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Walter Scott – ein Gedenkblatt So vergeht der Ruhm der Welt

Walter Scott, der schottische Schriftsteller, war einmal der glänzendste Name der europäischen Literatur. Er wurde 1771, vor 250 Jahren, geboren und lebte bis 1832 in der Epoche der Romantik, selbst ein Romantiker von Neigung, doch maßvoll und mit klassischer Haltung. Er schrieb Balladen, die aus dem Legendenschatz des schottischen Volkes schöpften, und war der Begründer und erste Großmeister des historischen Romans, zu Lebzeiten der meistgelesene und einflussreichste Schriftsteller Europas. Goethe, der den Stern von Scott aufsteigen sah, hat ihn bewundert, und alle großen Schriftsteller der nächsten Generation, Honoré de Balzac in Frankreich, James Cooper in Amerika, Alexander Puschkin in Russland, Alessandro Manzoni in Italien, haben sich auf ihn bezogen.

Er stammte aus dem schottisch-englischen Grenzland, das in seinem literarischen Schaffen eine bedeutende Rolle spielt. 1792 ließ er sich, 21 Jahre alt, als Advokat in Edinburgh nieder, lernte Deutsch, übersetzte deutsche Balladen und Dramen (darunter Gottfried August Bürgers Lenore und Goethes Götz von Berlichingen), hatte aber stets die juristische Laufbahn und das Leben eines Landedelmannes vor Augen. In der Minstrelsy of the Scottish Border (1802/03) sammelte er englische und schottische Balladen aus dem Grenzland und ließ zwei Jahre später eigene romantisch-ritterliche Verserzählungen folgen, die großen Anklang und viele Nachahmer fanden. Als die Popularität dieser Werke, nicht zuletzt durch das Auftreten Lord Byrons, nachließ, wendete sich der von ständigen Geldsorgen bedrängte Scott dem Roman zu. Mit ungewöhnlicher Schnelligkeit und Leichtigkeit entstanden in nur anderthalb Jahrzehnten über 30 Romane, die Scotts größte Leistung bilden, darunter Waverley, eine Geschichte aus der Zeit der jakobitischen Aufstände, Das Herz von Midlothian, die Darstellung der Porteous-Unruhen im Edinburgh des 18. Jahrhunderts, Ivanhoe, ein auf genauem Quellenstudium beruhender historischer Roman aus dem Mittelalter, und Kenilworth, ein großes Panorama elisabethanischen Lebens.

Man hat Scott oft einen Mangel an psychologischer Vertiefung vorgeworfen, eine Romantisierung der Geschichte, eine Tendenz zum Happy End. Aber er brach zugleich mit der lehrhaften und moralisierenden Tendenz des Romans, wusste immer lebendig und anschaulich zu erzählen (was Goethe, wie sich in den Gesprächen mit Johann Peter Eckermann nachlesen lässt, nicht hoch genug zu rühmen wusste). Die späten Werke Scotts entstanden unter den Zwängen materieller Not, nachdem sein Verleger aufgrund geschäftlicher Unbedachtsamkeit Bankrott gemacht hatte. Zwei Jahre zuvor war Redgauntlet erschienen. Darin kehrte Scott zum Waverley-Thema, dem schottisch-englischen Gegensatz und den doppelten Loyalitäten, zurück. Dieser Roman enthält auch Wandering Willie’s Tale, eine der frühesten Kurzgeschichten der englischen Literatur. Sie ist ohne Vergleich in seiner Zeit und seinem Œuvre, sein wirkliches Meisterwerk und ein Glanzstück englischer Erzählkunst.

»Begehrt wie das tägliche Brot«

Von Scotts überragender Stellung in der europäischen Literatur im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts kann man sich heute, da sein Ruhm verblasst ist und er nur noch wenig gelesen wird, schwerlich eine Vorstellung machen. Mit Napoleons Sturz wurde, wie Theodor Fontane schrieb, Scotts Name der am meisten genannte in Europa. Fontane war es auch, der noch 1871, zu Scotts 100. Geburtstag, sein Loblied gesungen hat: »Er erzählte«, heißt es da, »wie nie zuvor erzählt worden ist, wahr, schlicht, ohne Anstrengung, vor allem unerschöpflich. Der glänzenden Leistung entsprach der Erfolg. Es gab keinen Erdenwinkel, wohin die mit unglaublicher Schnelligkeit sich folgenden Werke des Verfassers nicht gedrungen wären; in alle Sprachen übersetzt, wurden sie begehrt wie das tägliche Brot. Mir verbleibt nur, zurückzublicken, zusammenzufassen und dem Gefühl des Dankes darüber, daß er der Welt geschenkt wurde, Ausdruck zu geben. Wenige haben gelebt, die so viele Herzen gelabt, erheitert, erhoben haben.«

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