Als »König der Kulturhistoriker« ist er bezeichnet worden: Jacob Burckhardt aus Basel, der Verfasser der Cultur der Renaissance in Italien, um den Titel seines berühmtesten Buches zu nennen. Es erschien 1860, und bis zu seinem Tod fast vier Jahrzehnte später hat er keine weiteren Bücher mehr veröffentlicht. Als ordentlicher Professor für Geschichte widmete er seine Energie fast ausschließlich seinen historischen und kunstgeschichtlichen Vorlesungen und Vorträgen an der Universität Basel. Aber er hinterließ eine unübersehbare Menge an Manuskripten, aus denen seine Nachlassverwalter, voran der Neffe Johann Jacob Oehri, weitere Bücher zusammenstellten bis zu den drei Werkausgaben, die an Umfang von Mal zu Mal zunahmen bis zu der dritten, noch nicht abgeschlossenen, die auf 29 Bände angelegt ist.
Burckhardt war ein Schüler von Johann Gustav Droysen und Leopold von Ranke. Er gehörte zur zweiten Generation der großen Historiker des 19. Jahrhunderts, in dem er auch sein ganzes Leben verbrachte: von 1818 bis 1897. Basel war sein Geburts- und sein Sterbeort. Sein Hauptwerk, die Cultur der Renaissance in Italien, gilt als Modell der Kulturgeschichtsschreibung schlechthin, als der erste große »Versuch« – das Wort steht im Untertitel des Buches –, ein Gesamtbild dieser für die europäische Geschichte so wichtigen Epoche zu geben. Der Begriff Renaissance wurde nicht von Burckhardt geprägt, aber erst mit diesem Buchtitel wurde er im deutschen Sprachraum fest verankert und zu einer wissenschaftlichen Kategorie erhoben. Burckhardt gelang damit nicht weniger als eine Neuausrichtung der Geschichtsschreibung, indem er die vielfältigen Einsichten unterschiedlicher Fachgebiete zu einer Gesamtkomposition zusammenfügte. Der interdisziplinäre Ansatz macht das Buch noch heute lesenswert und in gewissem Sinne modern.
Sein Autor besaß einen nur geringen literarischen Ehrgeiz und war frei von dem Bestreben, Titel an Titel zu reihen. Als Friedrich Nietzsche ihm seine Schrift Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben übersandte, bedankte er sich mit den Worten: »Ich habe die Geschichte nie um dessentwillen gelehrt, was man pathetisch unter Weltgeschichte versteht, sondern wesentlich als propädeutisches Fach: ich mußte den Leuten dasjenige Gerüste beibringen, das sie für ihre weiteren Studien jeder Art nicht entbehren können, wenn nicht alles in der Luft hängen soll.« Das von Burckhardt selbst publizierte Werk umfasst kaum mehr als 4.000 Druckseiten. Dazu gehören die Studie Die Zeit Constantin’s des Großen und Der Cicerone, die »Anleitung zum Genuß der Kunstwerke Italiens«, die salopp als Reiseführer bezeichnet werden könnte. Erst Jacob Oehri publizierte aus dem Nachlass Burckhardts, entgegen dessen testamentarischer Verfügung, der gesamte handschriftliche Bestand sei zu vernichten, zwei Bücher, die später zu Weltruhm gelangten: die Griechische Kulturgeschichte, die in vier Bänden zwischen 1898 und 1902 erschien, und die Weltgeschichtlichen Betrachtungen, die 1905 herauskamen. Das letztgenannte Werk, das eine komplizierte Entstehungs- und Publikationsgeschichte aufweist, stellte eine Absage sowohl an die Geschichtsphilosophie von Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Karl Marx dar als auch an alle anderen Versuche, Geschichte als Entwicklung eines übergeordneten und zielgerichteten Geschichtsprozesses aufzufassen. Für den Kulturhistoriker Burckhardt war das einzige konstante Phänomen in der Geschichte die Natur des Menschen, während er das Ziel der Geschichte für rätselhaft und unbestimmbar hielt. Voller Misstrauen stand er dem Phänomen der Macht gegenüber. Er schrieb: »Und nun ist die Macht an sich böse, gleichviel, wer sie ausübe. Sie ist kein Beharren, sondern eine Gier. Und daher so unerfüllbar, daher in sich unglücklich, und muß andere unglücklich machen.« Die Weltgeschichtlichen Betrachtungen sind reich an solchen Reflexionen und Aperçus und machen das Buch zum klassischen Werk der Geschichtsphilosophie.
Modernitätsmüder Kulturkritiker
Burckhardt war frei von der Neigung, als Prophet aufzutreten, aber er hat in seiner Zeit vieles entdeckt und durchdacht, was für spätere Epochen kennzeichnend wurde. Dabei sah er sich selbst eher als Modernitätsmüden, der den Prozess der Modernisierung mit ihrer Tendenz, alle Tätigkeit in ein »Business« und alle Produkte in eine Ware zu verwandeln, mit Unbehagen registrierte. Die kulturkritische Tendenz Burckhardts trat im Laufe der Zeit immer stärker hervor, sodass man ihn zu Recht als Wegbereiter des Antimodernismus bezeichnet hat. Vielleicht liegt darin seine größte Nähe zu Nietzsche, der für einige Jahre sein Kollege an der Baseler Universität war. Obwohl Nietzsche mehr als ein Vierteljahrhundert jünger war als Burckhardt, bestimmten Respekt und Wertschätzung ihr Verhältnis. Einer der letzten Briefe Nietzsches, vielleicht sogar der letzte, geschrieben in den Tagen des geistigen Zusammenbruchs in Turin, war an Burckhardt gerichtet, darin die Worte: »Nun sind Sie – bist du – unser großer größter Lehrer«. Burckhardt war in vielem ebenso unzeitgemäß wie Nietzsche. Im gewaltigen Steinbruch seines Nachlasses, der erst jetzt, mehr als 100 Jahre nach seinem Tod, ans Licht kommt, lassen sich noch viele Entdeckungen machen.
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