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© picture alliance/dpa | Moritz Frankenberg

Die FDP auf ampeliger Rollensuche Vom Forschrittsbeschleuniger zum Verzögerer

Unberechenbarkeit markiert die Signatur der Zeit. Wenn dies das Dauer-Strukturmuster in einer Politik mit Vielfachkrisen ausmacht, dann lassen sich nur noch Momentaufnahmen skizzieren. Und ein Momentum hat die FDP im Augenblick nicht. Nimmt man jedoch die Ausgangsthese ernst, dann bedeutet dies politisch nichts für die Liberalen. Sie waren auch schon mal politisch am Ende, nach der Wahl von Thomas Kemmerich zum FDP-Ministerpräsidenten von Thüringen 2020 – ein Tabubruch, da er sich mit den Stimmen der AfD wählen ließ. Dennoch gelang vor der Bundestagswahl 2021 der triumphale Wiederaufstieg in der Wählergunst. Es brach wieder ein regelrechtes Gelb-Fieber vor der Bundestagswahl aus.

Denn die FDP besetzte in der Coronapolitik eine öffentlich wahrnehmbare Nische, die auf Resonanz bei jüngeren Wählern stieß. Vor allem hatte sich der Kommunikationsstil von Christian Lindner öffentlich verändert. Der schneidigen Selbstgewissheit folgte keineswegs neue Sanftheit. Aber die vormals oft heroische und forsche Geste des Besserwissens und der zackigen Entschiedenheitsprosa blinkte nur noch extrem selten auf.

Die Coronapolitik führte Lindner zu seinem im Düsseldorfer Landtag bewährten Stil zurück: Jede Kritik an der Regierung wurde wertebasiert liberal begründet und eingeordnet. Sie war dadurch nicht tagesaktuell-willkürlich ein Reflex der Opposition. Sie war dem Ziel zuzuordnen, individuelle Entscheidungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Ergänzt wurde diese grundliberale Position mit konstruktiven Vorschlägen zur Coronapolitik, die nicht so tun, als hätte man einen Masterplan für das Managen des Unwahrscheinlichen.

So gelang es der FDP, sichtbar und hörbar zu bleiben und sich gleichzeitig in der kooperativen Oppositionsarbeit klar von der stellenweise coronaleugnenden AfD zu distanzieren. Dabei war der Gegenwind für die FDP in der Pandemie heftig, denn selten zuvor war in Deutschland die Staatsgläubigkeit so hoch und das akzeptierte Verständnis für die massiven Einschränkungen von Freiheiten so breit. Der Eingriff in die bürgerlichen Freiheiten wurde von den Bürgern mehrheitlich widerspruchslos hingenommen.

Das Coronavirus hat dem Staat nicht nur mehr Regelungsmacht im Katastrophenfall gegeben, sondern katapultierte ihn auch zum rhetorisch-emotionalen Krisengewinner. Die Bürger sehnen sich in der Krise – so auch gerade in Kriegszeiten – nach einem starken Staat und erwarten dann mit verlässlicher Autorität die entschlossene Umsetzung des Primats der Politik. Gegen bürgerliche Staatsfrömmigkeit und den Wunsch nach dem regelnden, lenkenden, schützenden Vorsorgestaat kommt die FDP, die sich immer für »weniger Staat« eingesetzt hat, auch in Regierungsverantwortung programmatisch schwer an.

Und nun die »Kriegswirtschaft« und dies in besonderer Verantwortung in einer Ampelregierung, in der die FDP den Finanzminister stellt. Die Staatszentriertheit nimmt weiter zu. Wie soll sich die FDP hierzu positionieren? Wie umarmt man Widersprüche – zumal zu dritt? Die Berliner Ampelkoalition macht es, trotz öffentlicher Unstimmigkeiten, durchaus noch vor. Sie löst damit ein, was im Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP, angelegt war: »politische Frontstellungen aufzuweichen und neue politische Kreativität zu entfachen«. Ampeliges Regieren kommt oft modern hybrid daher. Transformatives Politikmanagement folgt sichtbar kollektiven Lernprozessen. Die Transformationsvorhaben könnten nicht größer sein, eine Wachstumsgesellschaft in eine digitale sozialökologische Nachhaltigkeitsgesellschaft zu katapultieren, fordert schöpferisch-experimentell heraus.

Das gilt für alle Partner der Ampel. Und hier hadert augenblicklich die FDP, die in den drei Landtagswahlen nach der Bundestagswahl überall verlor. Sie büßte in Kiel und Düsseldorf zudem auch wichtige Regierungsbeteiligungen ein. Die militärische Bewährungsprobe führte bereits zum Politik-Paradoxon im Parteienwettbewerb. Im Transformationsschub der eindringenden Realpolitik verabschiedeten sich, pointiert notiert, die SPD vom Pazifismus, die Grünen von einer anti-fossilen Gesinnung und die FDP in Ansätzen von marktlicher Finanzpolitik.

Liberales Mantra trotz Zeitenwende

Denn der von der FDP durchgesetzte Tankrabatt belohnte das Regelnde, nicht das Marktliche. Doch dies blieb bislang die einzige Ausnahme der Liberalen als Reaktion auf die »Zeitenwende«. Denn um Profilierungsprobleme abzustellen, wollen sie gelber werden. So verfestigt sich der Eindruck, dass sie in der Ampel die einzige Partei ist, die auf die Zeitenwende nicht reagiert. Denn stoisch gilt das Mantra: Schuldenbremse einhalten, kein Tempolimit, keine Steuererhöhungen. Man hat den Eindruck, dass die FDP das eigene Klientel vor den ökologischen Zumutungen verschonen möchte. Das belastet die Ampel und zahlte sich bei den zurückliegenden Wahlen auch bislang keineswegs für die FDP aus. Dabei war der Start so ganz anders.

Wir erinnern uns an das ungewöhnliche Kanzler-Casting einer Zitrus-Formation, bei der die grün-gelbe, junge und neue Bürgerlichkeit Gemeinsamkeiten auslotete, bevor man sich auf die Suche nach schwarzen (Union/Laschet) oder roten (SPD/Scholz) Mehrheiten machte. Auch die bildmächtige Selbstpersonalisierung via Selfie (Baerbock/Habeck/Lindner/Wissing) wies den ungewöhnlichen Eigenweg der Ampelkoalition: Wir vermitteln uns selbst in unmittelbarer Kommunikation mit den Wählerinnen und Wählern. Die uns vom Selfie anschauende versöhnte Verschiedenheit der zentralen Akteure hatte visuell das Potenzial zum Aufbruch. Das Wagnis des Beginnens wies den Weg einer Überformung unserer traditionellen Kanzlerdemokratie. Aus ihr kann sich in der Dreierkoalition eine kollaborative Demokratie mit multizentrischem Regieren entwickeln. Die politische Macht entsteht dabei im wechselseitigen Miteinander, im Interagieren. Der kreative Austausch der Möglichkeitsmacher führt die Prozesse.

Die Entscheidungsfähigkeit ist wichtiger als die Entscheidungskompetenz. Das Handeln, bei dem man sich mit anderen zusammenschließt, um ein gemeinsames Anliegen zu verfolgen, um Verantwortung zu übernehmen, generiert Macht – keine Macht der Mehrheit und der Mandate. Das politische Ermöglichen realisiert Macht im Konzept einer immerwährenden Kollaboration. Die Macht kann dabei im Kanzleramt sein, muss sie aber nicht. Fraktionen bekommen mehr Gewicht, zumal ohne Groko-Formationen die parlamentarische Debatte des Bundestages aus der Starre der Diskursallergie erlöst wurde. An den öffentlichen Interessenaustausch der Ampelpartner sollten wir uns gewöhnen, ohne gleich den Bruch zu erwarten.

Die Ampel ist Begleiter des Wandels. Ihr Regierungsstil kommt unter anderem im Dissens-Management lernend und kollaborativ daher. Als Unterstützer--Allianz wollen die Akteure keine Reparaturarbeiten am Wohlfahrtsstaat, keine Renovierung des Vergangenen. Ihr Ziel ist inhaltlich die Transformation und stilistisch die Kollaboration. Die Ampel agiert keineswegs statisch-mehrheitsgeprägt robust. Sie federt resilient-nachgebend eher ab, wenn Widerstand auftauchen könnte. Die Transformationserzählung des Koalitionsvertrages lässt kein tentatives Arbeiten zu, sondern öffentliches, fehlertolerantes Lernen. Fehler sollen dabei nicht nur zugelassen werden, sondern sie sind eingepreist, um daraus zu lernen.

Die Schlussfolgerungen für Wähler und Beobachter sind ambivalent. Denn das erlebte Regieren wirkt aufdringlich unfertig. Die Meister des Diffusen und des Nicht-Zuständigen stehen neben den Ministerinnen und Ministern, die ihre Tages-Güter-Abwägung minütlich offenlegen. Das ist anstrengend. Aber offenbar ein moderner Antwortversuch auf Gewissheitsschwund.

Die Rolle der FDP ist dabei ebenso ungewiss. Die Inflation gibt dem Finanzminister ein neues, belastbares Argument, nicht noch mehr Geld auszugeben, um den Zyklus zu durchbrechen. Das Erbe, das der Bundesverkehrsminister Volker Wissing antreten musste, ist verheerend. Hier kann man kaum reüssieren. Gleichwohl prägt Mobilität die Alltagserfahrung jeder Familie. Sie sorgt für miese Stimmung, wenn verlässliche Zeitplanungen über den Tag gar nicht mehr möglich sind – für kein Mitglied der Familie. Denn Mobilität steht heute faktisch für die Chiffre »Gewissheitsschwund«. Wer kommt wann, wo und wie an? Damit wird die FDP nur schwerlich mobilisieren können. Im Bildungs- und Forschungsressort wären große Potenziale in Vielfachkrisen. Denn die Epistemisierung des Politischen setzt Wissen und Wissenschaft als Tool der Resilienz voraus. Vorfahrt für Wissen und Bildung, um in Krisen zu bestehen – wer wollte das bestreiten? Aber auch dieses Ressort der FDP zündet nicht. Bleibt die große gesellschaftspolitische Modernisierung, für die die Ampel einmütig angetreten war und die der Justizminister orchestrieren soll. Da liegen bereits einige Gesetze vor, die aber von den Themen der Zeitenwende komplett übertönt werden.

Die FDP wird die Neubestimmung des Freiheitsbegriffs als Freiheit der Vielen einbringen müssen, als Konsequenz der Vielfachkrisen. In der Coronapolitik für den kommenden Herbst sieht es jedoch gerade danach nicht aus. Was ist von der Idee des Fortschrittbeschleunigers geblieben? Warum orientiert sich die FDP so offensichtlich an einem Freiheitsbegriff, der sich vorwiegend auf die Verteidigung individueller Rechte und Privilegien eines mittigen Milieus beschränkt? Wo bleibt der politische Liberalismus, der Klimaschutz und Freiheit einander bedingend markiert?

Schnell schrumpfte die gelbe Siegerpose nach der Konstituierung der Ampel. Doch nichts ist dauerhaft in der Berliner Republik. Die Stimme einer Freiheitspartei, die sich einer Planwirtschaft, Staatszentriertheit und Kontrollgesellschaft widersetzt, bleibt für die Qualität der Demokratie existenziell. Doch im Augenblick hat die FDP das jahrzehntelange Rollenprofil der Grünen übernommen: Die FDP provoziert geradezu als Anmutung einer Verbotspartei für Zumutungen in der Transformation zu gelten. Macherpartei sind die Grünen, die weniger ideologisch, eher anwendungsorientiert flexibel regieren. Sie stellen in dilemmabewusster Offenhaft die Verantwortungsethik über die Gesinnungsethik. Wann lässt Christian Lindner Anpassungen am Kurs zu? Wann arbeitet auch die FDP am Thema »nachholendes Begreifen«? Dann wachsen die Chancen, für 2025 auch ein gelbes Mobilisierungsthema wieder zu finden.

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