Es gibt Augenblicke, in denen Sprache nicht versagt – sondern implodiert. Nicht abrupt, sondern zögerlich, lautlos, wie eine ausgebrannte Neonröhre, deren Leuchten flackert, bis nur noch das elektromagnetische Summen eines entkernten Begriffsraums bleibt. Worte sterben nicht spektakulär. Sie erlöschen in der Überlastung.
Wir leben in einer Epoche, in der das Grauen simultan konsumierbar ist: Der Tod erscheint nicht mehr metaphysisch, sondern medial – eingebettet in Nachrichtenfeeds, sichtbar in Echtzeit, verfügbar auf Abruf. Menschen sterben, und es gibt dazu eine Pressemitteilung. Man flieht über Drahtzäune und durch Wasser, während im Studio über »den Zustand der Sprache« diskutiert wird. Ein »Jugendwort des Jahres« wird gewählt, während anderswo Kinder unter Trümmern verschwinden. Die Gleichzeitigkeit des Banalen und des Ungeheuren entlarvt den Verlust jeder moralischen Gravitation.
»Sprache ist zu einer ritualisierten Geräuschtapete verkommen, die das Elend nicht verhindert, sondern nur begleitet.«
Wir haben lange auf das Wort gesetzt, haben semantische Kathedralen errichtet: Friedensverträge, Resolutionen, akademische Diskurse über Transitional Justice, Essays über Verständigung, Dossiers über Deeskalation. Und doch genügt ein einziger Satz – »Wir holen uns zurück, was uns gehört« –, gesprochen von einem Mann im Anzug, und die Panzer rollen. Jets heben ab. Bomben fallen. Das gesprochene Wort wird zur Chiffre für Tod. Man könnte fragen: Wann zuletzt hat ein sorgfältig begutachteter Artikel eine Kugel aufgehalten? Wo fand jener Vortrag statt, der eine Mine entschärfte? Die Sprache, einst Zivilisationsmedium, ist zu einer Kulisse verkommen – einer ritualisierten Geräuschtapete, die das Elend nicht verhindert, sondern nur begleitet. Zwischen Phrasen wie »Zurückhaltung gefordert« und »wir verurteilen aufs Schärfste« verliert sich
Dieser Artikel ist noch nicht im Volltext freigeschaltet.
Sie können aber hier die
Ausgabe
bestellen
.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!