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Die Kommission »Arbeit der Zukunft« hat ihren Abschlussbericht vorgelegt Viele Hausaufgaben müssen erledigt werden

Der Diskurs über die Arbeit der Zukunft kennt zwei Extreme. Auf der einen Seite stehen die Digitalisierungseuphoriker, die – teilweise mit Ansage – die Augen vor den sozialen Zusammenhängen verschließen, perfekt auf den Punkt gebracht im FDP-Bundestagswahlslogan »Digital first. Bedenken second«. Auf der anderen Seite des Spektrums stehen die Apokalyptiker, die (wieder einmal) das Ende der Arbeit und die baldige Machtübernahme der Maschinen (neuerdings auch der Algorithmen) kommen sehen. Die im Mai 2015 von der Hans-Böckler-Stiftung eingesetzte Kommission »Arbeit der Zukunft« unter der Leitung des DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann und der Soziologin Kerstin Jürgens von der Universität Kassel hatte den Auftrag, mit dem Sachverstand von 32 Expert/innen aus Wissenschaft und Praxis, jenseits von Heilserwartungen und Schreckensszenarien, die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt zu analysieren, Annahmen für die Zukunft zu treffen, Gestaltungspotenziale auszuloten und Handlungsempfehlungen für Arbeitsmarktpolitiker/innen, Sozialpartner/innen und Akteure/innen der Mitbestimmung zu geben.

Die Kommission traf gleich zu Beginn ihrer Arbeit die Entscheidung, einen klaren Kontrapunkt gegen den Technikdeterminismus zu setzen, in den der Digitalisierungsdiskurs trotz des in den letzten Jahren eng gespannten Netzes an hoch kompetenten Digitalisierungsgremien, Plattformen etc. immer wieder zurückzufallen tendiert. Ihr war es wichtig zu zeigen: Die Entwicklung der Arbeitswelt ist nicht vorgezeichnet, sie ist gestaltbar. In die Laufzeit der Kommission fiel der Schock der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten, dem Mutterland des digitalen Umbruchs. Dort hatte das Silicon Valley (bzw. seine Hauptpersonen) einen Digitalisierungsdiskurs geprägt, der sich in seiner Mischung aus Umwälzungs- und Weltverbesserungsrhetorik und knallharten ökonomischen Interessen völlig entkoppelt hatte von den alten Industriezentren, vom Rust Belt und der Provinz. Die Ereignisse jenseits des Atlantiks bestärkten die Kommission in ihrem Plädoyer: Wir (in Europa) dürfen den Digitalisierungsdiskurs nicht dem Silicon Valley überlassen. Und: Der Pfad der Technikgläubigkeit endet in einer Sackgasse. Er war (und ist) das Gegenteil einer solidarischen Bewältigung des wirtschaftlichen Umbruchs.

Die Kommission sah die Vorboten der (Diskurs-)Entkopplung bereits im eigenen Land: Unter der Oberfläche einer in Umfragen relativ zufriedenen Gesellschaft gärt in Teilen das Gefühl, stärker als früher auf sich selbst gestellt, (technologischen) Veränderungen hilflos ausgeliefert zu sein (also die Kontrolle über das eigene Leben zu verlieren) und die Angst vor der Entwertung der eigenen Biografie, also des einst erlernten Berufs. Verstärkt wird dieses Bedrohungsgefühl, das bis in die Mitte der Arbeitsgesellschaft vordringt, durch die Fokussierung der Medien auf »Horrorstudien« zum Beschäftigungsabbau, insbesondere diejenige des schwedischen Ökonomen Carl Benedikt Frey und des Informatikers Michael Osborne, die von der Ersetzbarkeit von fast der Hälfte aller Arbeitsplätze ausgeht. Weniger Beachtung hingegen finden Prognosen, die zu wesentlich moderateren Annahmen kommen (wie die des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung und die des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung). Die Kommission »Arbeit der Zukunft« hat sich intensiv mit den unterschiedlichen Szenarien befasst und die Horrorszenarien für irreführend befunden. Ihre Einschätzung lautet: »Uns geht die Arbeit nicht aus – aber sie wird anders.« Die Kommission sieht allerdings die Gefahr einer starken Polarisierung von Einkommen, Qualifizierung und guter, gut abgesicherter Arbeit. Der Kommissionsbericht ist somit u. a. der Versuch einer Antwort auf die Frage, wie es gelingen kann, eine solche Polarisierung zu verhindern und die vielzitierte »Digitalisierungsdividende« für alle zu heben.

»Arbeit transformieren« – der Titel des Kommissionsberichts, ist als Anspruch und gleichzeitig als Aufforderung an alle Akteur/innen zu lesen, die technologischen Möglichkeiten zu nutzen, Arbeit besser zu machen: demokratischer, erfüllender, humaner. Nötig dafür ist, so die Kommission, die Demokratisierung des Transformationsdiskurses, in dem alle Ebenen beteiligt sind und Verantwortung übernehmen: Regierung, Sozialpartner, Betriebe, Individuen. Aktuell gibt es einen lebhaften Diskurs über das »demokratische Unternehmen«, über »New Work«, das agile Arbeiten und flache Hierarchien (so Andreas Boes et al. in: Das demokratische Unternehmen, 2015). Die Kommission griff diese Debatte auf, kritisierte aber, dass sie völlig unverbunden mit einem bereits existierenden Instrument der Wirtschaftsdemokratie vonstattengeht: der Mitbestimmung. Um dieses zukunftstauglich zu machen, empfiehlt die Kommission z. B. basisdemokratische Elemente bei der Verhandlung von Haustarifen, mitbestimmte Zukunftslabore für agiles Arbeiten in Unternehmen, einen kollektiven Rahmen für individuelle Aushandlung von Arbeitszeiten (prozedurale Rechte) sowie die Ausweitung von Mitbestimmung auf neue Arbeitsformen wie etwa Crowdwork.

Solidarität in Zeiten digitaler Plattformen

Die Digitalisierung, so die Kommission, entwickelt in ihrem Zusammenspiel von steigenden Rechnerleistungen, Vernetzung und Big Data als »Megatreiber« auf dem Arbeitsmarkt zurzeit eine erhebliche Veränderungswucht, die das Potenzial hat, die Eckpfeiler der Wirtschaftsordnung und die Grundprinzipien der Arbeitskultur ins Wanken zu bringen. Sie sorgt nicht nur für erhebliche Verschiebungen zwischen den Branchen, sondern wirkt sich auch auf die Erscheinungsformen von Beschäftigung aus. Der Arbeitsmarkt spaltet sich zunehmend in einen geschützten Kern und einen unsicheren Rand auf; und dort differenziert er sich immer stärker aus. In vielen Betrieben arbeiten Festangestellte, Leiharbeiter/innen und Werkvertragsnehmer/innen nebeneinander. Die Grenzen der Betriebe werden diffuser, z. B. durch die Einbeziehung von Arbeiter/innen auf digitalen Plattformen. In der Dreieckskonstellation der digitalen Plattform (zwischen Auftragnehmer/in, Auftraggeber/in und der Plattform als sogenanntem »Intermediär«) verschwinden die Arbeitgeber als verantwortliche Instanz und auch der Ort der Arbeitserbringung spielt keine Rolle mehr. Digitale Plattformen können die technische Grundlage für kollaborative Arbeitsformen sein. In der Praxis handelt es sich aber zumeist um eine »Gig Economy« (»Gig« steht hier für den einzelnen bezahlten Auftrag), den Wettbewerb jeder gegen jeden – ein Geschäftsmodell der Entsolidarisierung und der Entsicherung. Digitale Plattformen, Netzwerkbetriebe etc. werfen daher neue Fragen auf: Wenn Solidarität bislang um den Betrieb als Einheit organisiert ist – was passiert, wenn die Grenzen der Betriebe durchlässig werden, wenn sich Arbeit zunehmend enträumlicht? Wo sind die zukünftigen Bezugspunkte von Solidarität? Wie müssen sich sozialstaatliche Regelungen neu ausrichten, um die Heterogenität der Beschäftigungsformen und veränderte Erwerbsbiografien zu erfassen? Aus diesem Grund hat die Kommission die Debatte über einen neuen Arbeitnehmerbegriff und einen neuen Betriebsbegriff, die bislang politisch noch in den Kinderschuhen steckt, aber in der juristischen Fachwelt lebhaft geführt wird (z. B. von Thomas Klebe, Rüdiger Krause, Martin Risak und Peter Wedde) aufgenommen und weitergeführt. Die Idee, durch eine konzeptionelle Erweiterung und Enträumlichung der beiden Institutionen die Solidaritätszone auszuweiten, erschien der Kommission als plausible Antwort auf die (digitalisierungsbedingte) Entstofflichung und Entgrenzung von Arbeitsprozessen. Gleichzeitig beschreibt sie erste Antworten auf die Frage, wie man die kollaborativen und solidarischen Potenziale der Plattformökonomie erschließen kann (z. B. durch die Förderungen von digitalen Plattformen als Genossenschaften).

Hierarchisierung von Lebenssphären beenden

Auch wenn Digitalisierung eine große Rolle in ihren Debatten spielte, so betrachtete sich die Kommission doch keineswegs als »Digitalisierungskommission«. Sie richtete ihren Blick auch auf andere Veränderungstreiber und auf die »ungemachten Hausaufgaben«, auf die die Digitalisierung in Deutschland trifft: den demografischen Wandel und die weitestgehend ungelöste Geschlechterfrage als die Achillesversen der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft. Darum ist nach der Diagnose der Kommission die deutsche Situation anders als in den USA, aber auch anders als in Skandinavien. Zwar kann Deutschland von anderen Ländern lernen, aber es gibt keine Blaupause für unsere Transformation. Darum hat die Kommission die unterschiedlichen Phänomene systematisch zusammengedacht – und als Ergebnis eine radikale Forderung aufgestellt: das Ende der Hierarchisierung von Lebenssphären, also das Ende der Unterordnung aller anderen Tätigkeiten (Kindererziehung, Pflege, Ehrenamt) unter die Erwerbstätigkeit. Dieser Gedanke führte die Kommission zu Antworten, die in der Digitalisierungsdebatte kaum eine Rolle spielen, aber zentral für das Funktionieren von Wirtschaft und Gesellschaft sind. Dazu gehört die Forderung nach einem neuen Normalarbeitsverhältnis, das sich nicht mehr am fordistischen Modell des (männlichen) Alleinernährers orientiert, sondern am modernen Dual-Earner-/Dual-Carer-Modell. Für die Kommission heißt das auch, sich vom Begriff der »atypischen Beschäftigung« zu verabschieden und Normalität pluraler zu denken. Die Kommission hat ihren Blick aber auch auf die professionell geleistete Sorgearbeit gerichtet. Die sozialen Dienstleistungen leisten schon jetzt einen großen Beitrag zum gesellschaftlichen Wohlstand; die Nachfrage nach ihnen wird allen Beschäftigungsprognosen zufolge weiterhin erheblich zunehmen. Die Löhne in diesem Sektor spiegeln diese Bedeutung nicht wider. Die Kommission hat daher die Frage gestellt, welchen Mechanismus unsere Arbeitsgesellschaft braucht, um die Löhne anzuheben und die Verhandlungsposition der dort Arbeitenden zu verbessern. Sie hat hier mehrere Instrumente beschrieben (z. B. die Erleichterung der Allgemeinverbindlicherklärungen), gleichzeitig hat sie sich auch mit einer grundsätzlichen Frage befasst, nämlich der nach dem gängigen Verständnis von Produktivität. Die Kommission schlägt einen neuen Produktivitätsbegriff vor, als Hebel, um die sozialen Dienstleistungen aufzuwerten, verbunden mit einem neuen Referenzsystem zur Messung von Wohlstand und Wachstum.

Insgesamt ist es der Kommission trotz ihrer vielfältigen Zusammensetzung gelungen, sich auf 54 Empfehlungen zu sieben Komplexen (Erwerbstätigkeit, Einkommen, Qualifizierung, Arbeitszeit, Arbeitsorganisation, Migration und Gesellschaft) zu verständigen, die im Bericht als »Denkanstöße« präsentiert werden. Der Abschlussbericht verschweigt aber auch den Dissens in der Kommission nicht, sondern schildert vielmehr zentrale Debatten – z. B. über eine »Wertschöpfungsbeteiligung« durch Ausweitung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung, die Einführung eines »Startguthabens für das Erwachsenenleben« oder eine Mindestarbeitszeit. Auch betritt er an manchen Stellen Neuland und bietet Anregungen zum Weiterdenken (z. B. mit Blick auf das »Eigentum an Daten« und Überlegungen zu einem »Bestellerprinzip für digitales Arbeiten«).

Alle 54 Denkanstöße und 22 Debatten der Kommission finden sich in: Kerstin Jürgens / Reiner Hoffmann / Christina Schildmann: Arbeit transformieren, Transcript (2017), abzurufen unter www.arbeit-der-zukunft.de.

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