Die AfD macht Kulturpolitik – doch eigentlich sucht sie den »rechten Weg« einer Abstammungsgemeinschaft, die Freiheit, Pluralität und kulturelle Offenheit verachtet und bekämpft. Globalisierung, Migration oder Diversität erscheinen ihr folglich als Schreckensbedingungen, denen sie eine Rhetorik der biologischen Verwurzelung entgegensetzt. Vereinfacht gesagt: Vor 12.000 Jahren wurde der Mensch sesshaft, siedelte stabil und begann Landwirtschaft zu betreiben. Diese kulturelle Revolution, kurzgeschlossen mit der Romantik alter Dörfer und Städte, ergibt in etwa die Narration verbriefter Bestandsrechte für die seit Generationen verortet Lebenden, die gegen eine Welt in Stellung gebracht werden, die immer kleiner wird, ob infolge der Bewegung von Menschen (Migration) oder von Informationen (Digitalität).
Wo wir eigentlich stärker kooperieren, resonanter sein müssten, also von Multilateralismus, Netzwerken oder der Einen Welt reden, sieht uns die AfD national abgeschottet – und im Zweifel eingemauert, immunisiert gegen die anbrandenden »Schmarotzer«. Und jene vertrieben, denen etwas Nomadisches anzuhängen scheint.
Die Kulturpolitik der AfD ist durchdrungen von neurechtem Gedankengut, das gesellschaftlichen Wandel, globale Verantwortung und Solidarität als Angriffe auf gleichsam natürliche, unveränderliche Kulturbedürfnisse einer abgeschlossenen deutschen Wertegemeinschaft begreift. Diese Kulturpolitik folgt einem ethnischen Kulturbegriff. Sie behauptet eine kulturelle Substanz, die unveräußerlich, vor fremdem Einfluss zu schützen und gegen Verunreinigung zu verteidigen sei. Die Anträge und Beschlussvorlagen der AfD in den Parlamenten negieren die eingeschlagenen Entwicklungspfade einer multiethnischen, postmigrantischen oder nachhaltigen Gesellschaft.
Radikal im Ton und in der Position
Ihr Ton ist geschichtsrevisionistisch, frei von Respekt vor der anhaltenden Aufarbeitung unserer Gewaltgeschichte, und sie berührt auch kaltschnäuzig das Tabu, die nationalsozialistischen Verbrechen zu relativieren: Hinter singulären Verfehlungen und Leichenbergen sucht die AfD beharrlich den Stolz eines deutschen Volkes, als seien zwölf Jahre Diktatur und Terror nur die oberflächliche Läsion eines robusten, strahlenden germanischen Kerns, dessen Urprivilegien auf Entfaltung eine sich demütigende, mulitikulti-»versiffte« Betroffenheitsgemeinschaft leugnet.
Ihre radikale Position hat die AfD im vergangenen Jahr eindrücklich belegt, indem sie die Bundesregierung dazu aufforderte, die aktuelle »Reduktion kultureller Identität« auf eine »Schuld- und Schamkultur« durch positive Bezugspunkte zu korrigieren, um die aktive Aneignung kultureller Traditionen und identitätsstiftender Werte wieder in den Vordergrund zu rücken. Diversität, Geschlechtergerechtigkeit, Dekolonisierung von Kulturgutsammlungen oder Green Culture wären demnach aus der Kulturpolitik zu tilgen, diese seien stattdessen – jenseits der »Ideologeme« einer fatalen Identitätspolitik, einer Cancel Culture oder einer negativ befrachteten Erinnerungskultur – neu aufzuladen und sollten zu positiver Identifikation mit der deutschen Geschichte beitragen. Anstelle einer transformatorischen Kulturpolitik, die die Themen des vielfältigen, teils disruptiven Wandels ernst nimmt und konzeptionell gestaltet, solle diese eine korrektive Kulturpolitik der Selbstbehauptung – gegen jede vermeintlich oktroyierte Veränderung – verfertigen.
Dazu gehört scheinbar auch, den Einfluss ästhetischer Avantgarden zu kritisieren, wie jüngst im Landtag von Sachsen-Anhalt geschehen: das Bauhaus als »Irrweg der Moderne«. Kritische Aufarbeitung – was immer das heißen soll – und radikale Kürzung staatlicher Kulturförderung erscheinen als probate Mittel, auf den Geschmack einer traditionellen Wertegemeinschaft einzuschwenken und das Unbehagen noch einmal beim Schopfe zu packen, das sich vor hundert Jahren bei den Altvorderen einstellte, als eine Ästhetik der Funktionalität vor idealistischer Erhabenheit zu rangieren begann oder Abstraktion vor wirklichkeitsnaher Widerspiegelung der vertrauten Dingwelt. Die Erinnerung an die Vertreibung des Bauhauses aus Weimar, den Stachel seiner Liberalität in einer auf ein totalitäres Regime zusteuernden Gesellschaft ist der AfD die »Mahnung« wert, eine »einseitige Glorifizierung des Bauhaus-Erbes« zum Jubiläum 2025 bitte zu verhindern und auf die internationale Verbreitung des Bauhaus-Stils als »globalem Einheitsbrei« zu verweisen. Die AfD als Verfechterin kultureller Vielfalt also – aber unbedingt jenseits der »Masseneinwanderung« und anderer Kulturen.
Das »saubere Leben«, »gesunde Familien« und die »Abstammungsgemeinschaft« als Gegenkultur zum herrschenden Trend.
Die AfD beteiligt sich aktiv am Kulturkampf der Neuen Rechten und versucht, mit biederen, den Menschen vermeintlich zugewandten Vorstellungen von Ästhetik, Kunst und heimatlicher Lebenswelt den vorpolitischen Raum zu fluten. Maximilian Krah spricht in seinem Manifest Politik von rechts von der autochthonen Gemeinschaft: der klaren Zugehörigkeit zu einem Volk, das keine »Elitekunst« brauche, für dessen Förderung vielmehr die deutsche Sprache und der deutsche Bildungskanon entscheidend seien. Er beschreibt eine Gegenkultur zum herrschenden Trend, die mit Sommerlagern für die Kinder beginne und mit gemeinsamen Singabenden oder Theaterspielen nicht ende. Er spricht vom »sauberen Leben«, von »gesunden Familien« und von der Kultur der »Abstammungsgemeinschaft«.
Instrumentalisierung Antonio Gramscis
Wer über die kulturelle Hegemonie verfügt, also über Gesinnung und Herzen der Menschen herrscht und damit ihr Identitätsverlangen stillt, werde auch eine politische Wende herbeiführen können. So benutzt die Neue Rechte den italienischen Marxisten Antonio Gramsci (1891–1937), der aus kommunistischer Perspektive die revolutionäre Kraft der Massen analysierte – und schließt ihn kurz mit Heimat und Verwurzelung in einer globalisierten Welt, die uns in der Tat die Neukalibrierung gelingender Gemeinschaft abverlangt. Dies bildet den radikalen Gegenpol zur Dekonstruktion geschlossener Identitätsbilder, die Max Czollek mit dem Slogan »Desintegriert Euch!« gefordert hat.
Das marxsche Diktum »Wenn die Idee die Massen ergreift, wird sie zur materiellen Gewalt« erfährt hier seine populistische Anbindung an die Lebenswelt der Menschen. Der einstige Klassenkampf der Unterdrückten wird zum egoistischen Kulturkampf jener, die ihre Scholle behaupten und Geschichte als Beglaubigung ihrer Bestandsrechte begreifen. Der Widerklang der rassistischen Blut-und-Boden-Ideologie verweist auf den exkludierenden Charakter dieses Kulturverständnisses, es räumt auf mit einer pluralen und diversen Gesellschaft. Und es beugt – bei allem Versagen und Gewalthaften der kommunistischen Revolution – die ehrlichen Überzeugungen jener, die sich gegen eine Entgrenzung des Kapitalismus stellten und stellen und dies Sozialismus nennen; ein Begriff, den auch die Sozialdemokratie über ihre gesamte Programmgeschichte verwendet und ausgedeutet hat.
Die Neue Rechte pflegt einen an Homogenität und gleichsam natürlicher Kontinuität orientierten Kulturbegriff, der den Menschen Sicherheit geben soll. Er sucht das Heroische in der Geschichte und deutet Niederlage und Schuld zu geschichtspolitischen Schleifpunkten um, die unser Selbstbewusstsein einbremsen. Darum auch bekämpft die AfD konsequent all Jenes, das uns immer wieder kritisch vor Augen führt, wie Gesellschaften in Totalitarismus abgleiten, rücksichtslose Dominanz- und Feindbilder entwickeln oder die Entfaltung aller Menschen über Stigmatisierung oder gruppenbezogene Diskriminierung verhindern können. Sie nimmt Akteure in den Blick, die Demokratiearbeit betreiben, seit Jahren gegen den Rechtsextremismus kämpfen und entsprechende Kulturprojekte oder Konzerte organisieren. So im thüringischen Landkreis Sonneberg, den der erste AfD-Landrat regiert. Wirtschaftlich erfolgreich, rechtsextremistisch stark ausgeprägt.
Mit der pluralen und diversen Gesellschaft wird aufgeräumt, Homogenität ist das Ideal.
Aber auch in Niedersachsen nähert sich die AfD nach diesem Muster der Kulturpraxis und hinterfragt aktuell in einer »Kleinen Anfrage« an die Landesregierung unter dem Titel »Welches Einsparpotential besteht bei der Soziokultur?« Gesinnung und Förderpraxis soziokultureller Einrichtungen. Diese böten eine »Bühne für antikapitalistische, antirassistische, öko-transformistische oder genderistische Projekte«, etliche werden beispielhaft und anklagend aufgeführt, damit die Adressaten einer indirekten Abwicklungsandrohung gleich wissen, dass konkret sie gemeint sind; die Definition des Bundesverbandes Soziokultur – jene Akteure seien Katalysatoren für die sozial-ökologische Transformation – hält sie spitzfingrig in ihren Text, als wolle sie damit das Grundübel anzeigen: Soziokultur als Formel für linksversifftes Gesinnungstheater.
Bilder der Abschottung
Die Strategie ist indes subtiler: Die Landesregierung wird gefragt, welche haushaltsrechtlichen oder subsidiären Gründe dagegen sprächen, dass soziokulturelle Träger und Projekte mit rein lokaler oder stadtteilbezogener Ausstrahlung aus dem Haushalt des Landes gefördert würden. Wobei die AfD sich als Hüterin der Haushaltssystematik und der kommunalen Selbstverwaltung darstellt. Denn schließlich hat ihre neue Heimatkunde auf die Kommunen, die örtliche Gemeinschaft, mehr Einfluss. Jeder kehre vor seiner eigenen Tür.
Die weltweite Regression, das Erstarken des Autoritarismus bei gleichzeitiger Zurückdrängung demokratischer Bewegungen und Systeme, spiegelt sich in den Verortungs- und Reinigungsbildern der AfD-Kulturpolitik wider. Sie stachelt die Menschen an, sich ihre Lebenswelt nach eigenem Bilde zu gestalten und das zu beseitigen, was das Fremde streut und Veränderung einfordert. Dies ist primitiv und perfide zugleich, da Gesellschaften schon immer in Bewegung waren und Bilder der Stillstellung und Homogenität Ausgrenzung, Gewalt und Eskalation befördern, also am Ende auch nur gegen Menschen durchgesetzt werden können. Bilder dieser Abschottung entzaubern wir nur mit Hilfe permanenter Öffnung – des Geistes, der Gesinnung und der Herzen –, wenngleich es ein mühsamer Weg bleibt, da er Brücken bauen, Vorurteile abbauen oder Standards hinterfragen muss. Zukunft benötigt Bewegung, neue Antworten, sie wurzelt niemals im dicken Blut der Unbeweglichen.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!