Ezra Pound starb am 1. November 1972, zwei Tage nach seinem 87. Geburtstag, in einem Krankenhaus in Venedig. Ich war damals ein junger Redakteur in der politischen Abteilung des NDR. Mit Pounds Werk oberflächlich vertraut, hielt ich es für geboten, in der renommierten Sendereihe Echo des Tages einen Nachruf zu bringen und bot mich selbst als Autor an.
Der verantwortliche Redakteur lehnte ab: Pound, erklärte er, habe zu sehr »mit den Faschisten gekungelt« (den Klang des Wortes »gekungelt« habe ich noch im Ohr). Er sei aber doch ein großer Dichter, insistierte ich, und gerade seine politischen Verirrungen machten ihn besonders interessant. Der Redakteur beharrte jedoch auf seiner Meinung, und so blieb mein Nachruf ungeschrieben. Erst 50 Jahre später kann ich ihn in Form dieses Gedenkblattes nachholen.
Die große Debatte über Pounds Rang als Dichter und über die Frage, ob er als Neuerer oder Reaktionär, als Weiser oder als Narr der modernen Literatur zu betrachten sei, war in dieser langen Zeit nie völlig verstummt, und heute ist sie vielleicht noch schwieriger zu beantworten als zur Zeit seines Todes. Der zeitliche Abstand, der das Urteil in der Regel mäßigt, macht uns zugleich empfindlicher gegenüber rechter Ideologie und Antisemitismus, und dass Pound ein Antisemit und Lobredner des italienischen Faschistenführers Mussolini war, steht außer Frage.
Was seinen Fall so besonders macht, ist der Umstand, dass er der einzige unter den literarischen Neuerern war, der einzige wichtige Repräsentant der literarischen Moderne, der sich auf die Seite der Faschisten stellte. Ohne Pound ist die Erneuerung der modernen Poesie, besonders der englischen und amerikanischen Dichtung am Anfang des 20. Jahrhunderts undenkbar. T.S. Eliot nannte ihn 1922 in der Widmung seines berühmten Waste Land, dem Pound erst seine definitive Form gegeben hatte, den »miglior fabbro«, den »besseren Dichter«, und verleugnete niemals, wieviel er dem drei Jahre älteren amerikanischen Kollegen zu verdanken hatte.
Dabei waren die Voraussetzungen, eine solche literarische Pionierrolle zu spielen, für Pound nicht eben günstig. Geboren 1885 in Hailey, Idaho, einer Siedlung im Nordwesten Amerikas, wo es zwar 47 Saloons gab, aber keine Bibliothek. Die Familie zog einige Jahre später nach Philadelphia, wo der Vater bei der staatlichen Münze tätig war (die Goldwaage im eigenen Glashaus gehört zu Pounds frühesten Erinnerungen), aber er war und blieb ein Außenseiter in einer materiell bestimmten Umwelt.
Mit 15 Jahren schrieb er sich an der Universität von Pennsylvania ein, studierte die englischen, lateinischen und speziell die provenzalischen Dichter, früh entschlossen, »mit dreißig mehr über Dichtung zu wissen als jeder andere lebende Mensch«. Schon damals keimte in ihm die Idee zu einem »magnum opus«, einem Epos, »in dem die ganze Geschichte eingeschlossen sein sollte«. In seinem Hauptwerk, den Cantos, hat er dieses Epos im Lauf des folgenden Halbjahrhunderts unermüdlich ausgeführt.
Äußerlich der Typ eines Menschen aus dem Quartier Latin, mit zotteligem roten Bart und wirrem Haarschopf, flüchtete er sich mit 23 nach Europa und veröffentlichte in Venedig seinen ersten Gedichtband: A Lume Spento. Er trug ihm die Bewunderung des großen William Butler Yeats ein und riss einen hellsichtigen Kritiker zu den Worten hin: »Wildes, spukhaftes Zeug, absolut poetisch, originell, imaginativ, leidenschaftlich und voller Seele. Wem es nicht verrückt vorkommt, der kann es durchaus genial finden.«
Frühes Werk und Wirken
Das folgende Jahrzehnt verbrachte Pound in London, wo er als Übersetzer, Herausgeber von Zeitschriften, bekennender Avantgardist und Gründer von literarischen Schulen (»Imagismus«, »Vortizismus«) viel Staub aufwirbelte, stets mehr um den Erfolg anderer als um den eigenen Erfolg bemüht. Er besaß einen untrüglichen Sinn für literarische Qualität. Ernest Hemingway, selten freigebig mit Lob für Kollegen, hat Pound mit den Worten gerühmt, dass dieser nur ein Fünftel seiner Zeit dem eigenen Schreiben widme, den Rest aber damit verbringe, seine Freunde – zu ihnen gehörten James Joyce, T.S. Eliot, E. E. Cummings, Hemingway selbst, aber auch Bildhauer wie Henri Gaudier-Brzeska – künsterisch und finanziell zu fördern:
»Er verteidigt sie, wenn sie angegriffen werden, er sorgt dafür, daß sie in die Zeitschriften hinein und aus dem Gefängnis heraus kommen. Er borgt ihnen Geld. Er verkauft ihre Bilder. Er arrangiert Konzerte für sie. Er macht sie mit reichen Frauen bekannt. Er bringt Verleger dazu, ihre Bücher zu veröffentlichen. Er verbringt ganze Nächte bei ihnen, wenn sie angeblich im Sterben liegen, und beglaubigt ihr Testament. Er schießt ihnen Krankenhauskosten vor und redet ihnen Selbstmordgedanken aus. Mit dem Resultat, daß einige wenige von ihnen ihm vielleicht nicht gleich bei der erstbesten Gelegenheit in den Rücken fallen.«
Gleichzeitig förderte Pound das Projekt seiner Cantos, einer work in progress, die ihn sein ganzes Leben begleitete, einer ständigen Metamorphose unterworfen. In dieser Dichtung greift er weit zurück in die Geschichte, die literarische wie die reale, benutzt Dichtung als Weltbeschreibung, wissensgetränkt, voller Anspielungen, Rückblicke, Visionen. Die großen Werke aus Antike und Mittelalter, Dantes Göttliche Komödie, Ovids Metamorphosen und die Epen Homers werden aufgegriffen, umgestaltet, in das eigene Werk integriert. Der erste Gesang des unvollendet gebliebenen Werkes beginnt mit den Versen (Übersetzung von Eva Hesse):
»Und gingen hinunter zum Schiff. Kiel gegen Brecher gestellt, Bugspriet aufs heilige Meer, Und wir holten Segel und Rah an, auf jenem schwarzen Schiff, Schleppten Schafe anbord, alsbald auch uns selber, Blindgeweint; und Fahrwind von achtern blies uns Voran auf die raume See mit bauchiger Blahe. Zirzes Zauberkraft das, der Göttin im Zopfschmuck.«
Das ist Homers Odyssee, fast wörtlich übernommen. Der Dichter sieht sich als zweiter Odysseus, der die Ozeane der Literatur und der Geschichte erkundet. Das ganze Gedicht ist durchwoben von solchen Bezügen auf die Klassiker, Pounds Klassiker, ein Verfahren, das er logopeia nannte. Er setzte offenbar voraus, dass seine Leser und Leserinnen fähig seien, die historischen und literarischen Bezüge zu entziffern und genau zu situieren.
Das stellte bereits zu seinen Lebzeiten eine Überforderung dar, umso mehr heute, da wir uns von der Kenntnis der klassischen Bestände weit entfernt haben. So setzen viele der 120 Cantos der Lektüre kaum überwindbare Schwierigkeiten entgegen und bleiben, wie selbst ein genauer Leser wie Michel Butor eingestand, teilweise unverständlich. Aber das gilt auch für andere Hauptwerke der Moderne wie Finnegans Wake (James Joyce) und Zettels Traum (Arno Schmidt).
Der Sündenfall
1924 zog Pound ins italienische Rapallo, wo Deutschland und die Sowjetunion gerade ein Zweckbündnis geschlossen hatten, dessen Echo bis heute nachhallt. Dort beschäftigte er sich immer mehr mit Wirtschaftsfragen, gemäß der Maxime: »Geschichte, die die Wirtschaft außer acht lässt, ist reiner Blödsinn.« Angeregt durch konfuzianische Lehren entwickelte er eine Geldtheorie, die das Hauptübel des Geldes in seiner Unverbrauchbarkeit sieht. Die Waren verlören mit der Zeit ihren Wert durch Gebrauch, nur dem Geld komme die verhängnisvolle Ausnahmestellung zu, indem es zwar in den Tausch, nicht aber in den Verbrauch eingehe.
Als politischer Mensch war Pound ein ethischer Anarchist, ganz ähnlich wie sein deutscher Zeitgenosse Gustav Landauer. Er rebellierte gegen eine Wirtschaftsform, deren Energien grundsätzlich auf die Vermehrung des Geldes ausgerichtet sind, in ebenso produktiver wie zerstörerischer Form. Bestätigung fand er in der großen Finanzkatastrophe von 1929, die eine jahrelange Depression mit massenhafter Arbeitslosigkeit auslöste. In Mussolini, dem faschistischen Duce, sah er einen Politiker, der einer Balance von Ordnung und Freiheit, wie sie ihm vorschwebte, näherstand als das zeitgenössische Amerika, das sich von den Idealen der Gründerväter nach seiner Ansicht weit entfernt hatte.
1933, im selben Jahr, in dem er die ersten 30 seiner Cantos publizierte, kam in London sein ABC of Economics heraus, gegen den Wucher (»Usura«) gerichtet, der für ihn gleichbedeutend war mit der inneren Logik des Kapitalismus: »Im Wucher geschieht etwas, das widernatürlich ist, etwas, das sich nicht fortpflanzen, das nicht wachsen kann, etwas Totes, das Geld, wächst und gedeiht angeblich. Und das zerstört alle zwischenmenschlichen Beziehungen und alle staatlichen Ordnungen.« Im 45. Gesang der Cantos gab Pound diesem Gedanken auch eine poetische Form:
… bei Usura, der Sünde wider die Natur, »bleibt dir dein Brot fad alleweg wie Hadern bleibt dir dein Brot trocken Papier, kein Weizen vom Bergacker, kein kernig Mehl, bei Usura wird breit der Pinselstrich bei Usura verlaufen sich die Ränder und keiner hat Baugrund für seine Hausung.«
In den Juden sah Pound die Erfinder der auf Wucher begründeten Geldwirtschaft. Sein Antisemitismus, der mit der Zeit immer schriller wurde und sich immer lauter entlud, war im Grunde der wahnhafte Seitentrieb seiner Geldphilosophie, insofern abstrakter Natur, wie Erich Fried angemerkt hat: Pounds offenes Bekenntnis zum Faschismus erklärte er durch sein Draufgängertum und seine geringe Rücksicht auf gute Manieren und gesellschaftliche Konventionen, wie er sie auch in seinem Privatleben an den Tag legte.
Geld war für Pound auch das schlechthin Kunstfeindliche: »Nothing written for pay is worth printing. Only what has been written against the market«, schrieb er. Und weiter: »The artist is always beginning. Any work of art which is not a beginning, an invention, a discovery is of little worth.« Pounds Wahrheiten sind von schmerzhafter Radikalität. Aber rechtfertigt das oder erklärt das auch nur die verbalen Exzesse, zu denen er sich seit Beginn des Zweiten Weltkrieges in seinen Vorträgen im italienischen Rundfunk hinreißen ließ? Am 30. April 1942 war da etwa zu hören: »Beginnt keine Pogrome. Das ist der alte Stil, die Juden zu töten. Das System ist nicht gut, wie auch immer. Natürlich, wenn ein Mann einen genialen Einfall hätte und ein Pogrom ganz oben starten würde. Ich wiederhole (…) wenn jemand mit einem Geniestreich ein Pogrom ganz oben starten würde: dafür gäbe es Argumente.«
Es war in gewisser Weise konsequent, dass der siegreiche Gott des Geldes einen solchen Menschen mit harten Strafen belegte. Pound wurde in den USA auf die Liste der Kriegsverbrecher gesetzt, man begann, seine Gedichte aus den Anthologien zu entfernen, und, nachdem er im April 1945 den amerikanischen Militärbehörden übergeben worden war, sperrte man ihn in Pisa wochenlang in einem Käfig unter freiem Himmel ein, als wolle man demonstrieren, dass der mittelalterliche Pranger auch im 20. Jahrhundert noch seine Wirksamkeit erweist. In diesem Käfig dichtete Pound die »Pisaner Gesänge«, das Herzstück seiner Cantos, darin das Lamento:
»Laß ab von Eitelkeit, nicht schuf der Mensch Den Mut, schuf Ordnung oder Schönheit, Laß ab von Eitelkeit, sag ich, laß ab. Lerne von grüner Welt erkennen wo dein wahres Maß An Erfindungskraft oder rechtem Können, Laß ab von Eitelkeit, Paquin, laß ab! Der grüne Grashalm hat dich ausgestochen.«
Die letzten Jahre
Einige Monate später, am Vorabend seines Hochverratsprozesses, wurde Pound für geistesgestört erklärt. Darauf verbrachte er die nächsten zwölf Jahre im St. Elizabeth Hospital für kriminelle Geisteskranke im Bezirk Columbia. Die Bemühungen um seine Freilassung rissen niemals ab. Künstler wie Igor Strawinsky, Benjamin Britten, Jean Cocteau, Robert Frost und Ernest Hemingway beteiligten sich daran. Hemingway erklärte, als er 1954 den Nobelpreis erhielt, eigentlich habe Pound diesen Preis verdient, aber er wiederholte damit lediglich Worte von T.S. Eliot sechs Jahre zuvor. Im April 1958 war es schließlich so weit: Obwohl »unheilbar geisteskrank«, durfte Pound das Hospital verlassen, nachdem ein Gericht ihn für harmlos genug erklärt hatte, um freigelassen zu werden. Trotzig erklärte er daraufhin, dass jeder, der in Amerika leben zu können glaubt, geisteskrank sei.
Er ging wieder nach Europa, wo er die letzten 14 Jahre seines Lebens verbrachte, wechselnd zwischen Venedig und der Brunnenburg bei Meran. Seine poetische Produktivkraft hatte nachgelassen, es gelang ihm nicht mehr, seinen Cantos nach dem Vorbild Dantes einen abschließenden Paradiesteil hinzuzufügen. In einem Interview mit der Zeitschrift Time erklärte er: »Ich bin nicht ins Schweigen eingetreten. Das Schweigen hat mich gefangengenommen.« Seine Selbstkritik, gesteigert zuletzt zur Selbstverurteilung als bloß bescheidenes Talent und mittelmäßiger Autor, wurde mit der Zeit immer vehementer. Wie ernst war es gemeint? Resignierend klingen die späten Verse: »Ich versuchte ein Paradiso zu schreiben / Rühre dich nicht / Lass den Wind reden / so ist es das Paradies«.
Ohne Zweifel gehört Ezra Pound zu den Autoren, die sich aus der Literatur des 20. Jahrhunderts nicht wegdenken lassen. Und seine Cantos sind ein Monument für die literarische Ewigkeit. Als der Dichter 1945 als »Kollaborateur« in Italien verhaftet wurde, schrieb Bertolt Brecht in sein Tagebuch: »Etwas von feudaler Würde hängt um diese George, Kipling, d’Annunzio, Pound. Immerhin historische Figuren, nicht gerade auf den Märkten zu finden, eher in den Tempeln – am Rande der Märkte.«
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