in Addition stabil blieben bei 36 bis 37 Prozent, verschob sich das Kräfteverhältnis zwischen diesen fortlaufend zugunsten der KPD (November 1932: 16,9 Prozent), die mehr und mehr zu einer Partei der verelendeten Dauererwerbslosen wurde. Die NSDAP konnte Unterstützung aus allen Klassen und Schichten sammeln, entgegen einer verbreiteten Annahme nur unterdurchschnittlich bei den Erwerbslosen. Der elektorale Aufstieg der NS-Partei speiste sich hauptsächlich aus dem Reservoir früherer Nichtwähler, zudem dem der liberalen Parteien, die regelrecht pulverisiert, dem kleinerer Interessenparteien und dem der rechtskonservativen Deutschnationalen, die stark geschwächt wurden. Daneben tobte in der Endphase der Weimarer Republik ein latenter Bürgerkrieg mit Hunderten von Todesopfern.

Es tobte ein latenter Bürgerkrieg.

Neben der aggressiven plebejischen SA (Ende 1931; 260.000 Mann, Mitte 1932: 455.000) und dem stärker bürgerlichen, semi-faschistischen Stahlhelm sowie weiteren rechten Verbänden existierten das erwähnte Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und verschiedene kommunistische Verbände (als Ersatz für den 1929 verbotenen Roten Frontkämpferbund). Während sich das Reichsbanner bzw. die Eiserne Front in aller Regel defensiv verhielt, suchten die Kommunisten nicht selten ihrerseits die Auseinandersetzung mit der SA.

Verpasste Chancen?

Manche Zeitgenossen haben gemeint, bei der Absetzung der – nur noch geschäftsführenden, tatsächlich abgewählten – sozialdemokratisch geführten Regierung Preußens, des mit Abstand größten und bevölkerungsreichsten Landes, auf Veranlassung des Präsidialkabinetts Papen am 20. Juli 1932, sei die Chance verpasst worden, seitens der Arbeiterbewegung auf dem Boden der Verfassungslegalität und mit Hilfe der preußischen Polizei Widerstand zu leisten. Kampfbereitschaft ist insbesondere für manche Einheiten des Reichsbanners verbürgt, wie auch die Zuverlässigkeit der Polizei in der Konfrontation mit der Kaderarmee.

Für die Reichswehr (und nicht nur der SA) ist dies hingegen fraglich, und das gilt wohl auch für die erfolgreiche Durchführung eines Generalstreiks angesichts des riesigen Arbeitslosenheers. Die Papensche »Reichsexekution« erfolgte aufgrund einer präsidialen Notverordnung und den greisen Reichspräsidenten mit seinem preußisch-traditionalistischen Nimbus und seinen vordemokratischen Überzeugungen hatte die SPD einige Monate zuvor als Hüter des Rechtsfriedens bei seiner Wiederwahl gegen Adolf Hitler unterstützt. Bewaffnete oder unbewaffnete Gegenwehr gegen den »Preußen-Schlag« – die sich durchaus hätte rechtlich begründen lassen - hätte einen Bruch mit der seit Herbst 1930 verfolgten SPD-Politik des »kleineren Übels« bedeutet.

Anders als die SPD-Spitze war der Vorstand des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds (ADGB) auch unter der ultrakonservativen, semi-autoritären Regierung Papen zu einer gewissen Mitarbeit und Integration in den Staat bereit. Man befürwortete im Apparat des ADGB namentlich ein staatliches Arbeitsbeschaffungsprogramm, während man seitens der SPD – hauptsächlich aus Furcht vor einer neuen Inflation – Staatsschulden ablehnte und den gewerkschaftlichen Vorschlägen mit Skepsis begegnete. Als der letzte Reichskanzler vor Hitler, General Kurt von Schleicher (Dezember 1932/Januar 1933), sich den gewerkschaftlichen Arbeitsbeschaffungsplänen gegenüber aufgeschlossen zeigte und er sozialreaktionäre Teile der unter seinem Vorgänger erlassenen Notverordnungen aufhob, signalisierte die ADGB-Spitze Bereitschaft zur Kooperation.

Schleicher strebte mittels einer »Querfront« eine komplette Neuformierung der politischen Faktoren an: unter Einbeziehung nur eines Teils der NSDAP ohne Hitler. Faktisch scheiterte er dabei hauptsächlich an der Fehlkalkulation, die NSDAP spalten zu können. Andererseits konnte sich auch die SPD nicht dazu durchringen mitzumachen. Sie fürchtete die kommunistische Konkurrenz ebenso wie eine von Schleicher erwogene verfassungswidrige Verschiebung eventueller erneuter Reichstagswahlen. Nicht zuletzt konnten die Sozialdemokraten dem »sozialen General«, der seit 1930 als einer der einflussreichsten politischen Strippenzieher agiert hatte, seine maßgebliche Mitwirkung bei der Absetzung der preußischen Regierung am 20. Juli 1932 nicht verzeihen.

Voller Illusionen und finale Intrige

Um die Jahreswende 1932/33 schien es so, als würde sich die abwartende Haltung der SPD doch noch auszahlen, denn die Mehrzahl der politischen Beobachter unterschiedlicher Richtungen sah das Schlimmste überstanden und die NSDAP mit Hitler im Niedergang, zumal die Wirtschaftskrise erkennbar ihren Tiefpunkt durchschritten hatte. Einen Dämpfer hatte der »Führer« schon im August 1932 bekommen als Reichspräsident Hindenburg es ablehnte, ihn nach dem großen Erfolg der NSDAP bei der vorangegangenen Reichstagswahl mit 37,3 Prozent zum Kanzler zu ernennen. In der erneuten Reichstagswahl am 6. November 1932 verloren die Nationalsozialisten 4,2 Wählerprozente, eine Entwicklung, die sich bei verschiedenen Kommunal- und Landtagswahlen fortsetzte. Zudem steckte die NS-Partei in einer ernsten finanziellen Klemme.

Auch wenn, nur teilweise von außen erkennbar, diese Lage in den gesellschaftlichen Eliten die Neigung eher vergrößerte jetzt ein Bündnis mit der faschistischen Hitler-Bewegung einzugehen – man befürchtete u.a. ein Überlaufen radikalisierter Massen zu den Kommunisten und eine Rekonsolidierung der SPD –, war bis Ende Januar 1933 unklar, welches Ergebnis die im Hintergrund ablaufenden Intrigen und Hinterzimmergespräche einflussreicher Personen aus der Spitze der Gesellschaft bringen würden. Da die Bündnis-»Regierung der nationalen Konzentration« vom 30. Januar 1933 im Rahmen der Verfassung vom Reichspräsidenten eingesetzt worden war, hoffte die SPD-Führung einerseits auf eine Amtsführung im Rahmen der Legalität und nährte andererseits die Illusion, bei einem offenen Bruch der Reichsverfassung zum Kampf auch mit außerparlamentarischen Mitteln anzutreten.

Sollte die Chance einer nicht völlig aussichtslosen Gegenwehr bestanden haben, dann in den ersten Tagen der Regierung Hitler/Papen, als in Deutschland Arbeiter beider sozialistischen Hauptrichtungen in Massendemonstrationen auf die Straße gingen, die teilweise die größten seit 1918 waren.

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