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Das Bündnis Sahra Wagenknecht als Herausforderung für die SPD Mit populistischer Dynamik

Von Osteuropa oder von den Niederlanden sind wir es schon gewohnt, dass neu gegründete Parteien aus dem Stand bei Wahlen erfolgreich sein können. Weder die Grünen, die Piraten noch die AfD haben das vermocht: dem BSW aber gelang in wenigen Monaten der direkte Einzug ins EU-Parlament und zweistellige Ergebnisse bei ostdeutschen Landtagswahlen mit potenzieller Regierungsbeteiligung. Dabei ist das eigentliche Ziel der neuen Partei die Bundespolitik.

Das BSW ist das Resultat von strategisch-unternehmerischen Initiativen, entwickelt entlang systematisch ausgewerteter Erfahrungen – was nicht bedeutet, dass es nicht zugleich auch viel Improvisation, Zufall und in Zukunft vermutlich auch viele innerparteiliche Konflikte geben könnte. Im Zentrum der Partei steht die namensgebende Gründerin, die sich als politische Unternehmerin über Jahre ein eigenes politisch-mediales und investitionsfähiges Netzwerk geschaffen hat, das insbesondere durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk flankiert wird. In den letzten 20 Jahren war kaum jemand so häufig in Talkshows; hinzu kommen diverse Dokus und Filmporträts über sie.

»Eine diffuse, besserwisserische Projektionsfläche für Unzufriedene, die häufig von Statusangst getrieben sind.«

Orientierungspunkte sind auch personenzentrierte Parteinetzwerke wie in Frankreich, Italien oder den Niederlanden. Für die negative Abgrenzung stehen insbesondere die Lehren aus WASG, Linkspartei und der Initiative »Aufstehen«. Das BSW hat zwar schnell Erfolg; aber zugleich die längste Inkubationszeit, die je eine deutsche Partei für die Etablierung brauchte. Allein zwischen der »Aufstehen«-Etappe und der BSW-Gründung liegen rund sechs Jahre. Das Ganze ist erkennbar systematisch geplant, finanziert und realisiert. Anders als vorhergehende Parteineugründungen, die als Ein-Themenpartei entstanden, ist BSW gleich als Vollsortimenter breiter aufgestellt. Auffallend ist auch das überbordende Selbstbewusstsein der Gründerin: »Das BSW wurde gegründet, um eine Repräsentationslücke zu füllen und die deutsche Politik zu verändern, nicht für Jahre, sondern für Jahrzehnte.« Schaut man auf die BSW-Programmtexte, sieht man kaum innovative Politikangebote. Das Personal steht auch nicht für eine neue autoritäre Partei: BSW liefert derzeit eine diffuse, besserwisserische Projektionsfläche für Unzufriedene, die häufig von Statusangst getrieben sind.

Kombination aus diffusen Erwartungen an den Staat und dem populistischen Prinzip der einfachen Lösungen.

Mit ihrem Angebot zielt das BSW auf eine links-konservative Repräsentationslücke. Gemeint sind Wähler:innen, die in ökonomischen Fragen links, in kulturellen jedoch konservativ eingestellt sind. Sie wollen einen handlungsstarken Sozial- und Rechtsstaat. Zugleich fordern sie eine klar strukturierte und begrenzende Migrationspolitik ein. Hinzu kommt eine Skepsis an sogenannter Identitätspolitik. Adressiert werden auch jene, die klassisch friedensbewegt sind und ein baldiges Ende des russischen Angriffskrieges auf di­plomatischem Wege herbeisehnen. Gefordert wird ein starker Staat, vor allem auch in Migrationsfragen. Diese Melange mündet auch in der Kritik an urbanen Lebensstilen sowie an sozialdemokratischer Realpolitik. Das BSW kombiniert diffuse, weitgesteckte Erwartungen an den Staat mit dem populistischen Prinzip der einfachen Lösungen für komplexe Problemlagen.

Das BSW fokussiert die für den Populismus konstitutive antagonistische Konfliktlinie zwischen »Elite« und »Volk«. Die politische Elite, also die Ampel-Regierung, sei abgehoben und habe den Kontakt zum einfachen Volk verloren. Statt sich um die drängenden Themen der »normalen« Leute zu kümmern, kümmere sie sich um die »woken« Nischendebatten (etwa Gendern und Antidiskriminierung). Gleichzeitig schaffe sie mit ihren neoliberalen Ansätzen, vor allem durch ihre Energie- und Klimapolitik soziale Schieflagen in breiten Teilen der Gesellschaft und eine Politik, die »den Bürgern vorschreiben will, wie sie zu leben, zu heizen, zu denken und zu sprechen haben«. Diese Politiker:innen – so der Vorwurf - »bewegen sich in einer Blase, großstädtisch, akademisch, gut situiert, aber das ist weit weg vom Leben vieler Menschen«.

Die Erweckung

Wagenknecht wolle hingegen den einfachen Leuten eine Alternative zur aktuellen Politik bieten, denn sie befürchte, dass diese aus verzweifeltem Protest die AfD wählen (könnten): »Ich kenne selbst nicht wenige Menschen, die mir sagen, wenn ihr jetzt nicht startet, wählen wir AfD, weil wir einfach nicht mehr wissen, was wir wählen sollen. Natürlich wollen wir diese Menschen erreichen. Dieses Wählerbashing, also dass AfD-Wähler alles Rechtsradikale sein sollen, ist völ­liger Quatsch«. Wagenknechts Buch Die Selbstgerechten ist gewissermaßen die Erweckungsschrift des BSW. Aus dem Geist der Opposition geschrieben, die alte Mitte gegen die neue in Stellung bringend, wird es schwierig daraus Regierungsfähigkeit abzuleiten.

Gegenüber der Ankündigung, eine Alternative zur AfD zu bieten, zeigen die Wählerwanderungen ein anderes Bild. Das erste Opfer des BSW ist nicht die AfD, sondern die Linkspartei: in Sachsen 73.000 von der Linken; dagegen nur 23.000 von der AfD, in Thüringen 84.000 von der Linken und lediglich 11.000 von der AfD. Auch bei CDU (Sachsen: 45.000; Thüringen: 18.000), SPD (Sachsen: 16.000; Thüringen: 12.000) und dem Lager bisheriger Nichtwähler:innen (Sachsen: 43.000; Thüringen: 27.000) konnte sich das BSW bedienen. So verändert sich auch die Erzählung über das Angebot des BSW: Durch Erfolge bei den Nichtwählern wird die Wahl-Demokratie gestärkt.

»Das Netz gegenüber enttäuschten SPD-Wählern dürfte eher bedeutender werden.«

Und nicht zu vergessen ist, dass das BSW es vor allem auf die SPD abgesehen hat, der sie Verrat an der eigenen Sozialstaats-, Friedens- und Entspannungspolitik vorwirft. Tatsächlich sind schon einige erfolglose SPD-Politiker in den Dienst des BSW eingetreten und das Netz gegenüber enttäuschten SPD-Wählern dürfte eher bedeutender werden. Die Enstehung des BSW muss dabei im Kontext von sich verändernden Parteisystemen in nahezu allen europäischen Staaten sowie der abnehmenden Integrationsfähigkeit der Volksparteien gesehen werden.

BSW und AfD – Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Wo sind nun aber die Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen BSW und AfD? Erstens agiert das BSW in Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik eher links mit inhaltlichen Schnittmengen zur Linkspartei, der SPD, aber auch den Grünen. In ihrer Orientierung an den statusorientierten Sorgen der Facharbeiter sind auch Nähen zur Union auszumachen. Im Gegensatz zur AfD wird ein starker Sozialstaat befürwortet. Auch gute Löhne und Renten ebenso wie höhere Steuern für Reiche gehören zum Programm. Zweitens bekennt sich das BSW in der Migrationspolitik zum Asylrecht, lehnt Zuwanderung nicht grundsätzlich ab und distanziert sich von rassistischer Programmatik. So steht die neue Partei drittens auf dem Boden des Grundgesetzes.

Neben den drei zentralen Unterschieden lassen sich Gemeinsamkeiten in diskursbestimmenden Themen erkennen.

»BSW und AfD teilen den polarisierenden, populistischen Stil.«

Erstens: Sowohl BSW als auch AfD zeichnen das Bild eines heruntergewirtschafteten Landes, das durch ahnungslose, unfähige Ideologen aus der Berliner Politikblase regiert werde. Diese elitäre Politik gehe dabei zulasten der hart arbeitenden Bevölkerung. Sie teilen den polarisierenden, populistischen Stil sowie das Narrativ: »das Volk« gegen »die Elite«.

Zweitens: Der außenpolitische Kurs des BSW – trotz vordergründiger Kritik an Putin - ist prorussisch. Die Bundesregierung betreibe Kriegstreiberei, eskaliere den Konflikt: Neben menschlichem Leid im Kriegsgebiet würden die Sanktionen primär Deutschland schaden.

Drittens: Auch in Fragen der ökologischen Transformation bestehen Ähnlichkeiten zur AfD; aber auch zur FDP und CDU. Zwar leugnet das BSW nicht den Klimawandel und die Notwendigkeit zu Klimaschutzmaßnahmen, jedoch stimmt die Partei in die Erzählung ein, die Umstellung auf erneuerbare Energien gehe zu schnell, sei zu teuer und zu unsicher. Zudem hetzte Wagenknecht selbst gegen das Heizungsgesetz – auch mit Falschbehauptungen.

Viertens: Darüberhinaus finden sich in einer restriktiven, populistischen Migrationspolitik Gemeinsamkeiten, wenngleich BSW nicht grundsätzlich gegen Asyl und Zuwanderung ist.

Fünftens: Wie auch die AfD inszeniert sich das BSW als Kämpferin gegen die »Lifestyle-Linke«, als Anti-Grünen-Partei. Den Grünen wird eine teure und »ideologische« Energie- und Klimapolitik vorgeworfen, die deutsche Außenpolitik zu militarisieren und die Gesellschaft gegen ihre Interessen zu liberalisieren. Sie seien eine abgehobene, urbane und akademische Elite ohne Bezug zur Realität der »normalen« Leute.

Die weitere Entwicklung

Zwischen schneller Implosion und langfristiger Etablierung scheint aus heutiger Sicht beim BSW alles denkbar. Wie sich das Bündnis aber tasächlich weiterentwickeln wird, lässt sich nur schwer abschätzen.

Erstens könnte das BSW schlicht ein weiterer Akteur im Parteienwettbewerb sein, dem es möglich ist von allen Parteien Wähler:innen zu rekrutieren und zugleich ein neues Angebot für diejenigen zu sein, die sich bisher nicht vertreten fühlen. In diesem Sinne könnte sie eine Art Linkspartei 2.0 sein, die in etwa die Größe hat, die diese zu ihren besseren Zeiten besaß.

»Mit seinem antiwestlichen Grundimpuls desavouiert das BSW die pfadabhängige Grundstruktur der bundesdeutschen Außen- und Sicherheitspolitik.«

Zweitens könnte das BSW mit ihrer personenzentrierten und unternehmerischen Grundstruktur als Partei neuen Typs Positionen neu kombinieren und Wählermilieus verbinden. Zugleich ist zu berücksichtigen, dass sie mit ihrem antiwestlichen Grundimpuls zwar gewisse Wähler:innen anspricht, zugleich aber die pfadabhängige Grundstruktur der bundesdeutschen Außen- und Sicherheitspolitik desavouiert. Wenn sich das BSW auf Koalitionen mit westorientierten Parteien einlässt, besteht für sie die Gefahr, dass es seinen »unique selling point« verliert und sich schnell als »Altpartei« wiederfindet.

Drittens muss man die internen Dynamiken der Partei im Blick haben: Denkbar ist, dass es zu harten Prozessen der Deutungskonkurrenz kommt, vor allem wenn die Länderchefs einen eigenen Kopf entwickeln. Dann könnte das Modell der »unternehmerischen Politik aus einem Guss« in sich zusammenfallen.

Viertens ist zu berücksichtigen, wie sich die etablierten Parteien verhalten. Offensichtlich ist, dass die populistischen Ränder aus AfD und BSW den populistischen Druck auf die Mitte stark erhöhen. Dies wiederum vertieft die bestehende Destabilisierung des politischen Systems weiter.

Momente des nach-volksparteilichen Zeitalters

Die Wähler:innen des BSW wollen ihre Partei in Regierungsbeteiligung sehen. Wir dürfen gespannt sein, ob diese »selbstgerechte«, unternehmerische Partei, die für sich eine Repräsentationslücke zu füllen in Anspruch nimmt, an der pragmatischen Unfähigkeit ihrer Gründerin zerbricht, mit ihr wächst oder sich von ihr emanzipiert. BSW hat einige AfD-Wählende zu sich herübergezogen, Nichtwähler:innen an die Urnen gebracht und sie ist eine zentrale Herausforderung für die Parteien der demokratischen Mitte. Für eine Sozialdemokratie, die sich selbst auch als Partei der Arbeit definiert, ist das BSW angesichts von Zorn und Unzufriedenheit in den älteren, klassischen Unter- und Mittelschichten bei der nächsten Bundestagswahl eine besonders große Herausforderung. Für das Parteiensystem repräsentiert das BSW Momente des nach-volksparteilichen Zeitalters – vergleichbar der Entwicklung in Italien, den Niederladen und Frankreich: Parteien sind demnach personalisierter, populistischer, kleiner und segmentierter; ihre Koalitionsfähigkeit schwach ausgeprägt und ihre Regierungsfähigkeit prekär.

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