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»Gewöhnen wir uns niemals an den Schrecken. Er bleibt zu allen Zeiten inakzeptabel.« ©

picture alliance / abaca | Prezat Denis/ABACA

Dokumente einer intensiven sprachlichen Reaktion auf traumatische Ereignisse. Krieg im Gedicht

Die Lyrik der Gegenwart zeigt zahlreiche Positionen, die auf die Kriege der Gegenwart, insbesondere den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine in besonderer Weise reagieren. Die poetische Sprache zeigt sich in den Gedichten als ein Instrument, das die Erschütterung auch eines lediglich vermittelten bzw. imaginierten Erlebens des Kriegs und eine Veränderung in den Beziehungen in anderer Weise als Bruch vermitteln kann, als dies etwa Aufnahmen mit der Kamera tun.

Über diesen Zusammenhang dachte am 3. Juni 2025 die 1963 in Kingston (Jamaika) geborene Lyrikerin Claudia Rankine in ihrer Berliner Rede zur Poesie zum Auftakt des Berliner Poesiefestivals nach. Unter der Überschrift »Writing as seeing« bemerkte Rankine: »Der Zweifel des Wortes ermöglicht vielfältige Zugänge zu den lesbaren Kräften, die das Bild selbst in seiner Unechtheit erkennbar machen.« Die Übersetzung von Affekten der Scham, Wut und Trauer zeigt sich in den hier vorgestellten lyrischen Positionen als Erfahrung einer Sprachnot und eines Zweifels, der vermittels einer erst zu gewinnenden, einer anderen Sprache etwas entgegenzusetzen versucht wird.

»Wir haben eine Zeitlang gut gelebt.«

1978 in Tomești (Rumänien) geboren, lebt Moni Stănilă seit 2010 in Chişinău (Moldawien). Sechs Gedichtbände, zwei Romane, zwei Kinderbücher und einen biografischen Roman über den Bildhauer Brâncuși hat sie veröffentlicht. Ihr Gedichtband Ofsaid (2022) wurde in Rumänien und Moldawien mehrfach ausgezeichnet und von Alexandru Bulucz ins Deutsche übersetzt. Metallische Igel war ursprünglich als eine ironische Erwiderung auf Liebeslyrik gedacht. Zunächst spielt dabei insbesondere der Fußball eine größere Rolle, für den Stănilă brennt.

Doch während die Autorin an dem Band schrieb, begann der russische Überfall auf die Ukraine. Im zweiten Teil des Bandes, eUropA 2022 Das Front-Tagebuch oder Das Tagebuch von der Front, wird aufgrund dieser Erfahrung die Fußballbegeisterung entsetzlich überlagert. Eine Strategie zu verfolgen, die Feldposition zu bestimmen, bedeutet nun nicht mehr eine Spielstrategie oder eine Position des Spielers in einem Fußballturnier, sondern ist zum blutigen Ernst geworden: »Wir haben eine Zeitlang gut gelebt«, heißt eines der Gedichte des Bandes, und fährt fort: »Der Krieg ist an uns herangerückt, und die Dichter haben aufgehört, Atempausen zu suchen, was sich um uns herum ankündigte, wurde schärfer als jeder Vers. Gewalttätiger als jede Pandemie. Die Schlagzeilen der Nachrichtensendungen haben die samtenen Gehäuse unseres Verstandes aufgespalten.« Unverkennbar ist das Entsetzen dieser lyrischen Stimme: »Die Realität hat sich verwandelt in die brutalste Form der Poesie. Das Schweigen gehört nur den Toten – aus Butscha«.

Moni Stănilă berichtet in einem Interview für das Magazin des Berliner Poesiefestivals 2025 von ihrem Leben in ihrer Wahlheimat Chişinău, der Hauptstadt Moldaus. Im Februar war sie um sechs Uhr morgens aufgewacht und wollte sich den Sonnenaufgang anschauen: Ich war mit meinem Kaffee auf den Balkon gegangen und hörte dieses seltsame Geknalle. Die russischen Bomben waren auch in Chişinău zu hören. Moldau, wo Stănilă mit ihrem Mann lebte, ist ex­trem nah an den Kampfplätzen dieses Kriegs. Ihre Affekte von Empörung, Ekel, Hilflosigkeit, Wut, Mitgefühl, Frust zu Papier zu bringen, war die unmittelbare Reaktion, das Schreiben dieses Buchs kam ihr vor als sei es ihr eingegeben worden, berichtet die Autorin. Entstanden sind schmerzhafte Verse, die auch beim Lesen eine beinahe körperliche Reaktion hervorrufen: »Ich möchte mir den Krieg vom Gehirn kratzen mit einer Drahtbürste. So wie man den Schimmel kratzt von nassen Stein.«

Auseinandersetzung mit Verlust

Nach einem Umgang mit dem Schmerz strebt auch Such nach dem Namen des Windes der 1962 in Sibirien geborenen, seit 34 Jahren in Frankfurt lebenden Olga Martynova, für den sie im Jahr 2025 den Peter-Huchel-Preis erhielt. Eines der Gedichte schildert ein sonderbares Tennismatch gegen einen unsichtbaren Gegner, der nicht mehr lebt: »Ohne Reim zu schreiben / ist wie ohne deinen Atem zu atmen. / Deshalb kommen diese Verse / ohne den tönenden Punkt / des Balls an dem Schläger /aus«. Geisterhaft klafft eine Leerstelle, geisterhaft realisiert sich hier eine Sprachnot, die zu einem reimlosen Sprechen führt. Die Auseinandersetzung mit Verlust und plötzlicher Abwesenheit, mit »dem, was fehlt«, wie Christian Metz in seiner Rezension des Bandes in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schrieb, motivieren das Sprechen des lyrischen Ichs.

Der Krieg potenziert in diesen Gedichten eine schmerzliche Erfahrung: Olga Martynova verlor im Jahr 2019 ihren langjährigen Lebenspartner Oleg Jurjew. Der Tod Jurjews erzwang für Martynova einen Sprachwechsel. Sie schreibt ihre Gedichte deshalb nicht länger in ihrer Muttersprache Russisch, sondern auf Deutsch, ist ihr doch der Adressat ihrer russischen Gedichte verloren gegangen. Der russische Angriffskrieg verschärfte für die Exilrussin Trauer und die Verzweiflung: »Ich lebe seit Olegs Tod mit einer Katastrophe, die andauert,

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