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Rücksichtnahme zwischen Sensibilität und Handlungsunfähigkeit Vorsicht Trigger!

Mit einer Trigger-Warnung wird das jeweilige Publikum darauf hingewiesen, dass das Gehörte oder Gezeigte erschütternd, verstörend oder beleidigend sein könnte. Die Einsicht, dass Menschen »getriggert« werden können, also durch einen äußeren Impuls unwillkürlich und nicht nur psychisch, sondern auch mit starken physischen Reaktionen in einen posttraumatischen Zustand versetzt werden, entstammt der Verhaltenspsychologie. Nach dem Ersten Weltkrieg erkannte man, dass Menschen, die eine traumatische Erfahrung gemacht hatten, durch bestimmte Reize in diese Situation zurückversetzt wurden und dadurch mit posttraumatischen Belastungsstörungen kämpfen mussten. Offiziell anerkannt wurde diese posttraumatische Belastungsstörung 1980 mit Aufnahme ins amerikanische Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders.

Trigger-Warnungen kamen zunächst in den USA auf, sind aber inzwischen auch in Europa weit verbreitet. Grund dafür sind Empörungen derer, die sich »getriggert« fühlen, heute etwa durch bestimmte Passagen in Ovids Metamorphosen und einer daraus resultierenden Debatte an der Columbia University im Jahr 2016 oder durch Eugen Gomringers Gedicht avenidas, das rund sieben Jahre an der Fassade der Berliner Alice-Salomon-Hochschule prangte, in dem die darin bedichteten Frauen aus der Perspektive eines männlichen Beobachters bewundert und damit also zum Objekt gemacht wurden. Nach Protesten von Studierenden wurde es von der Fassade entfernt.

Nicht nur an Universitäten, dort vornehmlich in geistes-, sozial- und kulturwissenschaftlichen Fächern, auch in linken Gruppierungen fordern immer mehr Menschen Trigger-Warnungen und stellen damit identitätspolitische Forderungen auf, die darauf abzielen, die Perspektiven von Minderheiten und Marginalisierten im Blick zu behalten bzw. in den Blick zu bekommen und das Phänomen, dass Sprache das Bewusstsein formt, sich Machtverhältnisse durch Sprache etablieren, zu berücksichtigen, sei es in Form der Warnungen, sei es durch die Bereitstellung sogenannter Safe Spaces, in denen sich Marginalisierte und Minderheiten sicher und geschützt fühlen können.

Paradoxerweise verstärkt sich vielfach gerade durch die eingeforderte Rücksichtnahme eine gewisse Aggressivität: Zuspitzungen und Zerwürfnisse sind nicht selten die Kehrseite der im Grunde begrüßenswerten bewussten Sprech- und Handlungsforderungen.

In dem Band Trigger Warnung. Identitätspolitik zwischen Abwehr, Abschottung und Allianzen sind Aufsätze und Interviews von und mit 20 Autorinnen und Autoren versammelt, die identitätspolitische Diskursfelder beleuchten. Herausgegeben wurde der für die Frage nach dem Umgang mit den komplexen Forderungen und Fragen überaus instruktive Band von Eva Berendsen, Saba-Nur Cheema und Meron Mendel von der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank, die Lernort zur nationalsozialistischen Geschichte ist und zugleich Beratungsstelle für Betroffene von Diskriminierung und Gewalt.

In den drei Kapiteln – »Verortungen«, »Verstrickungen« und »Verhandlungen« – wird im Anschluss an die Einleitung zunächst eine vertiefte Begriffsklärung vorgenommen, werden die Errungenschaften linker Identitätspolitiken aufgezeigt, dann aber auch die bereits umrissenen Problematiken erörtert. Markus Brunners Beitrag »Trigger-Warnungen«, mit dem das erste Kapitel »Verstrickungen« beginnt, kritisiert die Übernahme des psychotherapeutischen Konzeptes der Traumaforschung in die kulturelle Debatte. Ein Trigger, so Brunner, sei nicht zwingend die inhaltliche Darstellung etwa einer Vergewaltigung. Häufig seien es »subtile Wahrnehmungsmomente«: Gesichtszüge, ein bestimmter Geruch. Brunner, Co-Leiter eines Psychologie-Master-Studienschwerpunktes an der Sigmund Freud PrivatUniversität Wien, fordert statt einer Sperrung von Quellen und Kunstwerken Lehrkräfte für den fachlich angemessenen Umgang mit möglicherweise Traumatisierten zu sensibilisieren.

Mit dem ruhig argumentierenden Beitrag Brunners wird nicht nur ein roter Faden gesponnen, was den durchweg sachlichen Ton des Bandes anbelangt. Der Beitrag zeigt auch, wie immer dann, wenn es emotional zugeht, die Sachlichkeit nicht mehr ohne Weiteres zu wahren ist, dass Kommunikation, Auseinandersetzung, etwas weniger hochkochende Gefühle die bestmöglichen Strategien aus dem Dilemma sind, in das man sich begibt, wenn man Einzelinteressen und -schwächen angemessen berücksichtigen will und dennoch offen und tolerant, politisch handlungsfähig jenseits von Partikularinteressen bleiben will.

Im zweiten Kapitel »Verstrickungen« werden dann einzelne Szenen und Schauplätze der Identitätspolitik genauer untersucht, etwa die Debatten über »Cultural Appropriation« (die danach fragt, wie und in welcher Form Weiße die Kultur unterdrückter Minderheiten unkritisch übernehmen: Dreadlocks, Indianerkostüme oder Tribals als Tattoo-Vorlagen) sowie über strukturellen Antisemitismus und die Frage, wie man es als Linke/r mit dem Islam hält. Deborah Kriegs »Alles nur geklaut. WTF ist eigentlich Cultural Appropriation?« stellt in Form eines kommentierten Fragebogens unseren eigenen Umgang mit Cultural Appropriation auf spielerische und humorvolle Weise infrage. Sara Elsunis »Content Warning. (Un)Zumutbares in Wissenschaft und Lehre« untersucht die Situation an deutschen Hochschulen und verteidigt die Hochschule als öffentlichen Raum, in dem die Verteidigung der Meinungsfreiheit bei aller Rücksicht auf verwundbare und traumatisierte Personen Vorrang vor den Forderungen nach der Hochschule als Safe Space haben müsse: »Wissenschaft erfordert, sich mit dem zu bearbeitenden Material kritisch zu befassen. Texte zu kontextualisieren, zu verstehen, um sie letztlich kritisieren und widerlegen zu können. Dies darf nicht in Denk- und Sprechverbote umgedeutet werden«.

In seinem Beitrag »Warum wir Linke über den Islam nicht reden können« entfaltet Sama Maani eine Perspektive auf den Islam-Diskurs in der westlichen Welt, die sich an der Ideologie der »vollen Identität« ausrichtet. Er kritisiert die falsche Verknüpfung, die keinen Unterschied macht zwischen dem Islam und dem Individuum aus Ländern mit islamischer Bevölkerungsmehrheit – eine Verknüpfung, die Linke nicht selten mit Rechten teilen.

Nicht wenige der Beiträge dürften bei der Leserschaft des Bandes etwas triggern. Doch im Sinne der Programmatik des Bandes miteinander ins Gespräch zu kommen, dann aber entschieden Positionen zu beziehen, Widersprüche auszuhalten, bei aller Ernsthaftigkeit auch Humor an den Tag zu legen, sind es gerade die besonders kontroversen Beiträge, die daran erinnern, dass es nicht »eine Wahrheit« gibt, dass die Schmerzgrenzen individuell verlaufen, linke Interessen aber doch vielfach konvergieren, dass selbst in der Traumaforschung die Trigger als sinnvoll zur Bearbeitung von Traumata erachtet wurden, dass es zwar richtig ist, Betroffene zu Wort kommen zu lassen, aber die Gefahr birgt, ihre Positionen zu verallgemeinern und künstliche Grenzen zu ziehen, wie Hilal Sezgins Beitrag in seiner Unterzeile konstatiert.

In den »Zehn Punkten für den ultimativ richtigen Umgang mit Betroffenheiten, Identitäten und Allianzen«, mit denen der Band abschließt, versuchen Berendsen, Cheema und Mendel dann eine durchaus humorvolle pragmatische Sicht auf dieses komplexe Feld zu gewinnen, sie fordern ein »Ende der Entschuldigungsgesetze«, einen Blick, der die Meinungspluralität stets im Bewusstsein hält, Gelassenheit, Selbstbewusstsein unter den Linken, eine deutlich handlungsorientierte Politik gegen rechte Identitätsstrategien und rechte Politik, und, ja, sie fordern auch dazu auf, Errungenschaften linker Politik konstruktiv zu feiern, sich auch mal »schmutzig« zu machen, ohne deshalb den Respekt zu vergessen: »Wir wissen, dass das Private der romantischen Idee zum Trotz alles andere als ein sicherer Ort ist. Also raus aus den angeblichen Safe Spaces und Echokammern, im Wissen, dass es schmierig werden kann. Wer die Parole des Schmutzigmachens allerdings (absichtlich) mit einem Freifahrtschein fürs Arschlochsein verwechselt, für den gilt: Zurück auf Start«. So lautet das Fazit dieses bei aller Brisanz so kurzweiligen und überaus lesenswerten Sammelbandes, dessen breites Themenspektrum hier lediglich beispielhaft vorgestellt werden kann, weswegen eine Lektüre noch einmal nachdrücklich empfohlen sei.

Eva Berendsen/Saba-Nur Cheema/Meron Mendel (Hg.): Trigger Warnung. Identitätspolitik zwischen Abwehr, Abschottung und Allianzen. Berlin, Verbrecher 2019, 256 S., 18 €.

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