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'Der arme Poet' von Carl Spitzweg (1808 - 1885) © picture alliance / akg-images | akg-images

Warum die Umsätze des Literaturbetriebs wachsen und Autoren trotzdem Stapler fahren Schreiben zwischen Kulturindustrie und Kunst

»Immer wieder wird man, in Interviews und Erhebungen, danach gefragt, was für ein Hobby man habe. (…) Ich erschrecke über die Frage, wenn sie auch mir widerfährt. Ich habe kein Hobby. Nicht dass ich ein Arbeitstier wäre, was nichts anderes mit sich anzufangen wüsste, als sich anzustrengen und zu tun, was es tun muss. Aber mit dem, womit ich mich außerhalb meines offiziellen Berufs abgebe, ist es mir, ohne alle Ausnahme, so ernst, dass mich die Vorstellung, es handele sich um Hobbies, also um Beschäftigungen, in die ich mich sinnlos vernarrt habe, nur um Zeit totzuschlagen, schockierte.« So Theodor W. Adorno, der am 25. Mai 1969 im Deutschlandfunk über Freizeit sprach.

Von einem Leben, in dem Erwerbsarbeit und Neigung in eins fallen, in dem es keine unfreie als Gegensatz zur freien Zeit gäbe, träumt wohl mancher, und manch einer mag sich gerade das Schriftstellerdasein als solches vorstellen: Schreiben, wenn die Inspiration kommt, dann wieder Eindrücke sammeln, auf Lesungen vor in der Regel kultiviertem Publikum sitzen, in der anschließenden Signierstunde angestaunt werden.

Doch die Wirklichkeit sieht anders aus, wie zwei im Herbst vergangenen Jahres erschienene Bücher zeigen. Sie nehmen nun jenen Beruf unter die Lupe, der vielen zugleich Berufung bedeutet: Das Schreiben. So auch der Titel der Promotionsschrift der inzwischen in Basel forschenden Literatursoziologin Carolin Amlinger. Brotjobs & Literatur dagegen, von der Soziologin Iuditha Balint, der Lyrikerin Julia Dathe und den Autor/innen Kathrin Schadt und Christoph Wenzel herausgegeben, ist eine Sammlung von Essays.

Am Beginn von Brotjobs & Literatur stand ein Facebook-Post, den der Nettetaler Verleger und Autor Dinçer Gücyeter im Herbst 2020 veröffentlichte. Er zeigte ihn im Blaumann, gabelstaplerfahrend. Gücyeter berichtete im Post munter und aufgeräumt von seiner Nebentätigkeit in einer Speditionsfirma, mit der er Verlag und Familie über Wasser hält und die ihm den notwendigen finanziellen Rückhalt für seine verlegerische und schriftstellerische Tätigkeit gibt. Ein schärferer Kontrast als den zwischen Gücyeters offensivem Bekenntnis zu entfremdeter Arbeit, die ihm aber ermöglicht, seinen Neigungen nachzugehen, und Adornos bildungsbürgerlicher Saturiertheit lässt sich kaum denken.

Doch Gücyeters Post brachte erfreulicherweise den Stein zu dem Sammelband ins Rollen. Darin werden Fragen verhandelt wie die nach den Erwerbsbiografien von Autor/innen heute, den Bedingungen ihres Schreibens, die Wechselwirkungen von existenzsicherndem Broterwerb und literarischem Schreiben, der Selbsteinschätzung ihres Berufs und den Blick auf die Brotjobs, aber auch nach der Balance zwischen literarischer Arbeit und Care-Arbeit, Dienstleistungen und wissenschaftlichen Tätigkeiten im alltäglichen Zusammenhang. Gefragt wurde aber auch nach Utopien, wie dem Denken und Schreiben (mehr) Platz eingeräumt werden könnte.

Das waren die leitenden, sich während der Coronapandemie noch einmal verschärft stellenden Fragen für Brotjobs & Literatur. Die sehr differenzierten, sehr vielfältigen und auch der Form nach lesenswerten Antworten auf die an Autor/innen häufig gerichtete Frage: »Kann man davon leben?« brechen dabei mit dem Tabu, dass unter Künstler/innen über Geld nicht oder nur wenig gesprochen wird.

Dabei, so liest man im Vorwort, liegen die Paradoxien des Literaturbetriebs klar auf der Hand: Der Gesamtumsatz des deutschen Buchhandels betrug im Jahr 2020 rund 9,3 Milliarden Euro. Gegenüber dem Vorjahr war das – trotz Pandemie – immerhin eine kleine Steigerung um 0,1 Prozent, wobei die Kinder- und Jugendliteratur die stärksten Verkaufszahlen aufweisen konnte.

Warum Autor/innen dennoch ihre Existenz höchst selten allein mit dem literarischen Schreiben sichern können, liegt, so liest man im Vorwort, daran, dass sie in der Wertschöpfungskette an nachgeordneter Position stehen, dass sie in der Regel vom Verkaufsertrag ihrer Bücher nicht leben können, stattdessen reisen müssen, um bei Lesungen in Literaturhäusern und Festivals weitere Einkünfte zu erzielen.

Genau darin liegt aber für Schreibende, die sich um Kinder oder ältere Menschen kümmern müssen, ein gravierendes Problem, das auch die Schreibarbeit negativ beeinflusst. So haben sich die Herausgeber/innen bewusst für das kaufmännische »&«, das dem Geschäft (mit) der Literatur innewohnt, entschieden: Herstellung, Vertrieb, Schreiben, Verkaufen, Kaufen, Sich-Verkaufen, Verausgaben, Sich-Verausgaben.

Die 19 im Band versammelten Beiträge liefern dann ein breites Spektrum an Lebensentwürfen: Während manch einer, wie Gücyeter oder die Lyriker Ulrich Koch oder Thorsten Krämer keine Schwierigkeiten oder sich damit abgefunden haben, Brotjob und Schreiben auszubalancieren, sind andere, etwa die Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbsteilnehmerin und Kelag-Preisträgerin Özlem Özgül Dündar oder die Lyrikerin, Übersetzerin und Verlegerin Daniela Seel mit ihren spezifischen Spagaten aus nachvollziehbaren Gründen deutlich unzufrieden.

Man findet im Band eindrucksvolle Protokolle emanzipatorischer Positionen, wie das der Düsseldorfer Lyrikerin und Malerin Johanna Hansen, die durch die Entscheidung, sich der kreativen Arbeit zu widmen, ihre chronischen Krankheitszustände beherrschbar machen konnte, oder das von Isabelle Lehn, die sich als Romanautorin selbstbewusst im Betrieb behaupten kann.

Insgesamt bietet der Band intime, nicht selten entzaubernde und durchgängig kurzweilige Einblicke in Autor/innenbiografien, und zudem auch produktive Vorschläge, mit denen der Vorstellung, kreative Schreib-Arbeit schaffe lediglich symbolisches Kapital, begegnet werden kann.

Im Widerspruch zu den Gesetzen des Marktes

Doch woher kommen Vorstellungen wie diese? Woher rührt das Bild vom aus sich selbst schöpfenden Autor? Wer Fragen wie diese auf nachgerade akribische Weise begründet finden möchte, lese die Studie Schreiben von Carolin Amlinger. Aus Amlingers fast 800 Seiten starker Analyse geht hervor, in welcher Weise die in der Renaissance begründete und in der Geniezeit des Sturm und Drangs befestigte Vorstellung vom Künstler als Genie und Schöpfer bis heute ein konsensfähiges Bild auch des Schriftstellers prägt, wie dieses genieästhetische Konzept im Widerspruch zu den Gesetzen des Marktes steht, und wie Literaturschaffende im Lauf der vergangenen Jahrzehnte damit umgegangen sind, welche Strategien erfolgversprechend für literarische und ökonomische Erfordernisse waren und heute sind und wie sich die Zukunft des Literaturbetriebs gestalten könnte.

Amlinger fächert zunächst die Geschichte des Buchhandels auf, der durch Buchdruck und Urheberrecht gleichermaßen spezifischen Bedingungen gehorcht. Sie untersucht danach den gegenwärtigen Literaturbetrieb, der unter dem Zeichen der Digitalisierung und Globalisierung steht und analysiert abschließend die Widersprüche zwischen Ästhetik und Ökonomie im Konzept moderner Autorschaft.

Wer Brotjobs & Literatur bereits gelesen hat, wird wenig erstaunt sein von der Erkenntnis, zu der auch Amlinger auf der Grundlage ihrer empirischen und systematischen Arbeit gelangt: Die Kollision zwischen kreativer Selbstentfaltung und den Sachzwängen unter sich verschärfenden ökonomischen Konzentrationsphänomenen im Bereich des Literaturbetriebs und sich stetig verkürzenden Zyklen zwischen dem Schreiben, Verkaufen und Schreiben, einer zunehmenden Dynamisierung und Professionalisierung also, lässt sich nicht verleugnen, und die Einsicht, dass symbolisches Kapital eben nicht satt macht, ist infolge dieser Entwicklung keine allzu überraschende.

Wenn die Protokolle von Autor/innen, die Amlinger ihrem Band beigegeben hat, vergleichsweise weniger reflektiert und, gerade was die ökonomische Seite des Schriftstellerdaseins anlangt, verschämter ausfallen, als die in Brotjobs & Literatur sollte man sich nicht wundern. Anzunehmen ist, dass ein Interview, das eine Wissenschaftlerin mit einem Autor führt, von vornherein einen anderen Erwartungshorizont aufspannt, als ein zunächst vermeintlich unter sich verlaufender Austausch der Beiträger zur Anthologie, die sich darin, nicht zuletzt ermutigt durch Gücyeters Impuls, von der Scham, die häufig mit prekären wirtschaftlichen Lebensbedingungen verbunden ist, offenbar ein Stück weiter befreien konnten.

Auch konkrete Handlungsanleitungen und Utopien, wie sie in der Anthologie zu finden sind, wird man bei Amlinger selbstredend nicht finden. Ihre Studie ist kein Essayband, sie ist getragen von der Akribie, mit der sie die Veränderungen im Literaturbetrieb nachzuzeichnen und darzulegen weiß, von der breiten empirischen Basis, auf der ihre Beobachtungen fußen.

So ergänzen sich die beiden Bände eindrucksvoll, indem sie auch in stilistischer Weise, assoziativ und erzählerisch im Sammelband, analytisch in der Studie, noch einmal vorführen, wie sehr die Literatur letztlich an das Konzept ästhetischer Autonomie gebunden ist, wie sehr dieses wiederum zu schützen ist, wenn man sich wünscht, dass auch in Zukunft die Diversität des Literaturbetriebs, die kreative Kraft seiner Akteure erhalten bleibt.

Und sei es gerade, weil Literatur in unserer Gesellschaft immer auch ein Wirtschaftsfaktor ist, kulturindustrielle Faktoren sich im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung noch weiter verschärft haben.

Carolin Amlinger: Schreiben. Eine Soziologie literarischer Arbeit. Suhrkamp, Berlin 2021, 800 S., 32 €. – Iuditha Balint/Julia Dathe/Kathrin Schadt/Christoph Wenzel (Hg.): Brotjobs & Literatur. Verbrecher, Berlin 2021, 240 S., 19 €.

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