Hierzu galt es lange Zeit als ausgemacht, dass es die kriegskritische Minderheit war, die durch ihr konkretes Agieren den Weg in die Spaltung eingeleitet habe. In der Historiographie wurde den Kriegskreditverweigerern dabei insbesondere vorgeworfen, dass sie das in Partei und Fraktion hoch gehaltene Prinzip der Fraktionsdisziplin, also der Abstimmung mit der Mehrheit, gröblich verletzt hätten. So wird auch noch in einer jüngeren Überblicksdarstellung sozialdemokratischer Parteigeschichte der »Disziplinbruch« der Minderheit als Austritt der Minderheit aus der Fraktion und dann der Partei gedeutet.
Bereits gegen diese Deutung des Agierens der Akteure »von links« ließen sich schon immer gewichtige Einwände ins Feld führen. Denn nicht nur für die Akteure des linken Parteizentrums um den Kovorsitzenden Hugo Haase (die den Nukleus der späteren USPD bildeten) lässt sich aufgrund ihrer vielfältigen öffentlichen Erklärungen belegen, dass ihr Handeln in diesen Jahren keineswegs auf eine Spaltung ausgerichtet war. Ähnliches gilt auch für die Köpfe der linken Spartakusgruppe, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, deren Handeln mindestens bis weit ins Jahr 1917 hinein darauf zielte, weiterhin innerhalb der Sozialdemokratie für einen Politik- und Machtwechsel zu kämpfen.
»Es gab Bestrebungen einer programmatischen Radikal-veränderung.«
Was in der Zeitgeschichtsforschung – von wenigen Ausnahmen abgesehen – jedoch lange unterbelichtet blieb ist die Tatsache, dass es in diesem Konflikt auf dem äußerst rechten Flügel von Partei und Fraktion eindeutige Bestrebungen gab, ihn zu einer programmatischen Radikalveränderung der Sozialdemokratie und zu einem Hinausdrängen der zuvor dominierenden Linkskräfte zu nutzen. Im Zentrum dieser Bestrebungen steht der Mainzer Reichstagsabgeordnete Eduard David, ein bis zu diesem Zeitpunkt allenfalls in der zweiten Reihe operierender Politiker. Die Beweggründe seines Handelns sind aufgrund seines bereits 1966 edierten Tagebuchs bekannt, wurden allerdings bislang selten in toto analysiert.
Organisatoren der Spaltung: Eduard David und sein Kreis
Er ist derjenige, der seit Kriegsbeginn eine erst kleine, dann stetig wachsende Gruppe von Parlamentariern organisiert, die sich die Durchsetzung der Unterstützung der Kriegspolitik und des Burgfriedens zu ihrer zentralen Aufgabe macht. Da man zunächst glaubt, dass in der Fraktion eine Mehrheit für die Ablehnung der Kriegskredite zustande kommen werde, versichert man sich gegenseitig schriftlich, im Reichstagsplenum gleichwohl für die Kredite zu stimmen. Dieser feste Wille zur Aufkündigung der Fraktionsdisziplin im Falle des Unterliegens hindert umgekehrt nicht daran, massiv mit disziplinarischen Mitteln gegen die Kriegsgegner vorzugehen, als sich die umgekehrten Mehrheitsverhältnisse zeigen. Zu einer Änderung der eigenen Haltung kommt es auch nicht, als die Gruppe – bereits Mitte August 1914 – Hinweise darüber erreichen, dass die Reichsregierung selbst den Krieg als Präventivkrieg begreift und auch so führt. Bis zum Kriegsende wird gleichwohl nach außen die Fama von der Verteidigungsnotwendigkeit des Deutschen Reiches aufrechterhalten.
Bereits zwei Wochen nach der Entscheidung des 4. August begannen die zielgerichteten Aktivitäten, die innerparteilichen Gegner mattzusetzen. Erstes Ziel war nun, den Mitfraktionsvorsitzenden Hugo Haase aus dem Amt zu entfernen. In einem Brief an einen seiner Mitstreiter formuliert Eduard David zeitnah unmissverständlich als bevorstehende Aufgabe: Die antinational empfindenden Leute in der Partei müssen unschädlich gemacht werden. Und schon Ende desselben Monats beschloss die Gruppe die »Abschüttelung« der Kritiker, sollten diese im Reichstag
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