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Axel Schildt über Medienintellektuelle der Bundesrepublik Netzwerke und Reputationsstrategien

Intellektuellengeschichte ist auch Mediengeschichte, diese Einsicht bildet die Grundlage des großen, überreichen Buches Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik des Hamburger Zeithistorikers Axel Schildt (1951–2019). Der Selbststilisierung intellektueller »Solitäre« zum Trotz sei die fortwährende Medialisierung ein entscheidender Faktor bei der Entstehung von Büchern und Diskursen, der auf Statusbedingungen und Verhaltensformen wirkt.

Wie kann eine Intellectual History die Intellektuellen, diese heterogene Gruppe, definieren und ihre Geschichte in die Gesamtgeschichte der Bundesrepublik einbetten? Schildt will entschieden keine »Höhenkammforschung« bieten: »Den roten Faden dieses Buches wird die unauflösliche Verbindung von Medien und Öffentlichkeit auf der einen und der in ihnen und durch sie agierenden Intellektuellen auf der anderen Seite bilden. Dies stellt für mich die einzige erfolgversprechende Möglichkeit dar, das Thema gesellschaftsgeschichtlich zu erfassen, denn die rasche Rekonstruktion und Ausweitung des Medienensembles von Printmedien, Rundfunk und Fernsehen war die Basis für den wachsenden Einfluss intellektueller Meinungsbildner.«

Wer wöchentlich mehrere Beiträge für den modernen Schnellleser und Rundfunkhörer publizieren wollte, benutzte in den 50er Jahren ein Diktiergerät. Wenig später erleichterten Fotokopiergeräte den Austausch von Texten. Die Einführung des Personal Computers Anfang der 80er Jahre leitete dann eine qualitativ ganz neue Produktionsepoche geistiger Arbeit ein. Indem Schildt auf solche technisch basierten Dimensionen der Beschleunigung und andere praktische Fragen – Termine, Honorare – verweist, die in der Kommunikation zwischen Redakteuren und freien Schriftstellern immer wieder auftauchen, verdeutlicht er die Medienzentriertheit als zentrales Charakteristikum von Intellektuellen. Definitionen von Intellektuellen als »someone seriously and completely interested in the things of the mind« gehören für ihn »schlicht in den Orkus der Lächerlichkeit«.

Konversionen und Kontinuitäten

Das Buch analysiert eingangs die Grundlinien der Neuordnung des intellektuellen Feldes nach Kriegsende 1945. Das mehr als 300 Seiten umfassende zweite Kapitel »Einübung des Gesprächs« – eigentlich ein Buch für sich – porträtiert die intellektuelle Öffentlichkeit der 50er Jahre, beleuchtet zentrale Themen und Diskurse sowie die Protagonisten und deren mediale Foren. Das dritte Kapitel behandelt die Intellektuellen in der Fernsehgesellschaft der 60er Jahre, in denen »die Rollen für die intellektuellen Diskurse neu vergeben« wurden. Schildts eminente Leistung besteht in der Analyse und Beschreibung persönlicher Bezüge und Geflechte, intellektueller Orte und Wirkungsanalysen, ausgehend von seiner besonderen Kenntnis des intellektuellen Feldes der frühen Bundesrepublik. Ihn interessiert, wie die Diskurse der ersten 20 Jahre aussahen, wie plural die Positionen waren, welche Veränderungen sich durch den wachsenden Wohlstand ergaben. Und: Gab es aufgrund des Ost-West-Konflikts eine speziell westdeutsche Intellektuellengeschichte?

Die Geschichte des 20. Jahrhunderts sei in großem Ausmaß von intellektuellen Konversionen bestimmt gewesen sei, lautet eine zentrale These. Neben dem »Kreml-Astrologen« Klaus Mehnert oder dem führenden Christ und Welt-Redakteur Giselher Wirsing ist die Journalistin Ursula von Kardorff ein Beispiel von vielen: Sie wird, ungeachtet ihrer antisemitischen Artikel noch bis Ende 1944, nach dem Krieg bei der Süddeutschen Zeitung angestellt. NS-Aktivisten hatten ein hohes Interesse daran, in der Gruppe der »Mitläufer« aufzugehen und Konflikte im »Dritten Reich« als Beleg für ihre oppositionelle Position auszugeben. Sie verknüpften Widerstand mit »innerem Widerstand« zur Verdunklung der eigenen NS-Karriere, um ihre Reputation zu wahren.

Persönliche Kontinuitäten aus Weimar und dem »Dritten Reich« bleiben überaus wirksam. Diejenigen intellektuellen Akteure, die bereits vor 1945 agierten, positionieren sich nun, oft konflikthaft, in einer massenmedial geprägten Öffentlichkeit neu. Die Remigranten sind in der Minderzahl: »Nicht mehr als etwa 1.000 Intellektuelle kehrten aus dem Exil zurück, nach Schätzungen maximal ein Drittel der nach 1933 Geflohenen. Von insgesamt etwa 2.000 Journalisten im Exil waren in der Nachkriegszeit etwa 180 in den Printmedien tätig, dazu noch einmal 60 bis 70 in den Radiostationen.« Schildt bietet immenses Material, beeindruckt mit definitorischer Kraft, klaren Thesen und einleuchtenden Schlussfolgerungen. Seine Tauchgänge in die Tiefen der Archive bringen zahlreiche Schätze ans Licht, fördern Einsichten und zuweilen auch Sottisen, etwa wenn Schildt die christliche Wochenblatt-Publizistik als »effiziente Entbräunungsanstalt für NS-belastete Intellektuelle« bezeichnet.

Als medienintellektuelle Schreiborte definiert Schildt Verlage, die Feuilletons der Tages- und Wochenpresse und politisch-kulturelle Zeitschriften mit unterschiedlichen Erscheinungsrhythmen. An die Stelle Berlins treten München, Frankfurt am Main und Hamburg; weit dahinter Stuttgart, Köln und West-Berlin. Entscheidend ist zum einen das Vorhandensein einer Rundfunkanstalt, »hinzukommen mussten zweitens Presseunternehmen mit überregional wahrgenommenen Qualitätszeitungen, Buchverlage und eine Universität als akademischer Resonanzboden und personeller Kern für die Herausbildung eines größeren medialen Ensembles und einer intellektuellen Szene«. Die Neuordnung dieser »medialen Standortmuster« beginnt bereits unmittelbar nach dem Krieg.

Akribisch leuchtet Schildt die Medienunterschiede bzw. die sich neu sortierenden Medienensembles für Intellektuelle aus. Bei den Printmedien sei die pluralistische Bandbreite zwar größer gewesen als im Radio, dafür aber auch deren Marktabhängigkeit. Er nimmt sich die explosionsartige Fülle von Kulturzeitschriften (wie etwa Die Wandlung oder Der Ruf) nach 1945 und ihre Macher vor – Frauen sind kaum darunter. Der »Zeitschriftenfrühling« währt jedoch nur bis zur Währungsreform 1948. Das Feld lichtet sich: 4–5 Tageszeitungen, 4–5 Wochenzeitungen und ebenso viele politisch-kulturelle Zeitschriften sowie ein halbes Dutzend wichtige Publikumsverlage sind tonangebend in der Gründerzeit der Bundesrepublik. Für die Gründungsphase konstatiert Schildt eine eindeutig konservative Hegemonie bei den wöchentlich erscheinenden Blättern gegenüber den Tageszeitungen.

Dass der Rundfunk in den 50er Jahren eine tragende Rolle bei der Pluralisierung der intellektuellen Diskurse spielte, lag gewiss an dessen flächendeckender Verbreitung und permanenter Präsenz, vor allem aber an dem Netz persönlicher Kontakte und Verbindungen, für die Namen wie Axel Eggebrecht, Peter von Zahn und Ernst Schnabel stehen. Hinzu kamen hohe Honorare, der monetäre Reiz des »Rundfunks als Broterwerb« (Siegfried Lenz).

Es ist verblüffend, wie vielfältige Aufgaben von einzelnen Intellektuellen übernommen wurden. Walter Dirks, der ab 1946 zusammen mit Eugen Kogon die linkskatholischen Frankfurter Hefte herausgab, schlug zwar das Angebot aus, Intendant des Nordwestdeutschen Rundfunks zu werden, arbeitete jedoch in der Folgezeit für den Sender. Seine Honorare lagen monatlich meist über 3.000 DM – gegenüber 300 DM eines Facharbeiters. Unabhängig davon hätten sich Dirks und Kogon »als Organisatoren des Gesprächs« verstanden. Andere Positionen seien ihnen wichtig gewesen, auch die ihrer Gegner. Sie pflegten rege Briefwechsel mit europäischen Intellektuellen, und das Netz ihrer Kontakte erwies sich als stabil. Aufgrund der engen Drähte zwischen den Kulturredaktionen der Zeitschriften und des Hörfunks gilt der Bayerische Rundfunk zeitweilig als »eine Art Filiale der ›Frankfurter Hefte‹«.

Trotz des Wahlslogans der Kanzler-Union 1957 (»Keine Experimente«) kam es im Laufe der 50er Jahre zu Diskursverschiebungen: »Düstere Endzeitstimmung, Technikfeindschaft, Massenphobien und Elitedenken wurden nun in den Medien zunehmend von nüchternen, ›modernen‹ Stellungnahmen abgelöst, eine Frage nicht nur der Inhalte, sondern des gesamten Stils.« Überhaupt konterkariert Schildt die Vorstellung langweiliger Eintönigkeit und bloßer Nörgelei der Intellektuellen in der Adenauer-Ära: »Das Themenspektrum war bunt, die Bereitschaft zur öffentlichen Äußerung groß, die Positionen waren sehr unterschiedlich, die Debatten lebhaft. Sie begleiteten eine rasante Modernisierung der gesamten Lebenswelt.« Schildt zeigt die »Entschuldungskonjunktur«, also die Strategie, den Nationalsozialismus so umzudeuten, dass die Intellektuellen selbst, die zum überwiegenden Teil im NS-Regime publizistisch aktiv gewesen waren, als Opfer erschienen, in ihrer doppelten Entlastungsfunktion: »Damit tauchten sie zugleich Belastungen ihres Publikums in ein milderes Licht.«

Der Intellektuelle leidet an der Welt, er entwirft eine bessere, schrieb Wolf Lepenies, den Schildt mit dem Hinweis zitiert, das gerade das Agieren der Intellektuellen durch die Medien sie charakterisiere. Ohne den Einfluss des Journalismus und dessen Aufmerksamkeitsregime für intellektuelle Reputationsstrategien könne der moderne Intellektuelle nicht bestimmt werden. Axel Schildts Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik vorzustellen, geht mit Empfindungen der Trauer einher, weil dieser leidenschaftliche Forscher, Lehrer und Anreger sein »Opus magnum« nicht vollenden konnte. Er wollte die vier Dekaden von 1945 bis 1989 analysieren, also noch zwei weitere Kapitel und den »Ausblick: Die Intellektuellen auf dem Weg in die Berliner Republik« verfassen. Der Verlag erweist seinem Autor die letzte Ehre, indem er das komplette Inhaltsverzeichnis druckt, darin die ungeschriebenen Kapitel jedoch in Mattgrau. So ist bei der Lektüre immer sichtbar, wie sehr der Autors des Buches heute fehlt.

Axel Schildt: Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik (Hg. und mit einem Nachwort versehen von Gabriele Kandzora und Detlef Siegfried). Wallstein, Göttingen 2020, 896 S., 46 €.

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