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Ein sozialdemokratisches Projekt zur Zähmung des digitalen Kapitalismus Menschengerechte Wirtschaft

Mit der SPD-Niederlage bei der dritten Bundestagswahl in Folge, setzt sich die Krise der sozialdemokratischen Parteien fort. Wird die soziale Demokratie im digitalen Kapitalismus noch gebraucht? Historisch war es die Rolle der Sozialdemokratie, soziale Transformationskrisen durch einen Kompromiss zu lösen. Über Jahrzehnte war der New Deal die Basis sozialdemokratischer Gesellschaftsverträge. Doch nach der Beugung vor dem neoliberalen Zeitgeist haben viele Sozialdemokraten ihren gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch aufgegeben. Wer Visionen habe, so einst Helmut Schmidt, der solle zum Arzt gehen. Im Ergebnis wurden im demokratischen Mainstream nur noch Variationen zum neoliberalen Thema angeboten. Heute wollen viele Wähler mit ihrem Kreuz bei den Rechtspopulisten vor allem ihren Protest gegen diese Alternativlosigkeit zum Ausdruck bringen. Wer die soziale Demokratie retten will, muss also für ein alternatives Gesellschaftsmodell kämpfen. Wie groß die Sehnsucht nach einer progressiven Alternative ist, lässt sich an den Höhenflügen von Jeremy Corbyn, Bernie Sanders und Martin Schulz ablesen. Gelingt es der Sozialdemokratie, diese Hoffnungen zu bedienen? Nimmt sie nicht nur den Rechtspopulisten den Wind aus den Segeln, sondern findet auch wieder zu alter Stärke zurück? Gelingt es dagegen nicht, den Ängsten vor den Umbrüchen entgegenzuwirken, dann wird es zu sozialen und politischen Verwerfungen kommen, gegenüber denen die gegenwärtige populistische Revolte als bloßes Vorbeben erscheint.

Was ist also unsere Vision für die gute Gesellschaft im digitalen Kapitalismus? Die alten Rezepte, mit denen der Industriekapitalismus gebändigt wurde, greifen seit dem Auslaufen der zweiten industriellen Revolution nur noch bedingt. Schon seit Jahrzehnten wird Wachstum nur noch durch künstliche Nachfrage angeheizt. Heute reicht selbst Geld drucken nicht mehr aus, um die Wirtschaft auf Touren zu bringen. Die digitale Automatisierung wird dieses Nachfrageproblem eher noch verschärfen. Denn frei nach Henry Ford gilt: Roboter kaufen keine Roboter. Zur Überwindung dieser strukturellen Nachfragekrise reicht also das überfällige Ende der Sparpolitik nicht aus. Denn auch ohne in Schreckensszenarios einer Welt ohne Arbeit zu verfallen, wird es zumindest mittelfristig ein Zurück zum lohngetriebenen Wachstum des Fordismus nicht geben.

Der Markt alleine wird also die Transformationskrise nicht lösen. Die digitale Marktwirtschaft braucht ein komplementäres System, das Nachfrage schafft. Solch ein duales Modell ist die menschengerechte Wirtschaft. In der menschengerechten Wirtschaft schafft die digitale Marktwirtschaft den Mehrwert, der es erlaubt, Arbeit am Gemeinwohl zu entlohnen. Die menschliche Gemeinschaftsgüterwirtschaft (human commons) erzeugt dabei die Konsumnachfrage, um den digitalen Markt am Laufen zu halten.

Sechs Bausteine für die menschengerechte Wirtschaft

Erstens: fairer Wettbewerb zwischen Mensch und Maschine. Roboter schlafen nicht, werden nie krank – und zahlen keine Steuern. Menschliche Arbeit dagegen finanziert das Gemeinwesen. Dieser unfaire Wettbewerb muss dringend korrigiert werden. Bei Roboter- und Datensteuern geht es also nicht darum, den technischen Fortschritt aufzuhalten, sondern um einen fairen Lastenausgleich zwischen Arbeit und Kapital zu schaffen. Die Erträge sollten in lebenslanges Lernen, die bedingungslose Grundsicherung und ein solidarisches Grundeinkommen investiert werden.

Zweitens: in menschliche Fähigkeiten investieren. Millionen Jahre Evolution haben menschliche Fähigkeiten hervorgebracht, an die so schnell keine künstliche Intelligenz heranreicht: Kommunikation und Innovation, Erfahrung und Urteilsvermögen, Führung und Weitsicht, Flexibilität und Lernen. Auch in der digitalen Marktwirtschaft wird es also Nachfrage nach menschlicher Arbeit geben. Um dieses Potenzial auszuschöpfen, müssen sich Erwerbstätige permanent fortbilden. Im Sparwahn der letzten Jahrzehnte wurden Investitionen in Menschen jedoch radikal zusammengestrichen. Doch auch im digitalen Kapitalismus gilt: Wer morgen ernten will, muss heute säen. Die Industriepolitik der menschengerechten Wirtschaft bedeutet daher Investitionen in menschliche Fähigkeiten.

Drittens: mit bedingungsloser Grundsicherung Nachfrage ankurbeln. Wenn die digitale Automatisierung die Arbeitsmärkte durcheinander wirbelt, dann muss kluge Wirtschaftspolitik aktiv die Nachfrage stärken. Folgerichtig hat sich die erste politische Debatte des digitalen Kapitalismus um das Grundeinkommen entsponnen. Die Konfliktlinien verlaufen dabei quer zur Links-Rechts-Formation der Industriegesellschaft. Auf der einen Seite finden sich Digitalunternehmer, die die Konsumnachfrage ankurbeln wollen; Milliardäre, die den Aufstand des Trumpschen Proletariats fürchten; Neoliberale, die den Sozialstaat endgültig abwickeln wollen und Marxisten, die vom Ende der entfremdeten Arbeit träumen. Auf der anderen Seite versammeln sich Gewerkschaftler, die sich um die Tarifautonomie sorgen; Kommunitaristen, die gesellschaftlichen Ausschluss fürchten; Sozialisten, die ein trojanisches Pferd wittern und Konservative, die vor falschen Anreizen warnen.

Die menschengerechte Wirtschaft erteilt Überlegungen, die solidarischen Sozialsysteme durch ein Grundeinkommen zu ersetzen, eine klare Absage. Neues Denken lohnt sich jedoch im Bereich der sozialen Grundsicherung. Wenn die digitale Automatisierung zumindest mittelfristig zu technologischer Arbeitslosigkeit führt, dann ergibt es wenig Sinn, die Grundsicherung alleine auf die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt auszurichten. Soll die Grundsicherung künftig vordringlich die Nachfrage stärken und den sozialen Frieden wahren, dann müssen die Empfänger aus der Mühle der Bedarfsbürokratie befreit werden. Eine bedingungslose Grundsicherung ersetzt also keineswegs die solidarischen Sicherungssysteme, sondern gibt den Menschen ihre Würde zurück. Um die Konsumnachfrage anzukurbeln, sollte die Höhe der Grundsicherung angehoben werden. Selbst wenn die materiellen Leistungen gegenüber den bestehenden Sozialhilfesätzen nur moderat erhöht würden, hätte die bedingungslose Grundsicherung ein enormes emanzipatorisches Potenzial. Gerade in den Zeiten großer sozialer Verunsicherung elektrisiert das Versprechen von Würde, Sicherheit und Freiheit viele Menschen.

Viertens: gemeinnützige Arbeit mit solidarischem Grundeinkommen entlohnen. Wer arbeitet, soll mehr haben als der, der nicht arbeitet. Diese Arbeitsmoral reibt sich am bedingungslosen Grundeinkommen. Millionen Menschen leisten aber mit ihrer Arbeit einen Beitrag zur Stärkung der Gemeinschaft, ohne dafür angemessen entlohnt zu werden. Wer Kinder betreut, Kranke pflegt oder Kunst schafft, kann davon oft kaum seinen Lebensunterhalt bestreiten. In der menschengerechten Wirtschaft gilt: Wer Sicherheit schafft, Wissen vermittelt, die Natur schützt oder die Erinnerung bewahrt, muss davon gut leben können. Wenn der Markt gemeinnützige Arbeit nicht angemessen entlohnt, dann muss der Staat durch ein solidarisches Grundeinkommen einspringen. Was als gemeinnützig gelten soll, sollte großzügig bestimmt werden. Frei nach John Maynard Keynes: Gemeinnützig ist, was Nachfrage schafft.

Fünftens: Demokratisierung von Kapitalvermögen. Wenn Roboter die Menschen ersetzen, stellt sich die Frage: Wem gehören die Roboter? In einer Ökonomie, in der Kapital zunehmend die Arbeit ersetzt, muss das Kapitalvermögen gleichmäßiger verteilt werden. Um die Angestellten weniger abhängig vom Lohneinkommen zu machen, schlägt der Ökonom Richard Freeman daher vor, einen Arbeiteranteil am Kapitalvermögen einzuführen. Yanis Varoufakis plädiert dagegen für ein Aktiendepot der Allgemeinheit, aus dessen Kapitalerträgen ein allgemeines Grundeinkommen finanziert werden soll. Will man die Wirtschaftsrisiken der Unternehmen nicht auf die Arbeitnehmer übertragen, so erscheint ein Staatsfonds praktikabler.

Sechstens: der Gärtnerstaat. In einer flexiblen, informellen und distributiven Gesellschaft wird weder der bevormundende Obrigkeitsstaat noch der neoliberale Minimalstaat funktionieren. Der digitale Staat sollte sich als Gärtner verstehen: säen, wässern, aufziehen, schützen und zurechtstutzen.

Das sozialdemokratische Projekt im digitalen Kapitalismus

Inmitten der Konflikte über Souveränität, Identität und Verteilung, die unser Gemeinwesen erschüttern, müssen wir die Fundamente der Solidarität zwischen allen Mitgliedern der Gesellschaft stärken. Das kann nur ein neuer Gesellschaftsvertrag für die digitale Gesellschaft leisten. Diesen Gesellschaftsvertrag auszuhandeln, ist die zentrale Aufgabe der Sozialdemokratie im digitalen Kapitalismus. Die Sozialdemokratie muss also noch einmal den Kapitalismus zähmen und in den Dienst der Gemeinschaft stellen.

In der gegenwärtigen politischen Ökonomie ist das eine gewaltige Herausforderung, welche die Kräfte der Sozialdemokratie überfordern dürfte. Ob sich die Erfolgsaussichten im digitalen Kapitalismus verbessern, ist offen. Einerseits haben die distributiven Technologien und die Netzwerkökonomie durchaus das Potenzial, die Produktionsmittel zu demokratisieren. Andererseits zeigt die Konzentration von Macht in den Händen einiger weniger Plattformen wie Google, Amazon und Facebook, dass das Pendel durchaus auch in die andere Richtung ausschlagen kann.

Gegen die zu erwartenden Widerstände wird sich nur eine breite gesellschaftliche Koalition durchsetzen können. Die Chancen, eine solche transformative Allianz zu schmieden, stehen allerdings nicht schlecht. Die bizarren Allianzen für und wider ein Grundeinkommen deuten an, dass im digitalen Kapitalismus die politischen Karten neu gemischt werden. Vor allem die Nachfragekrise eröffnet neue Möglichkeiten der Allianzbildung. Nach einem halben Jahrhundert angebotsorientierter Ökonomie und politischem Sparzwang ist das eine Gelegenheit, die auf keinen Fall verpasst werden darf.

Eine gemeinsame Plattform zwischen gesellschaftlichen Gruppen, mit heute unterschiedlichen Interessen, lässt sich aber nicht aus einem Potpourri von Einzelmaßnahmen formen. Gebraucht wird eine Vision, wie die digitale Transformation zum Wohle aller gestaltet werden kann. Diese Vision ist nichts anderes als ein inklusiver sozialer Kompromiss zwischen allen gesellschaftlichen Gruppen. Die Aushandlung dieses Kompromisses ist der Kern des sozialdemokratischen Projektes im digitalen Kapitalismus.

Die menschengerechte Wirtschaft deutet an, wie dieser sozialdemokratische Kompromiss aussehen könnte: »Jeder, der zum Gemeinwohl beiträgt, soll davon gut leben können.« Für die Kapitalseite bietet die menschengerechte Wirtschaft eine Lösung für die existenzbedrohende Nachfragekrise. Für die arbeitende Bevölkerung wendet sie die Gefahr der technologischen Massenarbeitslosigkeit ab. Für den Staat sichert sie das Steueraufkommen. Und für alle Bürger garantiert sie den sozialen Frieden.

Gelingt es, auf der Basis dieses Kompromisses den neuen Gesellschaftsvertrag auszuhandeln, sind die Voraussetzungen für die Gestaltung der digitalen Transformation gegeben. Als Wirtschaftsmodell erzeugt die menschengerechte Wirtschaft Nachfrage als Grundlage nachhaltigen Wachstums. Als sozialen Kompromiss sichert sie die politische Stabilität zur Durchsetzung verändernder Reformen. Als Vision bietet sie den Halt und die Zuversicht, die Menschen brauchen, damit sie permanente Veränderung nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung erleben.

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