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Dass die Vereinigten Staaten vor acht Jahren einen Präsidenten wie Donald Trump gewählt haben, ist für manche Deutsche schon schwer zu verstehen; noch schwerer aber, dass die reale Möglichkeit besteht, dass das Land Trump im November für eine zweite Amtszeit wiederwählen könnte. Allerdings hat das Wahljahr 2024 gerade erst begonnen, noch kann niemand vorhersagen, ob Trump oder Joe Biden, der demokratische Amtsinhaber, die Präsidentschaftswahlen am 5. November gewinnen wird.
Dabei sollte man zwei Dinge im Auge behalten: Zum einen wird es bis zum Ende des Wahlkampfes aller Voraussicht nach ein knappes Rennen sein, unabhängig davon, was die Umfragen und Experten jetzt sagen. Und die Geschichte ist eher auf Bidens Seite – amtierende Präsidenten haben acht der elf Wahlen seit dem Zweiten Weltkrieg gewonnen.
Das Phänomen Trump und seine ungebrochene Popularität in der Republikanischen Partei und in weiten Teilen der Wählerschaft – insbesondere in den Bundesstaaten im Landesinneren, die weit von den Küsten und den großen Medienzentren entfernt sind – verblüfft viele Deutsche. Seine Popularität ist einer der vielen Aspekte der Vereinigten Staaten, die sie nur schwer nachvollziehen können. Sicherlich gibt es auch viele Amerikaner, die Trumps Erfolgsrezept nicht ganz durchschauen. Doch die tief verwurzelten Missverständnisse zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland lassen sich gerade anhand der unterschiedlichen Sichtweisen auf Trump und seinen Erfolg ergründen.
Erst wenn man sich über die Gründe für diese Unterschiede im Klaren ist, kann man die Entwicklungen in den Vereinigten Staaten besser einschätzen, etwa Trumps Erfolg bei Millionen amerikanischer Wähler. Ihr Enthusiasmus trotz seiner langen Liste von Skandalen, die die Laufbahn der meisten herkömmlichen Politiker längst beendet hätte, mag zwar der Logik widersprechen, für viele Amerikaner in den Heartland States ergeben sie aber Sinn.
»Viele seiner Unterstützer sehen die Vorwürfe gegen Trump als Teil einer politischen Verschwörung des linken Flügels.«
Donald Trump hatte im Wahlkampf 2016 von sich selbst gesagt: »Ich könnte mich mitten auf die Fifth Avenue stellen und jemanden erschießen, und ich würde keine Wähler verlieren, okay? Es ist unglaublich.« Und tatsächlich: Dass der New Yorker Milliardär neben anderen strafrechtlichen Vorwürfen nun auch wegen Verschwörung zum Umsturz nach den Wahlen 2020 angeklagt ist und während des Wahlkampfes vor Gericht stehen oder möglicherweise sogar im Gefängnis enden könnte, scheint viele seiner Anhänger nur noch mehr anzustacheln. Viele seiner Unterstützer sehen die Vorwürfe gegen Trump als Teil einer politischen Verschwörung des linken Flügels, mit dem Ziel ihren Kandidaten zu vernichten, bevor die Wähler die Chance haben zu entscheiden, wer Präsident werden soll.
Dass Trump Ende Februar in einer Wahlkampfrede in South Carolina öffentlich Zweifel daran äußerte, ob die Vereinigten Staaten im Falle seiner Wiederwahl künftig überhaupt noch die NATO unterstützen würden, schockierte und überraschte viele Verbündete Amerikas in Europa. Erstaunlicherweise haben diese Äußerungen seiner Popularität bei vielen seiner Anhänger jedoch keinen Abbruch getan und waren für viele Amerikaner, die sich in den letzten acht Jahren an Trumps problematische Äußerungen gewöhnt haben, weniger überraschend. Sie neigen dazu, diesen Ankündigungen weniger Glauben zu schenken, als viele Beobachter und Kommentatoren in Europa.
Fundamentale Unterschiede
Doch warum ist Trump in vielen Teilen der Vereinigten Staaten so beliebt? Trotz des gemeinsamen Engagements für Demokratie, trotz freier Märkte, westlicher Werte und eines transatlantischen Militärbündnisses gibt es zahlreiche Bereiche, in denen sich die USA und Deutschland fundamental unterscheiden. Diese Unterschiede zu benennen, könnte helfen, das Phänomen Trump zu erklären.
»Der Optimismus und der Geist der Unabhängigkeit ist auch heute noch tief in der DNA der Amerikaner verwurzelt.«
Eines der hervorstechendsten Merkmale der Vereinigten Staaten ist der grenzenlose Optimismus, mit dem viele Amerikaner aufwachsen, und den Trump oft und immer wieder zu nutzen versteht. Sein seit 2016 geltender Wahlkampfslogan »Make America Great Again« (MAGA) bringt diese Hoffnung auf eine bessere Zukunft auf den Punkt – insbesondere für viele seiner Anhänger, die sich in jenen Teilen des Landes, die in den letzten Jahrzehnten mit beträchtlichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, oft abgehängt fühlen. Die Großeltern oder Urgroßeltern vieler Amerikaner – auch Trumps Großeltern – sind auf der Suche nach einer besseren Zukunft aus Europa und anderen Teilen der Welt in die Vereinigten Staaten eingewandert. Der Optimismus und der Geist der Unabhängigkeit, den sie in die Vereinigten Staaten mitbrachten und mit dem sie oft enorme Herausforderungen meisterten, ist auch viele Generationen später noch tief in der DNA der Amerikaner verwurzelt.
Amerikaner lernen schon in jungen Jahren, dass fast alles möglich sei – wenn man nur hart genug arbeite. Sie sehen das Glas instinktiv eher »halb voll« und nicht »halb leer«. Der Glaube daran, dass das Leben voller Möglichkeiten sei und Herausforderungen nur Hürden seien, die es zu überwinden gelte, ist für Deutsche, die die Vereinigten Staaten besuchen, oft überraschend. Der Gedanke an eine bessere Zukunft, egal wie schwierig die Vergangenheit war, zieht sich wie ein roter Faden auch durch die amerikanische Literatur, Filme, Musik und Popkultur. »We’ll cross that bridge when we get to it« ist eine häufig verwendete amerikanische Redewendung, die diesen »can do«-Geist auf den Punkt bringt. Sie steht im Gegensatz zu dem deutschen Wunsch, schon vor Beginn der Reise zu wissen, wohin genau die Fahrt gehen wird. Ein weiterer Unterschied der Vereinigten Staaten im Vergleich mit Deutschland ist das politische Zweiparteiensystem (»winner-takes-all«) und die damit verbundene Einsicht, dass sich dieses System auf absehbare Zeit nicht ändern wird.
Tiefe Spaltung der Vereinigten Staaten
Man muss auch begreifen, dass und in welchem Ausmaß negative politische Wahlkampagnen in den Vereinigten Staaten erfolgreich sind und welche zersetzenden Auswirkungen die jahrzehntelange tiefe politische Polarisierung zwischen Republikanern und Demokraten hat. Es gibt diverse Themen, anhand derer die tiefe Spaltung der Vereinigten Staaten zwischen der Linken und der Rechten sichtbar wird: die Kontrolle des Waffenbesitzes etwa, bei der die meisten republikanischen Wähler jede Einschränkung strikt ablehnen, obwohl jedes Jahr aufs Neue rekordverdächtige Zahlen von Todesfällen durch die missbräuchliche Anwendung von Schusswaffen zu verzeichnen sind; oder das Thema Abtreibung, die viele konservative Wähler strikt ablehnen; oder die Todesstrafe, die konservative Wähler vehement befürworten.
»Trump macht sich die Ängste der schrumpfenden weißen Mehrheit in den Vereinigten Staaten zunutze.«
Ein weiterer Grund für Trumps Erfolg in vielen konservativen Bundesstaaten sind seine radikalen Äußerungen zur Bekämpfung der Massenmigration aus Mexiko und Mittelamerika. Trump macht sich dabei die Ängste der schrumpfenden weißen Mehrheit in den Vereinigten Staaten davor zunutze, dass das Land in den nächsten zwei Jahrzehnten eine nicht-weiße Mehrheitsbevölkerung haben könnte. Nicht wenige sind auch der Meinung, dass die Wirtschaftspolitik seiner Regierung, insbesondere die Steuersenkungen und die harte Haltung Trumps gegenüber China, den einfachen amerikanischen Arbeitnehmern zugute kam, obwohl umgekehrt vor allem Arbeitnehmer mit höheren Einkommen von den Steuersenkungen der Trump Administration profitierten.
Innenpolitische Themen haben lange Zeit die Präsidentschaftsdebatten in den Vereinigten Staaten dominiert. Trump hat es jedoch geschafft, auch einige außenpolitische Themen auf die politische Agenda zu setzen. So wächst in manchen konservativen Lagern des Landes zum Beispiel die Frustration darüber, dass die USA sich zu stark etwa auf den Krieg in der Ukraine fokussieren und dabei einige jener Probleme vernachlässigen, mit denen die USA selbst zu kämpfen haben etwa die rasant zunehmende Migration aus Mittelamerika. An diesen Themen scheiden sich die Geister, aber es sind eben Themen, die Trumps Anhänger umtreiben und über die er deshalb regelmäßig spricht.
Es ist schon erstaunlich, wie groß der Einfluss Trumps in der Republikanischen Partei inzwischen ist und wie es ihm gelingen konnte, sie von vielen ihrer lange vertretenen Positionen abzubringen. Der Sowjetunion und dem späteren Russland die Stirn zu bieten, war immer ein zentrales Anliegen der Partei und vieler konservativer Wähler, ein politisch-strategischer Ansatz, der bis in die Anfangszeit des Kalten Krieges zurückreicht. Die republikanischen Regierungen von Präsident Dwight Eisenhower bis George W. Bush hatten im Umgang mit der Sowjetunion und Russland klar Stellung bezogen und stets hohe Rüstungsausgaben unterstützt. Das hat sich unter Trump schlagartig geändert.
Der beispiellos leichte Sieg Trumps in den Vorwahlen ermutigte ihn, aus taktisch-politischen Gründen weitere Forderungen an die Parteiführer der Republikaner im Kongress zu richten, um seine Kampagne gegen Biden zusätzlichen Schwung zu verleihen. So drängte Trump die Republikaner im Kongress, jede Art von zusätzlicher Hilfe für die Ukraine und Israel, sowie Mittel zur Verbesserung der Kontrollen an der US-Grenze zu Mexiko zu blockieren. Dort kommt es seit Längerem täglich zu Tausenden illegalen Grenzübertritten. Das Ausbleiben weiterer amerikanischer Unterstützung hat die Ukraine nach zwei Jahren tapferen Kampfes gegen die russische Invasion inzwischen in eine prekäre Lage gebracht. Für die Republikanische Partei, die noch nie eine Gelegenheit ausließ, Russland die Stirn zu bieten, bedeutete diese außenpolitische Neuausrichtung eine drastische Kehrtwende.
»Die Amerikaner wissen viel weniger über Deutschland als die Deutschen über die USA.«
Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, wie intensiv sich viele Deutsche mit den Vereinigten Staaten und ihrer Geschichte beschäftigen, wie aufmerksam sie die umfangreiche Berichterstattung aus den USA in den deutschen Medien verfolgen und wie sehr sie sich mit den schätzungsweise 60 Millionen Amerikanern, die angeben, deutsche Wurzeln zu haben, verwandt fühlen. Die Amerikaner wissen zweifellos viel weniger über Deutschland und sie denken seltener über Entwicklungen in Deutschland nach. In den Vereinigten Staaten gibt es so gut wie keine Medienberichterstattung über Deutschland, der Schwerpunkt der Nachrichten liegt stattdessen fast ausschließlich auf Ereignissen im Inland.
Trotz des erwähnten deutschen Interesses an den politischen Entwicklungen in den USA scheinen manche Deutsche von den Ergebnissen der jüngsten Wahlen und von Trumps ungebrochener Stärke überrascht zu sein. Deutsche Journalisten, die vor allem an der Ost- und Westküste in Washington DC, New York und Los Angeles leben, bemühen sich seit 2016 verstärkt darum, die Gründe dafür besser zu verstehen, dass sich die Wähler im »Heartland« so sehr von Trump und seiner Politik angezogen fühlen. Aber auch sie tun sich schwer damit, den Ausgang der Wahlen im November vorauszusagen.
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