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Karikatur
picture alliance / dieKLEINERT | Markus Grolik

Die Ampel in den Spannungsfeldern der Transformation Noch kann das gelingen

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Tatsächlich hat diese Regierung so viele Herausforderungen zu bewältigen und so viele hoch relevante Initiativen gleichzeitig auf den Weg gebracht, wie kaum eine andere Regierung seit 1949. Sie hat sich in den Post-Corona-, Kriegs- und Inflationskrisen bewährt. Trotzdem ist die Unzufriedenheit mit ihr so groß wie mit nahezu keiner anderen Regierung zuvor.

Die allgemeine Grundstimmung ist pessimistisch.

Sicherlich hängt dies auch mit einer allgemeinen pessimistischen Grundstimmung zusammen, die sich in den vergangenen Monaten vor dem Hintergrund von Krieg, Inflation, Energiewende und eklatanten Defiziten in der öffentlichen Infrastruktur noch verstärkt hat. Und jetzt, wo die Regierung über den Krisenmodus hinausgehen und sich wieder eigenständiger an die Arbeit machen kann, unterlaufen ihr Fehler, die ihrem eigenen Fortschrittsanspruch entgegenstehen.

Die gerade laufende Debatte über das Gebäudeenergiegesetz vermittelt einen nachhaltigen Eindruck davon, wie schnell sich eine Regierung, die ambitioniert vorgeht, einer fast kulturkämpferischen Blockade durch Teile der Gesellschaft und der Medien gegenübersehen kann. Dabei zeigt sich, dass die Attacken grundsätzlicher Kritiker – die von der AfD, Teilen der CDU, über Bild, Cicero, Tichys Einblick bis hin zu unzähligen Social-Media-Kanälen reichen – in der Gesellschaft gehört werden.

Hinzu kommt das widersprüchliche Verhalten von Teilen der FDP. Sicher wäre diese Resonanz ohne die Fehleinschätzungen und Fehler der Regierung nicht möglich. Umgekehrt wären diese Fehler, die ja auch schnell korrigiert wurden, kaum der Rede wert, wenn es die starke kulturelle Gegenmobilisierung in Richtung Berlin nicht gäbe.

»Die Transformation mit ihren parallelen Verände­rungsprozessen ist auch eine kulturelle Herausforderung.«

Damit zeigt sich einmal mehr, dass die Transformation mit ihren parallelen Veränderungsprozessen mehr Felder betrifft als nur die technologischen, ökonomischen und sozial-ökologischen. Sie ist auch eine kulturelle Herausforderung, weil es eben auch um die Lebensstile und Lebensgewohnheiten der Menschen geht. Je näher Transformationen an die eingespielten Gewohnheiten von Individuen und Wirtschaft heranrücken, umso größer werden potenziell die Widerstände, desto härter werden die gesellschaftlichen und politischen Aushandlungsprozesse. Vor diesen Zumutungen zu kapitulieren ist genauso gefährlich, wie sie einfach zu ignorieren.

Die Unentschlossenen zu Mitstreitern machen

Bei der Frage, ob und inwieweit die Bevölkerung bereit ist, das individuelle Verhalten zu verändern, stehen sich aufs Ganze betrachtet zwei Lager gegenüber, die jeweils durchaus differenziert zu sehen sind. Für eine gute Klimapolitik geht es darum, die Unentschlossenen zu überzeugen und ihnen eine Brücke ins klimapolitisch aufgeschlossene Lager anzubieten.

Möglicherweise erleben wir jedoch gerade das Gegenteil, nämlich dass Teile der klimapolitisch »positiv Unentschlossenen« skeptischer geworden sind. Damit die Klimapolitik nicht an Fahrt verliert, vielleicht sogar blockiert wird, die Zahl der Kritiker nicht zunimmt und wir auf den Weg einer klimapolitischen Echternacher Springprozessen geraten, ist es wichtig, die Widersprüche des eigenen Vorgehens zu rekapitulieren, um wieder an Fahrt zu gewinnen.

In Deutschland fehlen Erfahrungen mit gelungenen Transformationen und Politikwechseln, die Vorbilder für die jetzigen Transformationen sein könnten. Deshalb müssen wir aus den Fehlern lernen, die wir selbst machen. Wir wissen: Transformationen sind keine Selbstläufer, sie lassen sich also nicht einfach aus den evidenzbasierten Prognosen wissenschaftlicher Studien oder aus den konkreten negativen Folgen des Klimawandels ableiten. Transformationen schaffen Raum für Widerstand und Konflikte.

Nur: Wie viele Konflikte, Umwege und Rückschritte verträgt die Transformation? Und vor allem: Was können wir aus den Konflikten lernen und wie kann die Transformation dadurch besser gelingen? Das setzt voraus, dass wir uns intensiver mit den Bedingungen befassen, die für den Erfolg von Transformationen wichtig sind, vor allem mit drei zentralen Spannungsfeldern – Demokratie, Steuerung und soziale Gerechtigkeit.

»Große Transformationen sind die Summe unzähliger kleiner Schritte, Reformen und Veränderungen.«

Klar ist: Große und schnelle Fortschritte in der digitalen oder ökologischen Transformation sind sehr schwer von heute auf morgen zu verwirklichen. Ein Blick in die Zeit der industriellen Revolution zeigt, dass der Umbau von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur keinesfalls mit einem »großem Wurf« gelingt. Vielmehr sind große Transformationen die Summe unzähliger kleiner Schritte, Reformen und Veränderungen.

In Demokratien benötigen gesellschaftliche und politische Aushandlungs-, Entscheidungs- und Umsetzungsprozesse viel Zeit. Unser komplexes politisches Mehrebenensystem verlangt Kooperation und hat auch erhebliche Kooperationspotenziale, es ist aber aufgrund von Vetoakteuren sehr verletzbar. Jedenfalls ist ein »Durchregieren« selten möglich und demokratiepolitisch auch nicht akzeptabel. Zudem ist die Politik in Demokratien wegen kurzer Wahlzyklen sowie der Komplexität langfristiger politischer Maßnahmen und der Unsicherheit über zukünftige Entwicklungen primär auf kurzfristige Umsetzungsmöglichkeiten fixiert.

Aufgrund der drohenden katastrophalen Folgen für Mensch und Natur im Zuge der globalen Erderwärmung ist rasches und entschiedenes politisches Handeln jedoch zwingend notwendig. Dieses Spannungsfeld zwischen der Logik demokratischer Prozesse und der Dringlichkeit der ökologischen Wende bildet den Rahmen der Transformation.

Im Spannungsfeld von Freiheit und Verantwortung

Um diesen Spannungsbogen zwischen Demokratie und Klimapolitik auszuhalten und substanzielle Abstriche bei der Qualität des demokratischen Verfahrens zu verhindern, ist nicht nur eine gute Kommunikation auf der Basis nachvollziehbarer Ziele und Prozesse vonnöten, sondern auch bessere und früh einsetzende Sensibilisierungs- und Beteiligungsformate. Außerdem: Der Blick auf die Feinde der Demokratie allein ist unzureichend, ebenso wichtig ist der Blick auf das kooperative Potenzial unseres Systems. Um dieses Potenzial zu bewahren, ist in unserem eher langsamen, aber durchaus verlässlichen politischen System auch mehr Flexibilität notwendig.

Wenn es um die Frage der Instrumente geht, befinden wir uns im Spannungsfeld von Freiheit und Verantwortung. Wie weit dürfen oder müssen Unternehmen, Haushalte und Individuen zu Verhaltensveränderungen angehalten werden? Dies betrifft vor allem die Bereiche Energieverbrauch, Mobilität und Ernährung. Bislang hat Politik versucht, den Bürgerinnen und Bürgern möglichst wenig zuzumuten.

Offensichtlich ist, dass eine moralisierende Kommunikation nicht unbedingt einladend auf diejenigen wirkt, die gute Gründe für ihr Verhalten haben. Ob rational begründete Anreize Verhaltensänderungen bewirken können, hängt von deren Überzeugungskraft und von den angebotenen Ressourcen ab, aber auch von der Anerkennung und dem Respekt vor anderen Lebenslagen. Das bedeutet auch, dass man mehrere Optionen als Instrumente und Wege akzeptiert und anbietet.

Mehr technische Lösungen ergeben nicht automatisch weniger politische Legitimationsprobleme.

Diejenigen, die den Weg der Verhaltensänderung als politisch gefährlich erachten, suchen meist viel stärker nach technologischen Lösungen. Häufig sind sie dabei getragen von der Hoffnung, so schneller, nachhaltiger, flächendeckender und mit weniger politischen Legtimationsproblemen ans Ziel zu kommen. Tatsächlich sind gute und neue Technologien wesentlich, um die Klimawende zu schaffen. Aber auch ihr Einsatz und ihre Wirkung hängen maßgeblich von den sozialen Gegebenheiten und ihrer Akzeptanz ab.

Freiheitseinschränkungen können dann legitim sein, wenn dadurch mehr Freiheit unter den veränderten klimapolitischen Bedingungen ermöglicht wird. Sind mit den Freiheitseinschränkungen besondere Belastungen verbunden, weil die Ergebnisse erst später, der nächsten Generation oder anderen Gruppen zugute kommen, muss eine kluge Politik angemessene soziale Kompensationen anbieten, um einen Ausgleich zwischen Verlierern und Gewinnern zu schaffen.

In den vergangenen drei Jahrzehnten wuchs die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen trotz wirtschaftlichen Wachstums. Diese ungleiche Entwicklung korreliert mit einem krassen Ungleichverhältnis in der Verantwortlichkeit für die ökologischen Krisen. Die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung verursachen 45 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen, während die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung für lediglich 13 Prozent verantwortlich ist.

»Unzureichende oder gar fehlende Sozialverträglichkeit kann eine ambitionierte Klimapolitik besonders angreifbar machen.«

Auch klimapolitische Maßnahmen wie beispielsweise die Bepreisung von CO2-Emissionen seit Anfang 2021 verstärken – so wie sie realisiert werden – bestehende soziale Ungleichheiten. Ökonomische Ungleichheiten können somit zu einer politischen Hürde für die sozialökologische Transformation werden. Deshalb kann die unzureichende oder gar fehlende Sozialverträglichkeit eine ambitionierte Klimapolitik besonders angreifbar für Gegenspieler und Bremserinnen der Transformation machen. Die Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft muss Hand in Hand gehen mit einer hohen Sensibilität für ungleiche Belastungspotenziale.

Ohne Konflikte, Rückschläge und Umwege sind Transformationsprozesse nicht denkbar und nicht erfolgreich zu bewältigen. Um die Schwierigkeiten der Transformationen klarer ins Blickfeld zu rücken, reichen allgemeine Zielvorstellungen und missionarische Grundorientierungen nicht aus. Es bedarf auch einer an mittelfristigen Eckpunkten angelehnten Strategiebildung, die die kollektiven Vetospieler und die gesellschaftlichen Vorbehalte ernst nimmt, ohne sich von ihnen leiten zu lassen.

Bessere Frühwarnsysteme und Planungskapazitäten

Dafür sind bessere Frühwarnsysteme und Planungskapazitäten in der Regierung notwendig, frühzeitige Aufklärungs- und Beteiligungsprozesse, aber auch breite gesellschaftliche Allianzen, um Kompromisse zu verhandeln und Lösungen in zentralen Politikfeldern auf allen politischen Ebenen zu finden und in die Tat umzusetzen.

Dass es Gegenwind, Widerstand, Kampagnen und vielfältige Formen der Obstruktion gegen Transformation gibt und weiterhin geben wird, sollte nicht bejammert, sondern einkalkuliert werden. Entsprechende Gegenaktivitäten müssen in kooperativer Weise durch die Ampel als Ganzes antizipiert und vorbereitet werden.

Entscheidend für das Gelingen der Transformation ist einerseits ein ehrlicher Umgang mit den Kosten und erwartbaren Problemen, andererseits sollten in der Auseinandersetzung mit vorhandenen Differenzen und Konflikten die Chancen für ein besseres Leben stärker herausgearbeitet werden.

In den anstehenden Veränderungsprozessen geht es darum, wer die Kosten der Transformation trägt, aber auch um Kommunikation und die Anerkennung existierender Lebenslagen. Dabei gilt: In einer älter werdenden Gesellschaft sind manche Konflikte anders beschaffen als in einer jüngeren Gesellschaft. In der ökologischen Transformation laufen sozioökonomische (– wer bekommt was unter welchen Bedingungen? –) wie auch soziokulturelle Konfliktlagen zusammen.

Ein Neustart ist möglich

Die Stärke der Ampel könnte darin liegen, dass sie als milieuübergreifende Koalition die konkurrierenden gesellschaftlichen Interessen abbildet und in einen Ausgleich bringt. Aber bitte nicht so kleinkariert und irritierend wie beim Heizungsgesetz! Was wir brauchen, sind offene Debatten und Verabredungen im Vorfeld und verlässliche Entscheidungsprozesse in der Regierung.

Interessenkonflikte anerkennen, die Chancen ins Zentrum rücken und die Unentschlossenen gewinnen.

Die Ampel kann zu einer Fortschrittskoalition werden, wenn sie mit Demut an die große Aufgabe der Transformation herangeht, die vorhandenen Interessenkonflikte anerkennt, ohne vor ihnen zu kapitulieren, und wenn sie die Chancen der Transformation ins Zentrum rückt, ohne die Schwierigkeiten und Zumutungen zu verschweigen.

Wir müssen die Unentschlossenen gewinnen. Gegenwärtig ist die Ampel noch eine Anti-CDU-Regierung, die ihren Fortschrittsanspruch noch nicht eingelöst hat. Es darf nicht so weiter gehen wie in der Ära Merkel.

Ein Neustart ist sinnvoll und möglich. Transformationen sind ohne Konflikte nicht denkbar. Aber unnötiger Streit ist kontraproduktiv. Dafür muss die Einbindung der kooperativen Kräfte in der Gesellschaft verbessert werden. Die Unentschlossenen müssen als aktive Mitspieler gewonnen werden. Es geht um mehr Beteiligung!

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