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2tägige Klausurtagung im März 2023

Welche Lehren müssen aus dem Ende der Ampel gezogen werden? Progressiver Versuch

Angesichts dieser Regression müssen progressive Kräfte Allianzen bilden, um das bisher Erreichte abzusichern und neue Reformprozesse zu ermöglichen. In diesem Sinne kann man die Ampel als einen progressiven Versuch begreifen, um in Zusammenarbeit mit einer neoliberal verengten FDP, den Stillstand der großen Koalition zu überwinden und gesellschaftliche und ökologische Reformprozesse voranzutreiben. Dieser Versuch ist in vielfacher Hinsicht gescheitert. Das Ampelexperiment hat auch gezeigt, dass eine Regierung ohne die Union nicht unbedingt zum Fortschritt führt.

»Progressive Kräfte müssen Allianzen bilden, um das Erreichte abzusichern und neue Reformprozesse zu ermöglichen.«

Das Ende der Ampel war überfällig. Trotzdem gab es 2021 die berechtigte Hoffnung, dass diese Regierung die Weichen für einen belastbaren, ökologischen Transformationsprozess stellt und eine progressive Politik voranbringt. In diesem Sinne konnte man den Koalitionsvertrag auch lesen. Jedoch zeigt sich, dass ein ambitionierter Koalitionsvertrag noch keine hinreichende Bedingung dafür ist, die Handlungsfähigkeit einer Regierung zu sichern und progressive Politik zu orientieren.

»Selbst starke exogene Schocks wurden seitens der Ampel nicht genutzt, um ihre Regierungspolitik neu zu justieren.«

Drei Jahre Ampel haben auch gezeigt, dass im Blick auf disparate Koalitionsregierungen darüber nachgedacht werden muss, wie sie besser und produktiver auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren können. Selbst starke exogene Schocks, wie der Ukraine-Krieg oder das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 15. November 2023 wurden seitens der Ampel nicht genutzt, um ihre Regierungspolitik neu zu justieren. Einerseits müssen Prozesse der Vertrauensbildung permanent stattfinden; andererseits müssen außerordentliche Ereignisse auch zu neuen Antworten und sichtbaren Prioritätenverschiebungen führen.

Der Bruch der Ampel lenkt auch den Blick auf das Koalitionsmanagement der Bundesregierung, welchem gegenwärtig vor allem zwei Instrumente zur Verfügung stehen. Erstens: der Koalitionsausschuss. Zweitens: die Meseberger Treffen. Diese zwei Instrumente erscheinen in Anbetracht der Lage jedoch offensichtlich unzureichend. Es müssen also weitere Formate der Vertrauens- und Stabilitätspolitik in Koalitionsregierungen entwickelt werden. Diese müssen auch ermöglichen, die Basisprozesse in den Parteien stärker mitzunehmen. Denn am Ende sind nicht nur starke Persönlichkeiten entscheidend, die im Sinne gemeinsam verantworteter Handlungsfähigkeit wirken, sondern es sind auch die Parteien wichtig, die bereit sein müssen eine als richtig verfochtene Politik mitzutragen.

Herausforderungen

Die progressiven Kräfte in Deutschland befinden sich in der Defensive. Bis vor Kurzem war Deutschland in Europa noch in einer Sonderrolle, weil eine gesellschaftliche Mehrheit sich mit ihren Einstellungen links von der Mitte bewegte. Dieses ist Vergangenheit. Zu dieser Veränderung hat beigetragen, dass die Unsicherheiten größer werdender Teile der Gesellschaft zu wenig Ernst genommen wurden, der progressive Diskurs zu technokratisch war und die Kontextualität einer immer älter werdenden Gesellschaft sowie einer stärker medial vermittelten Gesellschaft als Rahmen unzureichend reflektiert wurden. Ersteres verlangt ein langsames Vorgehen; letzteres hingegen ein schnelleres. Auf beide Wahrnehmungen müssen seitens der Politik Antworten gegeben werden.

Faktoren, die die Rechtsverschiebung maßgeblich vorantreiben, sind unter anderem die unernsthafte Umgangsweise mit den Unsicherheiten in der Migrationsfrage. Unzureichend gewürdigt wurde, dass keiner der entwickelten Flächenstaaten in den letzten beiden Jahrzehnten so viele Menschen aufgenommen hat wie die Bundesrepublik. Seit 1990 sind rund etwa sechs Millionen Menschen nach Deutschland gekommen. Ende der 90er Jahre lagen die Prognosen der Bevölkerungsvorausberechnungen für die 2020er Jahre bei etwa 80 Millionen Einwohnenden; heute leben in Deutschland fast 85 Millionen Menschen. Gleichzeitig war dieses Land nicht in der Lage, die eigene Bevölkerung mitzunehmen und die dafür notwendige Infrastruktur im Bereich der Kinderbetreuung, Schulen, Krankenhäuser, Forschung und Mobilität innovativ zu erneuern. Letzteres beflügelt den gesellschaftlicher Niedergangsdiskurs. Dieser kam von den politischen Rändern, wurde und wird weiterhin jedoch auch in Teilen der Mitte rezipiert.

Hinzu kommt, dass die Kernsektoren der deutschen Industrie, allen voran die Automobilindustrie und die Chemieindustrie in schwieriges, zum Teil selbst verursachtes Fahrwasser geraten sind. Unzureichende Initiativen angesichts der Klimakatastrophe und der sich veränderten Weltmarktbedingungen haben für ökonomische Unsicherheiten gesorgt, welche dazu beitragen, Parteien zu wählen, die einfache Lösungen für akute Probleme anpreisen.

Sicherheit und Progressivität

Diesen defätistischen Niedergangsdiskurs und das sich verbreitende Gefühl der dauernden Unsicherheit müssen Progressive bekämpfen. Dazu müssen sie die dahinter stehenden Probleme und Ängste sehr ernst nehmen. Dafür ist es erstens notwendig, aus den Fehlern der Ampelregierung zu lernen und zweitens auch die krachende Niederlage der Demokraten in den Vereinigten Staaten zu verstehen.

Was sind die wirklichen Bedarfe der Mehrheitsbevölkerung und welche Errungenschaften unter schwieriger werdenden Bedingungen müssen verteidigt werden?

Wer glaubt, dass nunmehr eine ambitionierte Profilbildung allein durch ein maximal progressives Programm zu erreichen ist, der irrt. Notwendig ist vielmehr, dass man sich stärker darauf konzentriert, was die wirklichen Bedarfe der Mehrheitsbevölkerung sind und welche Errungenschaften unter den schwieriger werdenden Bedingungen verteidigt werden müssen. Beides ist die Voraussetzung dafür, um weiterhin progressive Ziele in der Gesellschafts-, Sozial- und Wirtschaftspolitik im Sinne der sozialökologischen Transformation erfolgreich verfolgen zu können.

Weiterhin muss darauf geachtet werden, nicht in eine schwächende Personaldebatte hineinzugleiten. Vielmehr sollte man beherzigen, dass Parteien nicht alleine wegen ihrer Kandidaten gewählt werden, sondern auch weil sie als Partei gut aufgestellt sind, ein attraktives Programm haben und gemeinsam handeln können. Politik braucht eine stabile Parteibasis, auf die in Krisenzeiten Verlass ist.

Angesichts der Zunahme der inneren und äußeren Unsicherheit; nicht zuletzt durch Krieg und Migration, geht es darum, die gesellschaftlichen Prioritäten der Mehrheitsgesellschaft stärker denn je zu adressieren. Eine neue Politik der Sicherheit muss verbunden werden mit einer progressiven Agenda, die auf eine Stärkung der Infrastruktur für alle setzt. Dazu gehört, dass die mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten einhergehenden Herausforderungen für die sozialen Sicherheitssysteme sensibel angenommen werden. Die Felder der Arbeits-, Bildungs-, Gesundheits- und nicht zuletzt der Renten- und Sozialpolitik sind weiterhin zentrale Basis progressiver Politik. In diesem Sinne muss die progressive Agenda des neuen Sicherheitsversprechens eingebunden sein in die Trias von ökonomischer Innovation, ökologischer Transformation und sozialer Gerechtigkeit.

Dem nihilistischen Niedergangsdiskurs muss ein positiver Zukunftsdiskurs gegenübergestellt werden, dessen Glaubwürdigkeit mit einer echten Investitionsfähigkeit in die eigene Infrastruktur einhergeht. In diesem Sinne ist die konstruktive Reform der Schuldenbremse zentral, um die neue notwendige Machtbasis aufzubauen.

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