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Knut Cordsen fragt nach den Folgen des zunehmenden Aktivismus Mehr Engagement, weniger Eiferertum

Unlängst ging eine Nachricht durch die Medien, in der über einen Streit zwischen Jan Boelen, dem zweifach abgewählten Rektor der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe berichtet wurde. Der Rektor habe an die Hochschule zurückkehren wollen, um weiterhin sein Amt auszuüben. Doch letztlich kam er doch nicht zurück. Die Anwältin der Gegenseite habe mitgeteilt, dass man ihn sein Amt nicht antreten lasse, so der Anwalt Boelens. Was war vorgefallen?

Seit Jahren sei laut einem Bericht des Deutschlandfunks das Verhältnis zwischen den Künstlern und Hochschullehrern an der Hochschule zerrüttet. Es seien persönliche Zwistigkeiten, aber auch weltanschauliche Differenzen im Spiel. Boelen und seine Fraktion an der Hochschule sähen sich als Opfer einer Machtclique, die ihr Diversitätskonzept durchsetzen wolle und bei Personalentscheidungen die Geschlechtszugehörigkeit und Hautfarbe über künstlerische Qualifikation stelle.

Wie die Sache ausgeht, ob Boelen noch einmal in sein Amt zurückkehrt, ist unklar. Unklar ist derzeit ebenfalls, inwieweit die Vorwürfe gegen ebenjene Gruppe gerechtfertigt sind. Das Land Baden-Württemberg will die Vorfälle weiter prüfen.

Der Journalist und Redakteur des Bayerischen Rundfunks Knut Cordsen würde vermutlich allgemein jene, die Personalentscheidungen qua Geschlechtszugehörigkeit und Hautfarbe treffen, zu den Vertretern des Aktivismus zählen. In seinem Buch Die Weltverbesserer. Wie viel Aktivismus verträgt unsere Gesellschaft erzählt Cordsen – und man darf hier ruhig »erzählt« sagen, denn die Ausführungen des Autors sind locker anekdotisch gewürzt, sein Standpunkt scheint von Anfang an durch --, von der Gegenwart und den letzten 100 Jahren des Aktivismus, der zu einer zentralen gesellschaftlichen Haltung avanciert ist. Eine systematische Herleitung des Begriffs Aktivismus im Stil einer wissenschaftlichen Arbeit sollte man allerdings von dem Buch nicht erwarten, wie man auch den bereits erwähnten, zeitweilig etwas süffisanten Unterton akzeptieren muss.

Aktivismus ist in. Das konstatiert jedenfalls Cordsen. Sei es der Umweltaktivismus der Fridays-for-Future-Bewegung, seien es die LGBTIQ- oder die Black-Lives-Matter-Bewegung, oder auch abwegigere Erscheinungsformen wie der Lifestyle-Aktivismus, Textil- oder Ökosex-Aktivismus oder der sogenannte »Artivismus«, die aktivistische Kunst, wie sie zuletzt im Rahmen der Kasseler documenta besonders hohe Wellen schlug.

Wer etwas gelten will, der möchte voller Kraft die Gesellschaft, die Welt umgestalten. Zum guten Ton, so Cordsen, gehöre es mittlerweile in vielen Kreisen, sich als aktivistisch zu charakterisieren. Es sei ein angesehenes Prädikat und habe dem Prädikat intellektuell zu sein den Rang abgelaufen, und das, obwohl sich die Daseinsberechtigung des Aktivismus in dem Moment erschöpfe, in dem er sein Ziel erreicht hat.

Ordentliches Maß an Eiferertum

Wie kam es zu dieser Wandlung? Woher kommt die Konjunktur des Aktivismus? Um diese Frage zu beantworten, geht Cordsen kurz sehr weit zurück. Schon der Apostel Paulus könne als Aktivist in Sachen Christentum bezeichnet werden, denn seine Reisen dienten dem Zweck, das Wort Christus' unter die Menschheit zu bringen. Diese religiöse Motiviertheit des Aktivismus lasse sich aber bis heute nachweisen, von den 10er und 20er Jahren des letzten Jahrhunderts, über die Zeit des Nationalsozialismus, in der DDR, der Studentenbewegung von 1968 bis hin zu den Auftritten der russischen Aktionsgruppe Pussy Riot, die ihr Punk-Gebet gegen Putin in der Moskauer Christ-Erlöser-Kirche performte und dafür heftig bestraft wurde.

Ein ordentliches Maß an Eiferertum könne man auch den Klimaaktivisten zurechnen, die sich an Orten festketten oder -kleben. Seit frühesten Tagen träte, so Cordsen, der Aktivist als Rigorist oder Wahrheitsmonopolist auf, nicht selten gehe dies einher mit Humorferne oder -losigkeit.

Im frühen 20. Jahrhundert waren es Personen wie Kurt Hiller oder Robert Müller, die von einem Aktivismus träumten, der sich sogar in der Gründung einer Partei niederschlagen sollte. Man berief im Juni 1919 einen Kongress ein, auf der Agenda standen Themen wie »Kampf gegen die Waffe, Abschaffung der Wehrpflicht, Arbeitspflicht und Berufszwang, Sexualfreiheit«. Der Kongress endete damit, dass er von niederschmetternd wenigen, nämlich 150 Menschen besucht war. Das hielt Hiller allerdings nicht davon ab, weiterhin für den Aktivismus aktiv zu sein. Auch das gilt bis heute. Die Umkehr, so liest man aus den nach historischen Perioden und aktivistischen Phänomenen gegliederten Band heraus, falle nicht wenigen Aktivisten schwer.

Kein einigendes Prinzip

Die Schwachstellen beziehungsweise die Problematik des Aktivismus als einigendes Prinzip treten jedoch dank Cordsens Analysen deutlich zutage. Zu vielfältig sind die Ziele der Aktivisten, um sie auf einen Nenner bringen zu können, gelegentlich zu abseitig, was wiederum dazu führt, dass neben Gruppen gleichgesinnter Aktivistinnen auch »Solo-Aktivist*innen« unterwegs seien, man denke an Greta Thunberg, die sich 2018 allein vor dem Stockholmer Parlament positionierte, bei sich ein Pappschild mit der Aufschrift »Schulstreik für das Klima«.

Eine Partei der Aktivisten wie Hiller sie sich erhoffte, wird es also auch weiterhin nicht geben. Und wenngleich weder Journalismus noch Wissenschaft frei von aktivistischen Protagonisten sind, plädiert Cordsen auf der Grundlage seiner Recherchen und Beobachtungen mit stichhaltigen Argumenten für eine strenge Trennung dieser Bereiche. Wie schnell eine Vermengung von Journalismus und Aktivismus scheitern kann, zeigt Cordsen am Beispiel von Rezo, dessen »Journalismus-Gaming« seriöseren Konsumenten schnell fadenscheinig daherkommt.

Und wie problematisch das in akademischen Kontexten ist, kann man so exemplarisch wie drastisch am Beispiel der englischen Wissenschaftlerin Kathleen Stock sehen, die ihre Professur an der Universität Sussex freiwillig aufgab, nachdem sie bestritten hatte, man könne unabhängig von der Anatomie sein angeborenes Geschlecht selbstbestimmt ändern, woraufhin sie öffentlich und online diffamiert wurde.

Wie Cordsen die aktuellen und historischen Ausprägungen des Aktivismus analysiert, bringt an einigen Stellen Ordnung und Ruhe auf einen aufgewühlten, überhitzten Schau- und Tummelplatz. Er zeigt, dass sich der Aktivismus nicht selten zu wenig auf seine historischen Vorbilder beruft, wenn etwa Feministinnen von heute Alice Schwarzer des Konservatismus brandmarken, ohne zu bedenken, welch zentrale Rolle deren Engagement für ihr eigenes, heutiges Agieren bedeutet.

Respektgrenzen achten

Der Autor weist auf die bedenklichen Folgen hin, die es zeitigt, wenn nicht nur in Kassel im Zusammenhang mit den antisemitischen Darstellungen unter der Kuratel von Ruangrupa, sondern auch auf Twitter im Dienste des Aktivismus zahlreiche Respektgrenzen schlichtweg überschritten werden, wenn der Aktivismus einen Zustand erreicht, in dem Aktivisten sich gegenseitig nurmehr bekämpfen, oder Inhalte zuungunsten von Überzeugung nicht mehr in die Argumentation einbezogen werden.

Andererseits fällt doch immer wieder unter den Tisch, dass es Entschiedenheit zur Veränderung braucht, um, nun ja, eben auch etwas zu verändern.

Hier bietet das Buch keine Perspektiven. Wer wie Cordsen die Wirklichkeit als komplex begreift, weiß, dass Veränderungen etwas sind, das Zeit braucht, und bedenkt, dass überstürztes Schwarz-Weiß-Denken kein kluges Handeln zeitigt, wird sich mit dem Nachdenken über Lösungen gewiss nicht leicht tun. Den Blick darauf zu lenken, ist einerseits ein Verdienst von Die Weltverbesserer, wenngleich sein Autor das Trachten nach einer durch Veränderung bewegten Welt manchmal doch etwas zu rasch ironisiert. Auch Solo-Aktivistinnen wie Greta Thunberg haben einmal klein angefangen und dann eben doch etliches angestoßen, was über PR weit hinausgeht.

Knut Cordsen: Die Weltverbesserer. Wie viel Aktivismus verträgt unsere Gesellschaft? Aufbau, Berlin 2022, 144 S., 20 €.

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