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Ein Weckruf von Yascha Mounk Krise oder Zerfall der Demokratie?

Wie steht es um unsere Demokratie? Diese Frage stellt sich nach jedem fremdenfeindlichen Übergriff wie zuletzt in Chemnitz, nach jedem neuen Wahlerfolg der AfD oder auch nach Ereignissen wie dem G20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg.

Die liberale demokratische Ordnung basiert auf Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit, freien und fairen Wahlen, Mehrheitsprinzip und Medienfreiheit. Diese Einheit von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zerfalle mit dem Aufkommen des Populismus einerseits und den globalen Herausforderungen andererseits, so der deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler Yascha Mounk. Wie sicher ist also die demokratische Ordnung, die sich in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg als siegreich und belastbar erwiesen hat? Mounks aktuelles Buch Der Zerfall der Demokratie. Wie der Populismus den Rechtsstaat bedroht scheint passend angesichts beunruhigender Entwicklungen in Europa und den USA.

Mounk macht darauf aufmerksam, dass in der Vergangenheit in stabilen Demokratien Massenmedien die Verbreitung extremer Ansichten und »Fake News« begrenzten und die Bürgerinnen und Bürger Verbesserungen ihres Lebensstandards erlebten. Zudem waren sie entweder als monoethnische Nationen gegründet worden oder wurden von einer dominanten ethnischen Gruppe geprägt. Der Siegeszug des Internets, die Erfahrung vieler, wirtschaftlich auf der Stelle zu treten oder gar abzusteigen, und das Gefühl, dass Privilegien für einzelne Gruppen verlorengehen, stellen diese Stabilität offensichtlich infrage.

Und er fragt angesichts der Brexit-Entscheidung, des Wahlsiegs von Donald Trump und des Aufstiegs populistischer Parteien: »Beruhte die langjährige Stabilität der Demokratie vielleicht auf einer Konstellation, die heute so nicht mehr gegeben ist?« Das Internet begünstigt inzwischen die Verbreitung extremer Ansichten; die weitere Verbesserung des Lebensstandards ist höchst ungewiss; die monoethnische Nation gerät durch Zuwanderung zunehmend unter Druck.

Mounk, der in der Bundesrepublik aufwuchs und bei den Jungsozialisten aktiv war, ist nun Lecturer am Harvard Center for European Studies, kennt sowohl die europäische wie die amerikanische Entwicklung und spricht von einer »dramatischen Lage«, einer »Entkonsolidierung der Demokratie«: Die Einheit von Rechtsstaat und Demokratie, die uns wohlvertraute liberale Demokratie, sieht er in zwei unterschiedliche Formen zerfallen – die illiberale Demokratie und den undemokratischen Liberalismus. Der undemokratische Liberalismus zeige sich am Machtverlust der Parlamente, dem wachsenden Einfluss der Verfassungsgerichte, aber auch daran, dass sich internationale Organisationen und Verträge echter demokratischer Auseinandersetzungen entzögen. Er führt dazu, dass »das Volk immer weniger zu sagen hat«. Die Menschen hätten zunehmend das Gefühl, nicht mehr mitreden zu können. Hierin sieht Mounk die Ursache für die wachsende Anziehungskraft populistischer Bewegungen. Diese seien einerseits vermeintlich zutiefst demokratisch, weil sie den Volkswillen umzusetzen versprächen, andererseits zutiefst illiberal, weil sie Institutionen und rechtliche Bindungen verachteten. Auch die Einstellungen vieler Menschen außerhalb der populistischen Strömungen würden zunehmend illiberal, eine gefährliche Parallelentwicklung. Daraus erwächst ein beunruhigender Trend zur illiberalen Demokratie.

Laut World Values Survey und European Values Survey neigten zudem junge Menschen in vielen Ländern eher zu radikalen Einstellungen als die Älteren und der Anteil radikaler Jugendlicher steigt. Am schlimmsten sieht es diesbezüglich in den USA aus: Sprachen sich 1995 schon 34 % der Jugendlichen zwischen 18 und 24 Jahren für eine autoritäre Führung aus, waren es 2011 bereits 44 %. Fanden 1995 7 % eine Militärregierung unterstützenswert, waren es 2011 bereits 16 %. Mounk überschreibt aus diesem Grund ein Kapitel, wohl nicht ganz zu Unrecht, mit »Die Jugend wird uns nicht retten«.

Würden sie es überhaupt verteidigen? Viele Menschen favorisieren autoritäre Führungsmodelle, wie Umfragen zeigen. Die Wohlstandsdemokratie erzeugt Frustrationen, auf die die traditionelle Politik kaum Antworten finde. Die Unterschiede zwischen den Parteien schwinden zusehends. Die Unzufriedenheit mit dem politischen System und die Sehnsucht nach Wandel suchen sich populistische Wege.

Demokratie auf dem Rückzug

Der Stimmenanteil für populistische Parteien in den 15 Staaten, die bereits vor der Osterweiterung der EU angehörten, hat sich seit 2004 mehr als verdoppelt. Populisten aller Couleur diskreditieren unabhängige Institutionen, attackieren die Eliten und verachten die Medien, denen sie Abgehobensein und Besitzstandswahrung unterstellen. Mounk fordert dazu auf, »die demokratische Energie hinter dem Populismus anzuerkennen«. Populisten die Stirn bieten könne nur, wer die demokratische Energie erkenne, aus der sie ihre Kraft ziehen. Nur dann, schreibt Mounk, »können wir auch verstehen, weshalb sie so beliebt sind – und scharf und kreativ darüber nachdenken, wie wir sie an den Urnen schlagen können«. Damit wendet er sich dezidiert gegen die Populismus-Auffassung, wie sie Jan-Werner Müller (Was ist Populismus?) vertritt.

Mounk verweist zudem auf die monoethnische und monokulturelle Basis der Demokratie. Die Entwicklung hin zu einer multiethnischen Demokratie führe zu Verwerfungen: »In Westeuropa läuft ein Experiment, das in der Geschichte der Migration einzigartig ist: Länder, die sich als monoethnische, monokulturelle und monoreligiöse Nationen definiert haben, müssen ihre Identität wandeln. Wir wissen nicht, ob es funktioniert, wir wissen nur, dass es funktionieren muss.« Die Demokratie zeigt laut Mounk keineswegs nur Ermüdungs-, sondern bereits Erosionserscheinungen. Der Autor ist stark darin herauszuarbeiten, wie unsicher und fragil die gewohnten demokratischen Verhältnisse sind. Sprunghaft tippt er die Situation in einzelnen Ländern etwa in Osteuropa und Lateinamerika an, riskiert Vergleiche, die nicht durchweg überzeugen. Seine Argumente, durchaus simpel formuliert, werden in immer neuen Variationen vorgetragen. Mounk klingt nicht besorgt, sondern alarmierend.

Bereits in der Vergangenheit gab es warnende Stimmen, die Demokratie sei in Gefahr: So sprach etwa nach der Bundestagswahl 1965 Ernst Fraenkel von »Parlamentsverdrossenheit«, 1992 wurde »Politikverdrossenheit« zum »Wort des Jahres«. Dass die Demokratie global auf dem Rückzug ist, darin stimmen verlässliche Beobachter überein. Ob Freedom House, der Democracy Index der Economist Intelligence Unit (EIU-DI) oder der Transformation Index (BTI) der Bertelsmann Stiftung, sie beschreiben die weltweite Demokratieentwicklung als rückläufig im Vergleich mit dem Zustand vor zehn Jahren. Das gilt für die Ländergruppe der hochentwickelten Demokratien in Westeuropa und Nordamerika, aber auch für Osteuropa, Lateinamerika, Asien, Afrika und den Mittleren Osten. Die Teilhabe geht zurück, die demokratischen Institutionen funktionieren schlechter, das Vertrauen in die Institutionen und die Regierungen lässt nach, besonders spürbar gerade in den hochentwickelten Demokratien. Werden die Bürgerinnen und Bürger also zunehmend resistent gegen Demokratie? Und wie kann es gelingen, »die Mehrheit der Wähler davon zu überzeugen, dass die Populisten nur an den Wahlurnen zu besiegen sind«? Als Gegenmittel empfiehlt Mounk das einheitliche Vorgehen aller demokratischen Kräfte gegen den Populismus. Antipopulistische Schmähungen reichten nicht, hinzukommen müsse eine positive Botschaft. Die Sorgen aller Menschen müssten ernst genommen und angemessen angesprochen werden. Vor allem sei ein Bekenntnis zu echtem Wandel wichtig: »Solange die Verteidiger der liberalen Demokratie den Eindruck vermitteln, dass sie mit dem Status quo zufrieden sind, werden sie gegen die Populisten nicht ankommen.« Mounk plädiert für einen inklusiven Patriotismus – gegen einen ausgrenzenden Nationalismus à la Trump, für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft – gegen Ängste und die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich, für die Abwehr von Hass und Lügen in den sozialen Medien – gegen Fatalismus und Zensur. Und er fordert eine demokratiebejahende Pädagogik.

Ist die Demokratie vital genug, um populistischen Anfeindungen zu begegnen? Geht sie daraus zuletzt gestärkt hervor? Oder war sie ein einzigartiges historisches Experiment, das an sein Ende gekommen ist? Mounks Buch, gleichsam ein Weckruf, lohnt die Lektüre, weil diese Fragen darin scharf gestellt werden. Seine Antworten sind zwar nicht der »kühne Plan«, den der Autor fordert, aber wer hätte einen solchen schon?

Yascha Mounk: Der Zerfall der Demokratie. Wie der Populismus den Rechtsstaat bedroht. Droemer, München 2018, 352 S., 22,99 €.

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