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Neue Medien in der Demokratiebildung TikTok als Chance

TikTok ist kein dezentes Soziales Netzwerk. Es gibt sofort Laut, wenn Nutzer:innen es öffnen. Es lärmt, es lacht, es wütet. Woher kommen die Inhalte auf der For-You-Page? Warum sollte mich interessieren, wie diese mir unbekannte Frau Halloween gefeiert hat? Huch, schon das nächste Video. Dabei war das Kostüm noch gar nicht zu sehen! Aber warte, was macht jetzt dieser Mann da? Ist das eine Demo? So überwältigend und vielfältig, wie TikTok beim ersten Öffnen erscheint, wirkt es geradezu hypnotisch auf die einen und abstoßend auf die anderen. Kurze Aufmerksamkeitsspannen, schnelle Inhalte, polarisierende Aussagen, neue Formen von Clickbait (»Kommentiere für Teil 2«) – die einen unterhält es, die anderen erschöpft es.

TikTok kann inspirierend sein, wenn Nutzer:innen dort neue Dinge entdecken. Es kann gefährlich sein, wenn die neuen Informationen vielleicht gar nicht stimmen oder sogar bewusst manipulieren sollen. Oft entscheidet sich auf TikTok die Glaubwürdigkeit daran, ob einem die sprechende Person sympathisch erscheint. Ist das wirklich genug?

Wer hier eine Aufgabe für pädagogische Medienbildung erkennt, hat Recht. TikTok ist ein Netzwerk mit einem intransparenten Algorithmus mit einer jungen Nutzer:innenschaft: Rund 40 Prozent der TikTok-Nutzer:innen in Deutschland sind zwischen 16 und 24 Jahre alt. Rund 64 Prozent von ihnen nutzen lieber TikTok zur Informationssuche als eine Suchmaschine wie Google. Was sie finden, müssten sie intensiv prüfen: Jeder fünfte Beitrag auf TikTok enthält Falschinformationen, sagt der »Misinformation Monitor« der Organisation »NewsGuard« 2022. Jugendliche Nutzer*innen erkennen oft technisch manipulierte Bilder und Sounds, dafür entdecken sie inhaltliche Lügen schlechter als Erwachsene.

»Jeder fünfte Beitrag auf TikTok enthält Falschinformationen.«

Das könnte eine Motivation sein, voneinander zu lernen und ins Gespräch zu gehen. Digitale Demokratie-Pädagog:innen tun das. Sie nehmen die digitale Lebenswelt der Jugendlichen ernst, lernen von ihnen Trends und Interessensgebiete und nutzen das Wissen, um Informationen zu liefern, die die Jugendlichen erreichen und interessieren. Oder sie erarbeiten mit den Jugendlichen, in der schulischen oder außerschulischen Bildungsarbeit, was denen fehlt: Wie prüfe ich Informationen? Woran erkenne ich einen Manipulationsversuch? Wie handele ich schlau, wenn ich gegen etwas argumentieren möchte, aber dem problematischen Post nicht auch noch Reichweite geben möchte?

TikTok, das Schmuddelkind der Sozialen Medien

Doch immer noch schrecken viele Erwachsene, auch Politiker:innen oder Pädagog:innen, vor der Beschäftigung mit TikTok zurück. Dabei übersehen sie: Sie selbst müssen die Plattform nicht lieben, aber sie ist wichtig für die Meinungsbildung der jungen Generation. Wer dies ignoriert, vergibt die Chance, seine eigene Stimme, seine eigenen Werte und Argumente zu präsentieren.

Wer sich selbst als Content Creator:in (also Inhalte-Ersteller:in) auf TikTok nicht wohlfühlt, kann die demokratischen Content-Creator:innen auf der Plattform unterstützen. Diverse KZ-Gedenkstätten haben etwa ihre jungen Mitarbeiter:innen motiviert, interessante Kurzfakten über den mörderischen Nationalsozialismus auch auf TikTok zu präsentieren. Mit ähnlichen Inhalten erreicht Susanne Siegert alias »KeineErinnerungskultur« Millionen Menschen auf TikTok und Instagram. »Es ist sehr schön zu merken, dass eine sehr junge Zielgruppe sehr interessiert an diesem Thema ist«, sagt sie im Interview gegenüber Belltower.News. Die Kürze des Mediums macht ihr nichts aus: »Alle Formate, sei es eine Unterrichtsstunde oder eine Führung, müssen ja auch Komplexität herunterbrechen. (…) Meistens habe ich nur eine Kernbotschaft. Die kann sein »Krass, die SS hat sogar Hunde genutzt, um das Leben der Häftlinge zur Hölle zu machen.«

Doch gesellschaftliche Diskussionen zur Plattform TikTok lassen solche konstruktiven Ansätze oft vermissen. Stattdessen wird oft mit einer intellektuellen Arroganz auf die Kurzvideos geschaut, die vermeintliche Informations-Hyperaktivität der Jugend beklagt und schließlich TikTok-Videos der AfD für deren Wahlerfolge bei der Europawahl- und den Landtagswahlen 2024 verantwortlich gemacht.

Es ist kompliziert

So einfach ist es nicht. Selbst die erfolgreichsten Videos von AfD-Politikern wie das Video »Echte Männer sind rechts« des später spionageverdächtigen AfD-Europawahlkandidaten Maximilian Krah haben nur deshalb so eine große Reichweite erreicht, weil es auch viel Widerspruch oder Veralberungen zu seinem Beitrag gab. Niemand, der das Video angeschaut hat, ist dadurch rechtsextrem geworden. Allerdings kannten viele hinterher Maximilian Krah.

»Die AfD hat verstanden, dass ihr jede Aufmerksamkeit nützt.«

Die AfD hat verstanden, dass ihr jede Aufmerksamkeit nützt. Sie erscheint in den Feeds der Nutzer:innen – oft als einzige erkennbare Partei. Eine Studie der Universität Potsdam 2024 zeigt, dass Erstwähler:innen auf TikTok täglich AfD-Inhalte angezeigt bekommen – und nur einmal die Woche Inhalte einer demokratischen Partei. Das gelingt, weil die AfD Teil eines langjährig erprobten Netzwerks rechtspopulistischer und rechtsextremer TikTok-Accounts ist. Die Partei greift rechtsextreme Narrative und Codes auf, und dafür wird sie von der gesamten rechtsextremen Szene unterstützt. So erscheinen rassistische oder queerfeindliche Inhalte wieder und wieder auf den For-You-Pages der TikTok-Nutzer:innen.

Das stetige Erscheinen von Hassinhalten führt zu einer Gewöhnung, die zu Normalisierung werden kann. Bis Menschen anfangen, das Gesagte zu übernehmen, müssen weitere, nicht-mediale Faktoren hinzukommen, aber Ängste und Sorgen um die Zukunft sind bei Vielen vorhanden. Oft bleibt nicht die ganze Botschaft hängen, aber das allgemeinere Narrativ, dass es aktuell nicht gut laufe in der Bundesrepublik Deutschland. Ob das so generell stimmt oder nicht, wird oft nicht überprüft, denn jede:r hat schon etwas erlebt, dass diese These zu unterstreichen scheint (anekdotische Evidenz). Videos, die erzählen, dass es in der Politik in Deutschland gerade gut laufe, gibt es auch eher selten.

»Das stetige Erscheinen von Hassinhalten führt zur einer Gewöhnung, die zu Normalisierung werden kann.«

Wenn ein Geflüchteter mit einem Messer Gewalt ausübt, raunen die AfD und ihre Kreise, noch nie sei es so gefährlich in Deutschland gewesen wie jetzt. Die Gewaltstatistiken des Bundeskriminalamtes sagen zwar klar, dass das nicht stimmt. Aber wer das Narrativ mehrfach gehört hat, der fängt an, darüber nachzudenken, ob nicht doch etwas daran sein mag. Obwohl er oder sie genauso gut darüber nachdenken könnte, ob hier jemand mit rassistischer Stimmungsmache gegen Geflüchtete Politik machen möchte. Politische Bildungsarbeit sollte genau diese Überlegung in beide Richtungen ermöglichen.

Es gibt Projekte und Content Creator:innen, die Prebunking betreiben, also über Manipulationsstrategien aufklären, damit Menschen nicht darauf hereinfallen. Andere zeigen demokratische Praxis im Alltag, machen queeres oder jüdisches Leben sichtbar oder bestärken Menschen, sich für Demokratie einzusetzen. Diese Inhalte sind wichtig, um Hass und Falschinformationen auf TikTok entgegenzutreten. Die meisten davon werden in kurzzeitig befristet finanzierten Projekten erarbeitet oder gleich ehrenamtlich erstellt. Das ist frustrierend für die Macher:innen und ineffektiv für die Gesellschaft. So erscheint der digitale Einsatz für Demokratie als verzichtbarer, scheinbar privater Luxus. Dabei ist es eine für die Demokratie überlebensnotwendige Arbeit. Die Jugendlichen informieren sich auf TikTok (drei Prozent), YouTube (33 Prozent) oder Instagram (29 Prozent) über das Weltgeschehen, statt Zeitung zu lesen (15 Prozent)? Umso wichtiger, dass sie verlässliche Informationen in den Medien finden, die sie nutzen – und zu wissen, wie sie die erkennen können.

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