Die zunehmende Zahl von Frauen in politischen Spitzenpositionen könnte auf den ersten Blick ein positives Indiz für mehr Gleichstellung in der Gesellschaft sein. Bis heute wird häufig gefordert, dass mehr Frauen sich aktiv politisch engagieren sollen. Grundsätzlich ist diese Forderung richtig, da es ein Fortschritt in der Gendergerechtigkeit ist, wenn Frauen innerhalb eines hegemonial männerdominierten Systems sich behaupteten. Allerdings zeigen die aktuellen Entwicklungen, besonders in Europa, dass es immer zentraler wird, auf die inhaltliche Positionierung der Personen zu achten. Wir können nicht mehr grundsätzlich davon ausgehen, dass Frauen aufgrund ihrer eigenen Prägungen und gesellschaftlichen Erfahrungen selbstverständlich gegen patriarchale Unterdrückung und für eine fortschrittliche Politik sich engagieren.
Neben der weltweiten Zunahme von autoritären-nationalistischen Entwicklungen, die hauptsächlich von Männern vertreten werden, gibt es in Europa zunehmend weibliche Führungspersonen, die für eine antifeministische und diskriminierende Politik stehen. Prominenten Beispiele wie Marine Le Pen in Frankreich, Giorgia Meloni als zentrale Figur des italienischen Nationalismus und Alice Weidel, Vorsitzende der AfD. In Deutschland werden – nimmt man Sahra Wagenknecht hinzu – bei der Bundestagswahl 2025 gleich zwei Frauen als Spitzenkandidatinnen von autoritären Parteien für den Bundestag kandidieren.
Was steckt dahinter, dass gerade Frauen, die Führung in autoritär-nationalistischen Parteien innehaben und damit auch antifeministische Werte vertreten? Und dass in den demokratischen Parteien Männer in Führungspositionen sind, die wie Olaf Scholz und Robert Habeck ein feministisches Grundverständnis durchaus aktiv vertreten. Hat das biologische Geschlecht nichts mehr mit feministischen Einstellungen zu tun? Werden Frauen in nationalistischen Parteien strategisch bewusst eingesetzt, um ein autoritäres, frauenfeindliches Gesellschaftsmodell zu etablieren und wie sollten Frauen der Frauenbewegung mit Männern umgehen, die zwar geschlechtlich männlich sind, aber aus Überzeugung feministische Ziele vertreten?
Die moderne Frauenbewegung, beginnend in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, hatte sich zum Ziel gesetzt, die Gleichheit der Geschlechter zu fördern und Frauen grundlegende Rechte zu sichern. Diese Bewegung forderte zunächst das Wahlrecht und expandierte in der Folge auf die Bereiche Bildung, Berufstätigkeit, körperliche Autonomie und soziale Gleichheit. Diese Forderungen sind universell und transnational.
Dass Frauen Machtpositionen in rechten Parteien erringen konnten, kann nicht ausschließlich der Frauenbewegung zugeschrieben werden.
Historischbetrachtet wurden dagegen nationalistisch-autoritäre Bewegungen meist von Männern dominiert und Frauen waren dabei häufig in unterstützenden Rollen. Diese Entwicklung hat sich in den letzten Jahren stark verändert: Nun gibt es weibliche Führungsfiguren an der Spitze dieser Parteien. Dass Frauen diese Machtpositionen erringen konnten, kann nicht ausschließlich der Frauenbewegung zugeschrieben werden. Sie agieren in spezifischen nationalen und politischen Kontexten, die die Wechselwirkungen von Gender und Nationalismus beeinflussen. Ihre Erfolge sind oft das Ergebnis einer Kombination aus geschlechterpolitischen Veränderungen, dem Aufstieg populistischer Strömungen und der Reaktion auf gesellschaftliche Verunsicherungen wie Kriege, Pandemien und die Transformation.
So ist Marine Le Pen das Gesicht des Rassemblement National (früher FN) und hat es geschafft, die nationalistische Agenda mit feministischen Themen zu verbinden, indem sie behauptet, die »echten« Frauen in Frankreich zu schützen. Ihre Rhetorik spiegelt ein Bild von Weiblichkeit wider, das im Dienst des nationalen Wohls steht. Le Pen arbeitet oft in einem Kontext, der Frauenrechte und Feminismus als sekundär gegenüber nationalen Interessen betrachtet. Giorgia Meloni, Ministerpräsidentin Italiens, hat einen starken nationalen und kulturellen Fokus in ihrer Politik. Sie präsentiert sich als eine der wenigen Frauen in einer Führungsposition einer nationalistischen Partei, hebt aber gleichzeitig traditionelle Geschlechterrollen hervor. Alice Weidel wird sowohl von ihrer politischen Agenda als auch von der Tatsache unterstützt, dass sie sich in einer Zeit positioniert, in der nationale Identitäten und kulturelle Homogenität in Deutschland stark zur Debatte stehen. Sie verkörpert eine Art von »neuem Nationalismus«, der die Genderfrage neu interpretiert. Sie nutzt ihre Identität als Frau in der männlich dominierten Politik, um sowohl eine feminine als auch nationale Identität in einem ultra-konservativen Rahmen zu verknüpfen.
»Geschickt werden verschiedene Diskriminierungsformen gegeneinander ausgespielt.«
So äußert Weidel sich beispielsweise abwertend gegenüber der feministischen Bewegung, eine Form des »Gender-Radikalismus«, der die Unterschiede zwischen Männern und Frauen überbetont und eine gesamte Gesellschaft in Konflikte stürzt. Sie argumentiert, dass hierdurch Frauen, die traditionelle Rollen annehmen oder sich für Familie und Kinder entscheiden, unter Druck gesetzt werden. Sie spaltet die Frauen indem sie den Feminismus oft als eine Bewegung darstellt, die nicht die Interessen aller Frauen vertritt, sondern nur eine bestimmte Gruppe von Frauen, die ihrer Meinung nach privilegiert und einflussreich sind. Ein Hauptargument ist, dass der Feminismus in seiner jetzigen Form nicht in der Lage sei, die tatsächlichen Probleme von Frauen zu adressieren – wie Gewalt gegen Frauen, Diskriminierung am Arbeitsplatz oder Armut. So werden geschickt verschiedene Diskriminierungsformen gegeneinander ausgespielt. Die AfD ist bekannt für ihre homophobe Rhetorik und ihre diskriminierenden Werte.
Rückkehr veralteter Geschlechterrollen
Diese dynamische Beziehung zwischen Geschlecht und Politik wird durch diese Politikerinnen noch komplexer und unübersichtlicher. Die Führungsriegen dieser Parteien sind im Widerspruch zu den progressiven Bewegungen, die für Gleichheit und soziale Gerechtigkeit eintreten und entspricht nicht den feministischen Prinzipien. Im Gegenteil, viele dieser politischen Akteurinnen setzen sich für eine Rückkehr zu traditionellen Geschlechterrollen und konservativen Werten ein. Mehr noch, sie bedienen sich eines bewährten kommunikativen Ansatzes, der auf emotionaler Ansprache basiert. Nationalistische Rhetorik, die oft mit der Idee eines geschützten, traditionellen Familienlebens verknüpft ist, erzielt besondere Resonanz in breiten Bevölkerungsschichten, insbesondere in Krisenzeiten.
Zusätzlich werden angeblich klassische weibliche Tugenden wie Fürsorglichkeit Ordnung und Disziplin in ihre politischen Botschaften integriert, wodurch sie als »strenge Mütter der Nation« wahrgenommen werden können. Solche Ideale sind jedoch nicht harmlos; sie führen ebenfalls zu einer Rückkehr veralteter Geschlechterrollen und negieren die Errungenschaften der feministischen Bewegung. Indem gerade Frauen für ein zurückhaltendes, traditionelles Verständnis von Geschlecht und Familie eintreten, fördern sie das gesellschaftliche Klima, in dem Gleichheit und Diversität als Bedrohung wahrgenommen werden.
Ein weiteres zentrales Merkmal dieser Politik ist die Förderung diskriminierender Maßnahmen und das Schüren von Rassismus. Unter dem Deckmantel des »Schutzes der (jungen) Frauen und Familien« und der »traditionellen Werte« werden besonders Männer von ethnische Minderheiten oft als Bedrohung für die gesellschaftliche Ordnung und Sicherheit dargestellt. Die nationalistische Ideologie, die von diesen Politikerinnen vertreten wird, führt zu einer verstärkten Kriminalisierung von Diversität und Multikulturalität, die durch ihre Vermittlung als Frau scheinbar noch mehr Glaubwürdigkeit erhält.
Verteidigerinnen der »realen Werte«
Ein weiteres gemeinsames Merkmal dieser Parteien ist der Trend hin zu autoritären Gesellschaftsmodellen. Das Versprechen von Stabilität und Ordnung wird oft durch die Einschränkung individueller Selbstbestimmung und die Ablehnung demokratischer Grundsätze erkauft. Gerade die Frauen haben die Fähigkeit, diesen autoritären Ansatz zu legitimieren, indem sie sich als Verteidigerinnen der »realen« Werte inszenieren, die angeblich gefährdet sind. Die Schaffung eines »Wir gegen die«-Narrativs verunsichert und spaltet nicht nur die Gesellschaft, sondern gefährdet auch die grundlegenden Menschenrechte.
»Ihre mediale Präsenz als Frauen trägt dazu bei, das Bild einer moderneren, integrativeren Partei zu fördern.«
Zu den Zielen vieler dieser Parteien gehört auch die Einschränkung von Rechten und Freiheiten, die im Kontext von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit stehen. Wenn das Vertrauen allerdings in demokratische Institutionen schwindet, geraten die Stimmen von Minderheiten und nicht-traditionellen Frauenleben schneller in den Hintergrund. Schlimmer noch, sie fördern auch Diskriminierung und autoritäre Tendenzen, die das Potenzial haben, das Fundament der demokratischen Gesellschaften zu erodieren. Zusätzlich wird oft eine emotionale Angstrhetorik verwendet, die den sozialen Zusammenhalt in nationale Identitäten vereinzelt, was zur Verbreitung von Hass, Angst und Vorurteilen führt. Die Präsenz von Frauen in diesen autoritären Parteien führt dazu, dass sie »mainstream-tauglicher« erscheinen. Die Wahl von Frauen in Führungspositionen kann den Eindruck erwecken, dass autoritäre und populistische Ansichten legitim sind und dass die Grenzen des akzeptablen politischen Diskurses allmählich verschoben werden. Ihre mediale Präsenz als Frauen trägt auch dazu bei, das Bild einer moderneren, integrativeren Partei zu fördern. Die Wahl von Frauen erreicht möglicherweise eine neue Wähler:innenschaft, insbesondere unter Frauen, die sich in ihrer politischen Identität von diesen Politikerinnen repräsentiert fühlen und auf die Angstrhetorik besonders reagieren. Strategisch werden dadurch Menschen erreicht, die traditionell weniger mit nationalistischer und autoritärer Politik sympathisieren.
Die Trennlinien verschieben sich
Diese Frauen übernehmen also Führungsrollen in Parteien, die ein traditionelles Frauenbild propagieren, Diskriminierung schüren und antidemokratische, national-autoritäre Gesellschaftsmodelle anstreben. In der politischen Diskussion muss daher auch der Widerspruch zwischen diesen Ideen und feministischen Zielen deutlich im Mittelpunkt stehen, um den Begriff des Feminismus nicht durch nationalistische Ideologie unterwandern zu lassen. Die Trennlinien verschieben sich also und es wird wichtig, dass Geschlecht nicht das alleinige Kriterium für die richtige politische Unterstützung sein sollte. Frauen sind per se keine besseren Menschen und stehen nicht automatisch für eine progressive, fortschrittliche Politik.
Ebenso bedarf es der aktiven Einbindung von männlichen Feministen, die kein Interesse an patriarchalen Unterdrückungsstrukturen haben und sich für eine diverse, egalitäre und globale Zukunft engagieren. Die zukünftige Herausforderung besteht also nicht nur darin, grundsätzlich Frauen in politischen Führungspositionen zu unterstützen, sondern auch sicherzustellen, dass ihre politische Agenda inklusiv und progressiv ist. Ja, es ist sogar notwendig Männer, die für eine feministische Politik stehen, ganz bewusst zu unterstützen. Die Auseinandersetzungen darüber müssen in der Frauenbewegung und in den Parteien organisierter und klarer geführt werden, um die Unterschiede deutlich zu schärfen zwischen einer nationalistisch-autoritären und einer demokratisch-fortschrittlichen Partei.
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