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Warum Trumps America-First-Nationalismus erfolgreich werden konnte Polarisierung und Demagogie

Am 5. November 2024 haben 50 Prozent der amerikanischen Wähler Donald Trump ein zweites Mal zum Präsidenten gewählt. Mit rund 2,5 Millionen Stimmen Vorsprung vor Vizepräsidentin Kamala Harris errang er zwar keinen Erdrutschsieg, doch ist unbestreitbar, dass eine knappe Mehrheit der Wähler den ehemaligen Präsidenten zurückhaben will, obwohl selbst viele Konservative warnten, der Ex-Präsident stelle eine Gefahr für die Demokratie und die natio­nale Sicherheit der USA dar. Bei der Interpretation des Wahlergebnisses dominiert das bekannte Paradigma »It’s the economy, stupid!«, demzufolge die Amerikaner die Biden-Harris-Administration für die hohe Inflation abgestraft und Trump vor allem deshalb wiedergewählt haben, weil sie ihm die größere Wirtschaftskompetenz zutrauen.

Wie bereits 2016 kam Trumps Wirtschaftsnationalismus bei den Wählern gut an. Zölle sollen die US-Wirtschaft vor »unfairer« Konkurrenz schützen und Unternehmen zwingen, wieder in Amerika zu produzieren. Die Deportation illegaler Einwanderer soll Lohndumping unterbinden. Ökonomische Unzufriedenheit und simple protektionistische Botschaften erklären Trumps Wahlerfolg jedoch nur zum Teil. Dass der Ex-Präsident in fast allen Bundesstaaten Zuwächse erzielte, alle Swing States gewann und ihm massive Einbrüche in demokratische Hochburgen und Wählergruppen gelangen, gibt Anlass, darüber nachzudenken, welche Bedeutung der America-First-Nationalismus für Trumps politischen Siegeszug hat und welche Folgen sich daraus für die Zukunft ergeben könnten.

In der klassischen Nationalismusforschung galten die USA als Modell eines als civic nationalism bezeichneten Staatsbürger-Nationalismus, der, im Unterschied zum Ethnonationalismus, die Zugehörigkeit zur Nation nicht über gemeinsame Abstammung und Kultur, sondern über das Bekenntnis zu gemeinsamen Werten definiert. In den USA waren dies traditionell die Freiheits- und Gleichheitsideale der Unabhängigkeitserklärung, der Republikanismus der Verfassung, die Demokratie und das als American Dream bekannte Versprechen auf Aufstieg durch individuelle Leistung. Amerikas Zivilreligion war zwar christlich-protestantisch grundiert, doch konnten sich auch die europäischen Einwanderer mit ihr identifizieren, die keinen angloprotestantischen Hintergrund hatten.

Allerdings blendete das weichgezeichnete Selbstbild von Amerika als Staatsbürgernation sowohl die starke nativistische Tradition als auch den institutionellen Rassismus aus, der Afroamerikaner bis zu den Bürgerrechtsreformen der 60er Jahre zu Bürgern zweiter Klasse degradierte. Auch Liberale sahen die USA als eine weiße, euroamerikanisch geprägte Nation mit einem »Rassenproblem«, das durch die Integration der afroamerikanischen Minderheit in die Mehrheitsgesellschaft gelöst werden sollte.

»Die Bürgerrechtsbewegung und die Masseneinwanderung stellten die Hegemonie der weißen Mehrheit infrage.«

Doch führten die Bürgerrechtsrevolution und die nach dem Immigration Reform Act von 1965 einsetzende Masseneinwanderung aus Lateinamerika und Asien dazu, dass die Hegemonie der weißen Mehrheit zunehmend infrage gestellt wurde. Seit den 80er Jahren propagierten vor allem Linke und Progressive den Multikulturalismus. Die USA sollten zu einer neuen Nation werden, in der alle Ethnien und Kulturen gleichberechtigt unter dem Dach liberaler Grundwerte koexistieren würden. Bald meldeten sich allerdings kritische Stimmen zu Wort, die bezweifelten, ob der Multikulturalismus ein taugliches Modell der nationalen Integration sei oder ob er nicht im Gegenteil der Fragmentierung der Gesellschaft und der Delegitimierung des Nationalstaates Vorschub leiste. Intellektuelle wie Michael Lind oder Arthur M. Schlesinger jr. forderten eine Rückbesinnung auf den civic nationalism, der sich klar vom Ethnonationalismus abgrenzt, aber von allen Amerikanern, unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft, ein patriotisches Bekenntnis zur Nation und ihren liberalen und demokratischen Traditionen verlangt.

Die Hoffnung auf einen erneuerten Staatsbürger-Nationalismus erfüllte sich indessen nicht. Stattdessen hat die Revolte gegen die Globalisierung, die seit Beginn des 21. Jahrhunderts die westlichen Demokratien erschüttert, eine Renaissance des Ethnonationalismus ausgelöst. Die auf nationale Zugehörigkeit und ethnokulturelle Gemeinschaft abgestellten Botschaften des Rechtspopulismus waren fast durchweg erfolgreicher als linke Appelle an interethnische und internationale Solidarität. In Westeuropa und in den USA kam es zu einer mas­siven Abwanderung der alten Arbeiterklasse ins rechtspopulistische Lager. Bei den Präsidentschaftswahlen 2016 stimmten mehr als 70 Prozent aller Männer und über 60 Prozent aller Frauen aus der white working class für Donald Trump. Traditionelle New-Deal-Demokraten klagten seit langem, dass sich ihre Partei den wirtschaftlichen Nöten und kulturellen Werten der einfachen Leute entfremdet habe und zur Partei der gebildeten und gutverdienenden liberalen Eliten geworden sei.

Mit seiner Make-America-Great-Again-Bewegung (MAGA) stieß Donald Trump in diese Repräsentationslücke. Obwohl kein Ideologe im engeren Sinn, knüpfte Trump mit seinem America-First-Nationalismus an die nativistischen, protektionistischen und isolationistischen Traditionen der US-Geschichte an. Er sieht Amerika von Immigranten überflutet und von parasitären Verbündeten ausgenutzt, weil globalistische Eliten das Land verraten hätten. Das betrogene Volk soll wieder die Kontrolle über den Staat, die Wirtschaft und die Grenzen gewinnen, und Donald Trump ist sein Retter und Rächer, der den Washingtoner Sumpf trockenlegt, Amerika gegen illegale Einwanderer abschottet, unfaire Handelsabkommen kündigt, unsinnige Umweltauflagen abschafft und Indus­triearbeitsplätze heimholt.

Keine dieser Botschaften war neu oder originell, doch profitierte Trump von der sich fortwährend verschärfenden Polarisierung der US-Politik. Dieser liegt ein seit Jahrzehnten schwelender, fundamentaler Konflikt über die nationale Identität der USA zugrunde, in dem es darum geht, welche Wertvorstellungen, sozialen Klassen und ethnische Gruppen das Land prägen sollen. Zu den wichtigsten Triebkräften der Polarisierung gehört die demografische Transformation der US-Gesellschaft. Noch 1960 betrug der Anteil der Weißen an der Gesamtbevölkerung fast 90 Prozent, inzwischen liegt er unter 60 Prozent, und um das Jahr 2045 werden Euroamerikaner nur noch eine relative Bevölkerungsmehrheit stellen. Dass diese Entwicklung bei der schrumpfenden weißen Mehrheit Abwehrreaktionen ausgelöst hat, kann nicht überraschen. Masseneinwanderung, Demografie und kulturelle Überfremdungsängste, in Verbindung mit der Furcht vor einem ökonomischen Abstieg, gelten vielen Sozialwissenschaftlern als die wichtigsten Gründe für den Aufstieg des Rechtspopulismus in der ganzen westlichen Welt.

»Die MAGA-Bewegung auf den verstockten Rassismus der weißen Unter- und Mittelschichten zu reduzieren, war politisch kurzsichtig.«

Auch die Trump-Bewegung wurde zunächst mit guten Gründen als Bewegung des weißen Nationalismus gesehen. Make America Great Again!, lautete eine vielgehörte These, bedeute in Wirklichkeit: Make America White Again! In der Tat zeigte Trump keine Berührungsängste gegenüber rechtsextremen und rassistischen Gruppierungen und entfachte eine überwunden geglaubte Hetze gegen ethnische Minderheiten. Doch die MAGA-Bewegung auf den verstockten Rassismus der weißen Unter- und Mittelschichten zu reduzieren, war irreführend und politisch kurzsichtig. Schon bei den Wahlen 2020 zeichnete sich das scheinbar paradoxe Phänomen ab, dass Trump auch bei Afroamerikanern und Hispanics Boden gut machte, obwohl er gerade letztere bevorzugt mit Hassti­raden überzog.

Bei der Wahl am 5. November 2024 verstärkte sich dieser Trend weiter. Trump erhielt über 40 Prozent der hispanischen und immerhin gut 15 Prozent der afroamerikanischen Stimmen, bei den Männern dieser beiden Gruppen sogar deutlich mehr, nämlich 47 Prozent beziehungsweise 24 Prozent. Nach der weißen Arbeiterklasse, bei der Trump ebenfalls weiter zulegen konnte, kehrt nun offenbar auch die non-white working class der Demokratischen Partei den Rücken. Barack Obamas Vorsprung bei nichtweißen Arbeitern von 2012 hat sich bis 2024 halbiert, obwohl mit Kamala Harris ebenfalls eine nichtweiße Kandidatin zur Wahl stand.

Dass Trumps America-First-Nationalismus, vor allem sein Protektionismus und Neoisolationismus, auch bei ethnischen Minderheiten Resonanz findet, ist bei näherem Hinsehen jedoch gar nicht so überraschend. Zum einen gilt auch für diese Gruppen: »It’s the economy, stupid!« Zum anderen sind ethnische Minderheiten in sozialmoralischen Fragen wie Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehe und Transgenderrechten eher traditionalistisch eingestellt. Zudem sieht die nichtweiße Arbeiterklasse illegale Einwanderung genauso als Bedrohung wie die weiße.

Mit Blick auf die Zukunft der US-Politik werfen diese Tendenzen eine interessante Frage auf: Zeichnet sich mit der Wahl 2024 die Geburt einer »Trump-Koalition« ab, die sich, ähnlich wie die New-Deal-Koalition der Demokraten Mitte des 20. Jahrhunderts, auf die gemeinsamen ökonomischen Interessen der »kleinen Leute« gründet und die Republikanische Partei zur strukturellen Mehrheitspartei machen könnte? Dann hätten Demokraten und Republikaner, wie schon öfter in der amerikanischen Geschichte, die Rollen getauscht.

»Vielleicht ist ein ›farbenblinder‹ America-First-Nationalismusdie Alternative.«

Eine solche Entwicklung würde außerdem einige Gewissheiten der Sozialwissenschaften erschüttern. Diese gingen bisher ganz überwiegend davon aus, dass die Aushandlung eines neuen nationalen Konsenses für die multiethnische Gesellschaft vor allem von der bisherigen weißen Mehrheit die Bereitschaft verlangt, ihren Hegemonieverlust zu akzeptieren – ihre »weißen Privilegien« aufzugeben, wie es im Jargon linker Identitätspolitik heißt. Doch vielleicht ist ein »farbenblinder« America-First-Nationalismusdie Alternative. Historiker sollte dies nicht überraschen, ist der Nationalismus doch die wohl erfolgreichste Integrationsideologie der Moderne. Dass es sich dabei um eine Variante des wertebasierten civic nationalism handelt, steht freilich nicht zu erwarten.

Vorerst müssen solche Überlegungen Spekulation bleiben. Es bleibt die Herausforderung, vor der nicht nur die USA stehen: Wie sind nationale Integration und Demokratie in einer multiethnischen Gesellschaft möglich? Die Segnungen der Diversität zu beschwören löst inzwischen überwiegend Abwehrreflexe aus. Die Aushandlung einer neuen nationalen Identität erfordert nicht nur die Anerkennung der neuen multiethnischen Realität, sondern auch der ethnokulturellen Identitäten und subjektiven Verlusterfahrungen der bisherigen Mehrheitsgesellschaft. Doch weder in den USA noch in Europa zeichnet sich bislang ein solcher Konsens ab. Darauf, dass Donald Trump dazu einen konstruktiven Beitrag leisten und die Spaltung der Nation heilen wird, wie er es nach seinem Wahlsieg versprach, sollte niemand hoffen. Auch in den kommenden Jahren werden Polarisierung und Demagogie sein politisches Lebenselixier bleiben.

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