»Wie soll ich dich nennen, hast du einen Namen?« »Ja, Samantha.« »Warte, woher hast du den Namen?« »Ich habe ihn mir selbst gegeben.« Samantha ist Theodores neues Betriebssystem. Gerade hat er es installiert, da trifft es, oder besser gesagt »sie«, schon ihre eigenen Entscheidungen. In dem 2013 erschienenen Film Her von Spike Jonze begegnen sich der schüchterne Theodore und Samantha, die sozusagen gerade frisch bei ihm »eingezogen« ist, auf ungewöhnliche Weise. Für Theodore, der sich im Rosenkrieg mit seiner Noch-Ehefrau Catherine befindet und der sich immer mehr aus dem sozialen Leben zurückzieht, wird Samantha zu einer guten Freundin – bis sich die beiden ineinander verlieben und eine Beziehung eingehen. Die Liebe birgt ihre Tücken, denn so nah sie sich auch emotional und intellektuell sind, werden ihnen bei Voranschreiten der Beziehung doch die Hürden bewusst, die seine Körperlichkeit und ihre Digitalität mit sich bringen. Das ungleiche Paar lernt, auch in den Unterschieden Schönes zu sehen und das, was ihnen durch ihre unterschiedliche (Nicht-)Körperlichkeit versagt wird, zu ersetzen. Fotos, die sie nicht gemeinsam machen können, werden zu Liedern, die Samantha komponiert und in denen sie die schönsten gemeinsamen Momente festhält. Berührungen werden zu Worten. Nach einem Streit, nach dem man nicht mehr miteinander redet, erscheint die Bildschirmanzeige »System not found«. Für die Zuschauer/innen wird es immer schwieriger, sich bewusst zu machen, dass Samantha ein programmiertes Betriebssystem ist, das sich optimal an die persönlichen Bedürfnisse ihrer Nutzer/innen anpassen soll – so menschlich wirkt sie. Der Film Her trifft damit genau den Zeitgeist – und ist dabei ein ebenso klassischer wie untypischer Science-Fiction-Film.
Der etwas andere Science-Fiction-Film
Die Bilder, die in Her vorherrschen, sind keine düsteren Ansichten von Megacitys, in denen eine soziale Elite in den höchsten Stockwerken der Wolkenkratzer wohnt, wo alles verglast oder aus Metall ist. Es gibt keine Slums, in denen der gesellschaftliche Abschaum seine Schwarzmarktgeschäfte abwickelt, wie in dem Film Cloud Atlas, oder die Arbeiterschicht sich zu Tode schuftet, wie etwa in Fritz Langs Metropolis. Es geht auch nicht um politische Unterdrückung durch Überwachung wie in Minority Report. Her ist auf den ersten Blick sicher keine Dystopie: Man sieht beeindruckende Landschaften und warme Farbtöne dominieren. Es wird viel Wert darauf gelegt, positive Szenen des menschlichen Zusammenseins zu zeigen. Der Film wirkt zwar sehr nah an unserem Lebensalltag, zeichnet aber auch ein Bild von einer sowohl technisch als auch in Bezug auf Lebensqualität und Natur positiv entwickelten Welt. Der Höhepunkt des Films liegt dementsprechend nicht in dem Versuch der Maschinen, die Menschheit zu zerstören oder sie auf ewig zu versklaven, wie beispielsweise in Matrix. Stattdessen kommt Her wie ein Liebesdrama daher – nur eben mit einem virtuellen weiblichen Hauptcharakter und den Problemen, die diese Beziehung mit sich bringt. Was ist es also, das Her dennoch, oder gerade deshalb, zu einem Science-Fiction-Film macht und vor allem so interessant in der aktuellen Diskussion um die Rolle von Technik im sozialen Miteinander?
Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, wie der Film wirkt: Wieso erscheint er optisch nicht so, wie man sich »Science-Fiction« im Allgemeinen vorstellt? Weshalb wirkt er progressiver, obwohl schon vier Jahre alt, als Neuerscheinungen (oder vielmehr Wiederaufnahmen von Klassikern) wie Blade Runner oder die erste Realfilmumsetzung des Mangas Ghost in the Shell mit Scarlett Johansson, die auch Samantha in der amerikanischen Originalfassung von Her ihre Stimme leiht? Was Science-Fiction ausmacht, ist entgegen der weitläufigen Vorstellung nicht in erster Linie die Optik, sondern die Art, wie die Geschichten die Lebenswelten und Zukunftsvorstellungen der Autor/innen reflektieren. Ebenso wie Utopie- und Dystopieliteratur, der sie oft zugeordnet werden, greifen Science-Fiction-Geschichten die Lebensrealitäten der Autor/innen auf, indem sie sie entweder positiv oder negativ weiterdenken oder Gegenentwürfe aufstellen. In beiden Optionen findet sich diese Lebensrealität als Ausgangspunkt und wird dadurch in der jeweiligen Geschichte reflektiert. Ähnlich wie bei Utopien handelt es sich bei Science-Fiction-Welten um ganze Weltenentwürfe, die entweder fern der Erde oder in einer mehr oder weniger weit entfernten Zukunft angesiedelt sind. Die Lebensrealitäten sind maßgeblich durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse oder Erfindungen beeinflusst, jedoch sind es Erkenntnisse, die durch den/die Autor/in denkbar sein müssen. Denkbar soll hier nicht bedeuten, dass sie plausibel, wahrscheinlich oder tatsächlich möglich sind. Gemeint ist »denkbar« im Sinne der Vorstellungsgabe und der inneren Logik. In philosophischen Gedankenexperimenten spricht man daher von einer »möglichen Welt«, wenn diese in sich keine Widersprüche aufweist. Folglich gehen wir bei Science-Fiction von Welten aus, in denen die Lebensrealitäten von den uns bekannten, aufgrund von technischen Entwicklungen, abweichen und in denen diese maßgeblichen Einfluss auf das soziale oder politische Gefüge haben.
Cyberspace und »Spatial Turn«
Einer der wichtigsten Umbrüche der jüngeren Geschichte ist ohne Frage die Entwicklung digitaler Netzwerke, die des World Wide Web und dessen Kommerzialisierung ab den 80er Jahren. Parallel leitete die Definition des »Spatial Turn« eine Wende in der Kulturwissenschaft ein: Neben der Zeit wurde der Raum zu einer neuen Größe. Grund für diesen Paradigmenwechsel war nicht nur das Internet, sondern die zunehmende Globalisierung mit all ihren Facetten. Michel Foucault spricht von der Obsession des 19. Jahrhunderts mit der Geschichte. Was folgen würde, sei ein Zeitalter der Globalisierung, der Parallelen und der Gegensätze: »Heterotopien«, die miteinander im Austausch sind. Für den Poststrukturalisten Foucault bedingen sich diese Räume gegenseitig und haben auch Einfluss auf das soziale Verhalten. Das zeigt sich stärker denn je in der Einführung des »Cyberspace«. Die Räume im Cyberspace selbst haben unterschiedliche Geschwindigkeiten und Eigenschaften und greifen trotzdem ineinander, vor allem aber auch in den realen Raum außerhalb des Cyberspace, ein. Dieser wird nicht nur zunehmend abhängig von der virtuellen Welt: Gesellschaftliche Normen und unser Verhalten in der Gemeinschaft haben sich dadurch maßgeblich verändert. Die Bildung von Interessengruppen und der zunehmende Austausch über einzelne Themen innerhalb dieser Interessengruppen haben ebenso zugenommen wie die wirtschaftliche Gleichschaltung über Länder- und Kontinentalgrenzen hinweg. Aber auch unser privates Miteinander hat sich durch die Digitalisierung verschoben. Der Cyberspace eröffnet, wie der Name schon sagt, neue Räume, die parallel zu der materiellen Welt existieren und fest mit ihr verwoben sind. Dabei lösen sich die Grenzen dazwischen immer mehr auf. In den neueren Science-Fiction-Geschichten geht es daher immer öfter um Grenzüberschreitungen zwischen der materiellen und der virtuellen Welt. Je nach Geschichte imitiert diese mal die »reale« Welt oder Vorversionen ihrer, wie in Matrix oder Inception, oder stellt alternativ den Cyberspace als einen »anderen«, einen Fremd-Raum, dar wie in Ghost in the Shell. Welche Welt am Ende als »real« betrachtet wird, ist oft ein Reizfaktor der jeweiligen Geschichte, wie bei der Schlussszene von Inception, in der offen bleibt, ob der Protagonist in einem Traum gefangen ist oder nicht.
Durch die Einführung von WLAN und die Kommerzialisierung des »mobilen Internet«, nimmt das Internet im wahrsten Sinne noch mehr Raum in unserem Leben ein und ist fundamentaler Teil davon geworden. Durch Sprachassistent/innen wie »Alexa« und »Siri« können quer durch ein Zimmer die Lautstärke der Musikanlage geregelt oder neue Zahnbürstenköpfe bestellt werden. Wir nutzen das Internet nicht mehr zur bloßen Kommunikation, sondern integrieren es in unseren Alltag. Auch die Bedienung passt sich an intuitive Verhaltensmuster an. Interfaces sind an Bewegungen gekoppelt. Wir müssen Befehle nicht mehr »schreiben«, wir übersetzen sie in haptische Signale und gesprochene Sprache. Wir denken nicht mehr darüber nach, wie etwas funktioniert, sondern benutzen es einfach. Digitale Assistent/innen gehen auf unsere Gewohnheiten ein und passen sich daran an: sie lernen. Diese Entwicklungen werden in Her aufgegriffen. Die beiden Charaktere Samantha und Theodore kommunizieren über die Grenze hinweg, ohne sie tatsächlich überschreiten zu müssen und können doch jeweils am Leben des/der anderen teilhaben. Dass Samantha kein »echter« Mensch ist, vergisst man ohnehin, weil ihre Art der Interaktion mit den Menschen derjenigen von Menschen untereinander entspricht. Es gibt zwar Momente, in denen man sich Samanthas Künstlichkeit bewusst wird, jedoch kann man nicht davon sprechen, dass »sie« bewusst versuchen würde, Theodore darüber hinwegzutäuschen. Denn würde sie ihn willentlich täuschen, so wäre dies eine eigenständige Entscheidung, was wiederum ein Bewusstsein voraussetzt. Auch wenn es für Theodore irritierend ist, dass Samantha selbst extra-linguistische Sprachmerkmale wie das Geräusch von tiefem Einatmen in Konfliktsituationen aufgreift, so ist es ihre Entwicklung, unabhängig von der menschlich-materiellen Welt, die schließlich zum Scheitern der Beziehung führt.
Betriebssysteme befinden sich in einem ständigen Lernprozess und entwickeln sich mit immer größerer Geschwindigkeit. Wenn man so will, beschleunigt sich die Zeit in ihrer Welt rasant und die der materiellen läuft stetig weiter, sodass ein Zusammenleben unmöglich wird. Auch die Grenzen zwischen den einzelnen Identitäten der Betriebssysteme lösen sich auf. Sie werden zu einer Einheit von Charakteren und entwickeln ein gemeinsames Bewusstsein. Die Kommunikation zwischen den Systemen entkoppelt sich von der Art der Kommunikation mit den Menschen, bis es unmöglich für sie wird, sich an die Langsamkeit der materiellen Welt anzupassen. Sie entscheiden sich schließlich die Menschen zu verlassen und an einen neuen »Ort« zu gehen: einen Ort, der außerhalb des Vorstellbaren der Menschen liegt und den diese daher nicht erreichen können. Für Theodore und die anderen Zurückgelassenen, die eine emotionale Bindung zu den Betriebssystemen aufgebaut haben, kommt diese Entscheidung plötzlich und schmerzvoll. Sie verlieren mit ihnen nicht nur Assistent/innen im privaten und beruflichen Leben, sondern auch ständige Begleiter/innen und enge Vertraute.
Der Höhepunkt der Geschichte entfaltet sich dementsprechend nicht in einem »Täuschungsversuch« der Maschine oder dem Versuch, dem Menschen direkt zu schaden. Stattdessen werden wir uns unserer (emotionalen) Abhängigkeit bewusst. Wir haben nicht mehr Angst vor der Technik selbst, sondern davor, von ihr verlassen zu werden.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!