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© picture alliance / Ikon Images/Gary Waters | Gary Waters

Die Konzertierte Aktion als sozialpolitischer SteuerungsversuchKooperative Krisenregulierung

Die Ampelregierung tut viel, ohne dass dies in der Bevölkerung bislang besonders positiv gewürdigt wird. Unter den vielen Interventionen, die in kurzer Zeit vorgenommen worden sind, bleiben nur wenige so stark im Gedächtnis der Menschen haften, wie etwa das Neun-Euro-Ticket. Dabei hat die soziale Frage angesichts von Energieknappheit, hoher Inflation sowie einer sich andeutenden Rezession eine neue politische Relevanz erfahren.

Mit weitreichenden staatlichen Maßnahmenbündeln, wie den drei großdimensionierten Entlastungspaketen mit einem Volumen von insgesamt rund 600 Milliarden Euro, ist bereits reagiert worden. Zugleich sind aber auch neue Steuerungsformate wie die »Konzertierte Aktion« etabliert worden.

In diesem Beitrag werden zwei Fragen erörtert, die die Steuerungsfähigkeit der Ampelkoalition betreffen: Erstens: Wie ist das Verhältnis zwischen den im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Zielen zur Modernisierung des Sozialstaates und den drängenden Maßnahmen, um die sozialen Folgen von Inflation und Energieknappheit zu bekämpfen? Zweitens: Welche Rolle kommt der Konzertierten Aktion zu, um die Folgen der Inflation einzudämmen und die Funktionsfähigkeit der Lohnpolitik zu fördern? Dabei geht es auch um die Frage nach dem sozialdemokratischen Steuerungsprofil der Ampelregierung.

Die Logik der Entlastungspakete

Die Koalitionäre haben sich im Koalitionsvertrag eine breite Palette an sozialen Reformvorhaben vorgenommen, die von einer beeindruckenden Mindestlohnerhöhung, der Reform der Grundsicherung (Hartz IV/Bürgergeld), einer verbesserten Grundrente (Stichwort: Altersarmut), der Reform der Weiterbildung bis hin zur Kindergrundsicherung reicht.

Im Kern geht es in diesem Bereich einerseits darum, gute sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu fördern, und die Arbeitsmärkte angesichts eines strukturellen Arbeitskräftemangels attraktiver zu gestalten. Andererseits sieht man in diesen Maßnahmen auch einen Schlüssel, um den Sozialversicherungsstaat zu stabilisieren. Worauf der Koalitionsvertrag jedoch keine Antworten gab, war der Umgang mit den Folgen von Energieknappheit und Inflation. Daran änderte auch der Umstand nichts, dass die bereits in der Coronakrise bewährten Instrumente wie Kurzarbeit und Homeoffice durchaus auch geeignet sind, um ökonomische und soziale Unsicherheiten in der neuen Krisenkonstellation abzufedern.

Die Entlastungspakete I bis III, die zwischen März und Oktober 2022 auf den Weg gebracht wurden, knüpfen an eine während der Coronapandemie entwickelte Krisenbewältigungsstrategie an, die sowohl auf steuerliche Entlastungen, staatlich finanzierte oder subventionierte Maßnahmen wie auch auf Direktzahlungen setzt. Öffentliche Kritik führte dazu, dass neben der ursprünglichen Primäradressierung an Erwerbstätige auch Studierende, Auszubildende, Arbeitssuchende, Sozialleistungsempfänger sowie Rentnerinnen sukzessive in die Entlastungspolitik einbezogen wurden.

Ein Großteil der Entlastungen wird über das Steuersystem realisiert, womit sich eine strukturelle Bevorteilung höherer Einkommen ergibt. Gleichzeitig wird aber auch das Instrument der progressiven Besteuerung von Einkommen genutzt, wodurch geringere Einkommen stärker als höhere entlastet werden. Insgesamt zeigt sich jedoch, dass die zielgenaue Steuerung staatlicher Interventionen eher unterentwickelt ist. Einerseits, weil besonders bedürftige Gruppen zu langsam und in vielen Fällen zu wenig effektiv adressiert werden können. Zugleich sind die Mitnahmeeffekte von Gruppen, die keinerlei Bedürftigkeit aufweisen, zu groß. Verschiedene Forscher kommen zu dem Ergebnis, dass mittlere Einkommen am stärksten von den Entlastungen profitieren. Dagegen seien die inflationsbedingten Belastungen für die einkommensschwachen Haushalte besonders hoch, ohne dass dies durch die Entlastungspakete gänzlich aufgefangen werden könnte.

So verwundert es auch nicht, dass an der Entlastungspolitik trotz hoher Gesamtausgaben weitreichende Kritik geübt wird: Den einen reichte das Volumen nicht oder sie kritisierten die vielen Mitnahmeeffekte für Gruppen, die gar keiner Hilfe bedürften. Andere hielten die Politik für eine reine Symptombekämpfung und forderten deshalb Maßnahmen, die stärker die Ursachen der Preissteigerungen angehen sollten, etwa indem direkt bei den hohen Energiekosten, beim Arbeitskräftemangel oder bei den Lieferkettenproblemen angesetzt wird.

Ursprung und Funktion der Konzertierten Aktion

Eine besondere Herausforderung für die Lohnpolitik stellt die Entwicklung der Inflation dar. Einerseits, weil sie bei den Beschäftigten die Hoffnungen auf die Kompensationsfähigkeit der Tarifpolitik vergrößert. Dabei sind die Unterschiede zwischen den Branchen, Regionen und Unternehmen zum Teil erheblich. Die Lohnpolitik befindet sich im Hinblick auf die Erwartungslagen bereits in einer spannungsreichen Konstellation zwischen berechtigten Beteiligungsinteressen der Beschäftigten und einem Stabilitätsinteresse der Unternehmen und Verbände.

Andererseits wird die Lohnpolitik makroökonomisch als Gefahr angesehen, selbst die Inflationsdynamik weiter anzuheizen. Hinzukommt, dass die Lohnpolitik auf eine nur schwach wachsende Ökonomie trifft, die zugleich mit Inflation, Arbeitskräfteknappheit und enormen Planungsproblemen konfrontiert ist. Die Ursachen dafür lassen sich auch in Lieferengpässen finden, zudem können sie in beschädigten Wertschöpfungsketten bis hin zu partiellen Deglobalisierungsprozessen verortet werden. Vor dem Hintergrund dieser Multikrisenkonstellation mit unsicheren Planungshorizonten rief Kanzler Olaf Scholz im Juli 2022 die Konzertierte Aktion der Bundesregierung ins Leben. Auf dieser Plattform sollen Vertreterinnen von Gewerkschaften, Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden, Wissenschaftler und der Bundesbankpräsident ihre Analysen und Konzepte zur Bewältigung der Krisenfolgen gemeinsam erörtern.

Dabei zeigt sich, dass durch diese Plattform eine intensivierte Debatte zwischen den Tarifparteien wie auch mit der Regierung möglich ist. Deshalb ist es wichtig, dass die Bundesregierung darauf hinwirkt, sich aus der Tarifautonomie grundsätzlich herauszuhalten – wie es ja auch die im Grundgesetz verankerte Tarifautonomie vorsieht. Zugleich suchte man gemeinsam von Anfang an nach Instrumenten, um die Tarifautonomie durch staatliches Handeln zu entlasten. Mit der durch den Kanzler offerierten Steuerfreiheit von Einmalzahlungen der Unternehmen an Arbeitnehmer bis zu 3.000 Euro ist ein solches Instrument identifiziert. Sowohl die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi wie auch Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger begrüßten dieses Angebot.

Zugleich nutzte Scholz die Konzertierte Aktion, um die zentralen Inhalte des dritten Entlastungspakets und die Vorschläge der Gaspreiskommission zu besprechen. Mit der Verschränkung zwischen Konzertierter Aktion und Entlastungspolitik sind sowohl die Gewerkschaften wie auch die Arbeitgeber in der Lage diese Plattform zu nutzen, um ihre Forderungen weiter zu konkretisieren.

So forderte die DGB-Vorsitzende, dass die Energiepreispauschale auf 500 Euro plus 100 Euro pro Kind angehoben werde, ebenso solle es eine Deckelung des Strom- und Gaspreises geben. Der Arbeitgeberpräsident forderte in der Runde eine Anpassung des Strommarktdesigns. Weiter wurde in diesem Kontext erörtert, die Erlösobergrenze für Unternehmen, die Strom nicht mit Gas, sondern mit anderen Energien produzieren im Sinne einer Übergewinnsteuer abzuschöpfen, um diese für eine Verbilligung des Strompreises, der Netzentgelte aber auch für eine Strompreisbremse einzusetzen. Die IG Metall nutzt die zweite Sitzung der Konzertierten Aktion als Auftakt für die Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie. Zudem wurde in diesem Rahmen auch über die Ergebnisse der Gaskommission und die Finanzierung des Kurzarbeitergeldes gesprochen.

Bei der Konzertierten Aktion handelt es sich um ein originär sozialdemokratisches Instrument der kooperativen Krisenregulierung, das auf der zentralstaatlichen Ebene bereits zwei Mal eingesetzt wurde. Erstmals 1967 als Reaktion auf die erste Nachkriegskrise, um die Verbindung zwischen Lohnpolitik und Krisenbewältigung im Sinne des »magischen Vierecks« auszubalancieren. Rund zehn Jahre begleitete dieses Gremium die bundesdeutsche Politik, bis zunehmende Konflikte – am Ende ging es um das Mitbestimmungsrecht – zwischen Arbeitgebern, Bundesregierung und Gewerkschaften dieses Arrangement beendeten. Zwischen 1998 und 2003 versuchte man ein zweites Mal durch ein tripartistisches Bündnis (»Bündnis für Arbeit«) Einfluss auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes zu nehmen.

Zentrales Ziel der Konzertierten Aktion ist die Abmilderung der Inflation und der Einkommensverluste. Die Akteure können im Rahmen des moderierten Gesprächs ihre Positionen erörtern und mögliche Lösungsvorschläge diskutieren. Dabei nimmt der Bundeskanzler eine moderierende Rolle ein. Zudem wird durch die politische Sichtbarkeit dieses Gesprächsformates auf die Akteure ein gewisser »zwangloser Zwang« der kooperativen »Lösungsorientierung« ausgeübt.

Die Konzertierte Aktion soll also dazu beitragen, dass die Tarifautonomie auch unter den Bedingungen einer Multikrisensituation handlungsfähig bleibt und weder volkswirtschaftlich schädlich wirkt noch die interne Handlungskompetenz der Akteure überfordert.

In aktuellen Tarifrunden wurden erste Abschlüsse erzielt, welche sicherlich durch den Rahmen der Konzertierten Aktionen begünstigt wurden. Gleichzeitig blieben Tarifrunden mit heftigen Streiks und Auseinandersetzungen bisher aus. In der chemischen Industrie wurde zwischen der IG BCE und dem Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) ein Tarifvertrag mit Lohnerhöhungen von 6,5 Prozent in zwei Schritten und einer Einmalzahlung in Höhe von 3.000 Euro vereinbart.

In der Metall- und Elektroindustrie wurde ein Plus von 8,5 Prozent in zwei Schritten zwischen IG Metall und Gesamtmetall verhandelt. Dazu gehört auch eine Einmalzahlung in Höhe von 3.000 Euro. In der anlaufenden Tarifrunde für den öffentlichen Dienst, in welche die Gewerkschaft ver.di mit einer Forderung von 10,5 Prozent mehr Lohn einsteigt, ist auch damit zu rechnen, dass die Einmalzahlung in noch unbekanntem Umfang genutzt wird, um Teile der Forderungen zu erfüllen.

Was folgt daraus?

Die Ampelkoalition ist als Zukunftskoalition gestartet. Bevor sie dieses Versprechen ansatzweise plausibel machen konnte, ist sie Krisen- und Stabilitätskoalition geworden. Dabei kann sie aber nicht stehenbleiben. Gerade weil die Brot- und Butterthemen den Regierungsalltag dominieren, bedarf es einer Strategie zur Bekämpfung sozialpolitischer Folgen in der Krise, die zugleich zur Modernisierung und Stabilisierung des bestehenden Institutionensystems beitragen.

In Deutschland hat es trotz zahlreicher öffentlicher Aufrufe und medialer Warnungen keinen heißen Herbst gegeben. Ursächlich dafür ist die Politik der sozialen Entlastung auf der Basis einer konsistenten Einbindung der Sozialpartner, Wohlfahrts- und Sozialverbände. Trotz vielfältiger handwerklicher Fehler (Beispiel Gasumlage) ist diese Regierung bemerkenswert responsiv. Fehler wurden bislang vergleichsweise schnell korrigiert, Forderungen angehört und teilweise auch direkt umgesetzt.

Trotzdem sind in den Entlastungspaketen zu viele Mitnahmeeffekte für jene Gruppen, die keine besondere Unterstützung benötigen, und zu wenig direkte Unterstützung für jene, die besonders unter den Krisen leiden. Die Ampelkoalition ist auch damit konfrontiert, dass Teile der staatlichen Infrastruktur wie auch der Steuerungsinstrumente in einem defizitären Zustand sind, sodass sie gut beraten ist, ihre Krisenpolitik mit einer sozial gezielteren strukturellen Modernisierungspolitik zu verbinden.

Indem mittels der Konzertierten Aktion versucht wird, die Tarifparteien in die Krisenbewältigungspolitik einzubinden, wird ein wichtiger sozialdemokratischer Steuerungsimpuls gesetzt. Damit wird auch unterstrichen, dass ein kooperativer Kapitalismus eine starke gesellschaftliche Absicherung benötigt; womit aber zugleich für die Gewerkschaften auch neue Probleme aufgeworfen werden, die nicht ignoriert werden dürfen. Die soziale Frage ist wieder da und die sozialen Akteure jenseits des Staates sollten bei der Beantwortung dieser Frage ein wichtiges Wörtchen mitreden.

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