Öffentlichkeit hat einen hohen Stellenwert in demokratisch organisierten Gesellschaften. Sie ist eine notwendige Bedingung für Demokratie. Demokratisch legitimierte Entscheidungen werden nach öffentlicher Debatte getroffen, denn Entscheidungen, die uns alle betreffen, müssen nachvollziehbar, das heißt transparent sein.
»Öffentlichkeit fordert zum Widerspruch heraus.«
Um diese Transparenz zu gewährleisten, ist Öffentlichkeit entscheidend. Öffentlichkeit ist der Ort, an dem Argumente zu gesellschaftlich relevanten Themen geäußert werden können. Öffentlichkeit fordert zum Widerspruch heraus und soll die Möglichkeit bieten, widerstreitende Argumente abzuwägen und dem »zwanglosen Zwang des besseren Arguments« (Jürgen Habermas) zu folgen. Der Zugang zu öffentlichen Debatten ist idealerweise nicht beschränkt – alle können unabhängig von ihrem gesellschaftlichen Status daran teilnehmen und ihre Standpunkte darlegen. Insbesondere Politiker:innen äußern sich häufig öffentlich. Da Sprache Bedingung der Möglichkeit von Politik ist, ist es für sie essenziell, sich öffentlich äußern zu können, um ihre Sicht der (politischen) Dinge, ihr jeweiliges politisches Angebot öffentlich machen und zur Wahl stellen zu können. Neben anderen, die etwa in Wirtschaft, Kunst oder Sport tätig sind, gelten Politiker:innen als öffentliche Personen. Sie unterscheiden sich nicht nur in den politischen Standpunkten, die sie vertreten, sondern auch in der Art und Weise, wie sie dies tun, mithin in ihrem Kommunikationsstil. Dazu die folgenden Überlegungen zu zwei prominenten Beispielen.
Der, dem man beim Denken zuhören kann
Robert Habeck, ehemaliger Wirtschaftsminister und Kanzlerkandidat von Bündnis90/Grüne, beruft sich auf sein Studium der Germanistik, Philosophie und Philologie. Im Jahr 2000 wurde er an der Universität Hamburg promoviert. In seinem Buch Wer wir sein könnten von 2018 betont er die Wichtigkeit von Sprache für Politik und stellt die wirklichkeitskonstitutive Funktion von Sprache und ihren Handlungscharakter heraus.
Betrachtet man Habecks sprachliches Handeln, so stellt man unschwer fest, dass sein geisteswissenschaftlicher beziehungsweise philosophisch-philologischer Hintergrund seinen Kommunikationsstil prägt. Damit ist ein Stil gemeint, der durch Reflexivität bestimmt ist. Diese Reflexivität zeigt sich etwa dann, wenn Habeck die Bedeutung bestimmter Begriffe erläutert, die in öffentlichen Auseinandersetzungen so inflationär verwendet werden, dass gar nicht klar wird, was die Kommunikationspartner jeweils darunter verstehen wollen. In solchen Fällen kann es durchaus erhellend sein, scheinbar klare Begriffe noch einmal zu erläutern.
Das eigene sprachliche Handeln reflektieren und dem Gegenüber verständlicher machen.
So betont Habeck etwa in einer Rede, die unter dem Eindruck heftiger Bauernproteste gehalten wurde, was unter Zivilcourage zu verstehen sei, nämlich der Mut auch für andere einzustehen. Oder er erläutert, dass Wahlkämpfe meist ritualisiert ablaufen und die Argumentation wenig überraschen könne, denn Regierungen würden stets ihre Bilanz verteidigen, während die Opposition sie vernichtend kritisiere. Derartige Überlegungen, die metasprachlich beziehungsweise metakommunikativ ausgerichtet sind, können dabei helfen, sprachliche Äußerungen zu kontextualisieren und auf diese Weise quasi aus der Vogelperspektive auch das eigene sprachliche Handeln nicht nur zu reflektieren, sondern dem jeweiligen Gegenüber verständlich(er) zu machen.
Ein prägnantes Beispiel findet sich in Habecks Äußerung »Deutschland muss sicherheitsfähig sein – das wäre das Wort, das ich nutzen würde.« (ARD-Sendung Farbe bekennen am 19. Februar 2025). Mit dieser Kommentierung des eigenen Sprachgebrauchs akzentuiert Habeck nicht nur seine eigene Art des Sprechens, sondern übt – erkennbar zumindest für diejenigen, die den Diskurs um die Aufrüstung Deutschlands kennen – gleichzeitig moderate Kritik am Sprachgebrauch des Verteidigungsministers Boris Pistorius, der zuvor für die Verwendung des Wortes kriegstüchtig öffentlich kritisiert worden war.
Indem Habeck hier – im Konjunktiv – einen Alternativausdruck vorschlägt, beteiligt er sich nicht nur am verbreiteten sogenannten Besetzen von Begriffen. Er macht durch seine sprachreflexive Diktion vielmehr auch explizit darauf aufmerksam, dass keine Begriffsverwendung alternativlos ist, dass mittels Sprache verschiedene Perspektiven auf die Welt kommuniziert werden können. Es handelt sich mithin um das Bemühen, die eigenen Standpunkte nicht nur zu vertreten, sondern dabei auch die gewählten sprachlichen Mittel kommunikativ zu begründen.
Die, die sich am eigenen Reden berauscht
Alice Weidel war die Spitzenkandidatin der AfD für die Bundestagswahl 2025. Auch sie ist für öffentliche Kommentierungen des Sprachgebrauchs bekannt. Allerdings beziehen sich ihre Kommentare weniger auf den eigenen Sprachgebrauch. Insbesondere mit ihrer Formulierung, nach der politische Korrektheit auf den Müllhaufen der Geschichte gehöre, machte Weidel bereits im Jahr 2017 auf sich aufmerksam. Dieser Appell wurde von ihr mit der Aussage verbunden, dass man sich nicht den Mund verbieten lasse. Aussagen dieses Inhalts stimmen mit den Positionen anderer AfD-Funktionäre überein, dass man sich nicht nur nicht politisch korrekt ausdrücken wolle, sondern im Gegenteil versuche, die Grenzen des Sagbaren auszuweiten.
Die Rhetorik Weidels wird zu weiten Teilen von folgenden unterstellten Voraussetzungen bestimmt. In Deutschland sei die grundgesetzlich garantierte Meinungsäußerungsfreiheit bedroht, und es herrsche eine Cancel Culture, die vor allem von einem links-grün orientierten Mainstream unterstützt und unerbittlich durchexerziert werde. Schenkt man diesem Narrativ Glauben, so kann eine erfolgversprechende Kommunikationsstrategie darin bestehen, gegen die angeblich bestehenden Redeverbote anzukämpfen, indem man besonders provokative, politisch nicht korrekte Formulierungen verwendet.
»Mediale Aufmerksamkeit ist eine knappe Ressource, an der man auch durch Tabubrüche partizipieren kann.«
Statt von Flüchtlingen oder Geflüchteten, die in Deutschland Asyl beantragen, ist dann die Rede davon, dass »Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse« (Haushaltsdebatte am 16. Mai 2018) Wohlstand, Wirtschaftswachstum und Sozialstaat nicht sichern würden. Dass eine solche Äußerung zu einem Ordnungsruf im Bundestag führt, dürfte dabei nicht nur billigend in Kauf genommen worden sein. Vielmehr war diese Reaktion wohl durchaus einkalkuliert und wurde von der Rednerin eher als Ritterschlag denn als Tadel empfunden. Schließlich ist mediale Aufmerksamkeit eine knappe Ressource, an der man auch durch öffentliche (und öffentlich sanktionierte) Tabubrüche partizipieren kann.
Wurde Björn Höcke für seine Rede von einem Denkmal der Schande öffentlich heftig kritisiert, so knüpfte Weidel mit ihren Windmühlen der Schande an den Skandal um Höckes Äußerung direkt an. Ist die Empörung über mögliche Deportationspläne der extremen Rechten, die beschönigend mit dem Ausdruck Remigration umschrieben werden, in weiten Teilen der Bevölkerung groß, so äußert Weidel auf einem AfD-Parteitag am 11. Januar 2025 in Riesa im Zusammenhang mit der Abschiebung von Asylbewerber:innen genüsslich einzelne Silben artikulierend: »Wenn es dann Remigration heißen soll, dann heißt es eben Re-migra-tion«. Anders als Habeck zielt Weidel mit derartigen Äußerungen offensichtlich nicht darauf ab, den eigenen Sprachgebrauch zu hinterfragen oder reflexiv zu begründen. Vielmehr wird die eigene vorrangig auf Konfrontation ausgerichtete Wortwahl aggressiv dadurch verstärkt, dass Weidel trotzig darauf beharrt, so zu reden, wie es ihr und ihresgleichen gefällt.
Reflexivität versus Provokation
Alice Weidel wie auch Robert Habeck sind Politiker:innen, die sich höchst unterschiedlicher Sprachstile bedienen. Während Weidels Stil durch zahlreiche gezielte sprachliche Provokationen charakterisiert ist, ist Habecks Kommunikationsverhalten deutlich konzilianter: Durch sprachreflexive Elemente liefert er Argumente für seine Thesen, aber auch Angebote für kontroverse Diskussionen. Dabei ist nicht zu übersehen, dass auch Habecks Kommunikationsverhalten nicht bei allen gut ankommt. Insbesondere diejenigen, die von Spitzenpolitiker:innen eher »klare Kante« als reflexive Abwägungen erwarten, dürften von Habecks Stil nicht überzeugt, möglicherweise sogar abgeschreckt werden.
Ist man darüber hinaus – anders als Habeck – der Meinung, dass Sprache und Handeln getrennte Bereiche darstellen, wird man sich eher von einer Gesagt-getan-Rhetorik überzeugen lassen, die gemeinhin den sogenannten Alphamännchen zugeschrieben wird. Dass sich auch Frauen einer solchen Alphamännchen-Rhetorik bedienen können, bezeugt Alice Weidel mit ihrem Kommunikationsverhalten nun schon seit Jahren.
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11.06.2025 - 11:51 Uhr